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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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habe ich mir einen scharfen Verweis wegen einer ähnlichen Uebereilung zu¬
gezogen."

Es spielte noch etwas anderes hinter den Coulissen, was dem gegen¬
wärtigen Herausgeber der Werke Leibnitz' nicht bekannt ist. -- Unmittelbar
nach dem Tode Ernst August's hatten die jüngeren Söhne, der lustige Maxi¬
milian voran, hauptsächlich auf das Anstiften Anton Ulrichs, gegen die Thron¬
folge ihres Bruders protestirt, sich beim Kaiser beschwert und September 1698
ein Bündniß mit Dänemark geschlossen, dem Anton Ulrich 23. Mai 1699 seine
Unterschrift gab. Derselbe Anton Ulrich war die Seele der "correspondirenden
Fürsten", welche die Kurwürde Hannovers rückgängig zu machen suchten; er
hatte unter Vermittlung Du Hvron's, 28. September 1698, mit Ludwig
dem Vierzehnten ein Bündniß auf drei Jahre abgeschlossen, das ganz deutlich
gegen Hannover gerichtet war, und dem 4. April 1699 auch August der Starke
für Sachsen und Polen beitrat. Wenn man erwägt, daß wegen derselben
Zweideutigkeiten vor sieben Jahren der Jägermeister Moltke hingerichtet war,
so wird man begreifen, daß Leibnitz auf einem sehr schlüpfrigen Boden stand;
um so mehr, da seine Beschützerin Sophie im Stillen die Wünsche ihrer
jüngeren Söhne begünstigte.

An diesen Intriguen war es noch nicht genug. Mit dem Tode ihres
Gemahls Ernst August war der Einfluß Sophiens auf die hannöverschen Ge¬
schäfte geringer, dagegen die Beziehung zu ihrer Tochter Sophie Charlotte,
der Kurfürstin von Brandenburg, inniger geworden. Unter der Vermittlung
dieser beiden Frauen hatte Leibnitz seine Bemühungen um Gründung einer
Akademie in Berlin begonnen; zugleich hatte er sich an den Unionsplünen
zwischen den beiden protestantischen Kirchen wieder betheiligt. Er hatte mit
Molanus (Anfang 1698) eine Via aÄ xs-ven abgefaßt, und, um den einflu߬
reichen Spener zu gewinnen, für diesen ein lonwiriön ireiricum aufgesetzt,
ohne ihn jedoch von der Zweckmäßigkeit des ganzen Unternehmens zu über¬
zeugen. 5. März 1698 hatte der Hofprediger Jablonski an Leibnitz ge¬
schrieben, er sei ganz der Mann, das Geschäft zu leiten, und war im Auf¬
trag seines Kurfürsten im Sommer nach Hannover gekommen, um mit ihm
und Molanus persönlich zu conferiren. Sie hatten ausgemacht, daß die Irr¬
thümer, welche ein Theil dem andern vorzuwerfen pflege, den Glaubenspunkt
nicht berührten, und daher geduldet werden könnten; die Ceremonien sollten
freigestellt werden, und die beiden protestantischen Kirchen im Gegensatz zur
katholischen zusammen die evangelische heißen. Die Verhandlungen wurden
zwischen beiden schriftlich fortgesetzt. -- In diesem Augenblick erfolgte der
Sturz des bisher allmächtigen Oberpräsidenten Danckelmann (noch 1698).
Sofort setzte Leibnitz eine Denkschrift auf, es sei von der größten Wichtigkeit,
zwischen Mutter und Tochter einen dauernden Zusammenhang herzustellen.


habe ich mir einen scharfen Verweis wegen einer ähnlichen Uebereilung zu¬
gezogen."

Es spielte noch etwas anderes hinter den Coulissen, was dem gegen¬
wärtigen Herausgeber der Werke Leibnitz' nicht bekannt ist. — Unmittelbar
nach dem Tode Ernst August's hatten die jüngeren Söhne, der lustige Maxi¬
milian voran, hauptsächlich auf das Anstiften Anton Ulrichs, gegen die Thron¬
folge ihres Bruders protestirt, sich beim Kaiser beschwert und September 1698
ein Bündniß mit Dänemark geschlossen, dem Anton Ulrich 23. Mai 1699 seine
Unterschrift gab. Derselbe Anton Ulrich war die Seele der „correspondirenden
Fürsten", welche die Kurwürde Hannovers rückgängig zu machen suchten; er
hatte unter Vermittlung Du Hvron's, 28. September 1698, mit Ludwig
dem Vierzehnten ein Bündniß auf drei Jahre abgeschlossen, das ganz deutlich
gegen Hannover gerichtet war, und dem 4. April 1699 auch August der Starke
für Sachsen und Polen beitrat. Wenn man erwägt, daß wegen derselben
Zweideutigkeiten vor sieben Jahren der Jägermeister Moltke hingerichtet war,
so wird man begreifen, daß Leibnitz auf einem sehr schlüpfrigen Boden stand;
um so mehr, da seine Beschützerin Sophie im Stillen die Wünsche ihrer
jüngeren Söhne begünstigte.

An diesen Intriguen war es noch nicht genug. Mit dem Tode ihres
Gemahls Ernst August war der Einfluß Sophiens auf die hannöverschen Ge¬
schäfte geringer, dagegen die Beziehung zu ihrer Tochter Sophie Charlotte,
der Kurfürstin von Brandenburg, inniger geworden. Unter der Vermittlung
dieser beiden Frauen hatte Leibnitz seine Bemühungen um Gründung einer
Akademie in Berlin begonnen; zugleich hatte er sich an den Unionsplünen
zwischen den beiden protestantischen Kirchen wieder betheiligt. Er hatte mit
Molanus (Anfang 1698) eine Via aÄ xs-ven abgefaßt, und, um den einflu߬
reichen Spener zu gewinnen, für diesen ein lonwiriön ireiricum aufgesetzt,
ohne ihn jedoch von der Zweckmäßigkeit des ganzen Unternehmens zu über¬
zeugen. 5. März 1698 hatte der Hofprediger Jablonski an Leibnitz ge¬
schrieben, er sei ganz der Mann, das Geschäft zu leiten, und war im Auf¬
trag seines Kurfürsten im Sommer nach Hannover gekommen, um mit ihm
und Molanus persönlich zu conferiren. Sie hatten ausgemacht, daß die Irr¬
thümer, welche ein Theil dem andern vorzuwerfen pflege, den Glaubenspunkt
nicht berührten, und daher geduldet werden könnten; die Ceremonien sollten
freigestellt werden, und die beiden protestantischen Kirchen im Gegensatz zur
katholischen zusammen die evangelische heißen. Die Verhandlungen wurden
zwischen beiden schriftlich fortgesetzt. — In diesem Augenblick erfolgte der
Sturz des bisher allmächtigen Oberpräsidenten Danckelmann (noch 1698).
Sofort setzte Leibnitz eine Denkschrift auf, es sei von der größten Wichtigkeit,
zwischen Mutter und Tochter einen dauernden Zusammenhang herzustellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/225>, abgerufen am 15.01.2025.