Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.30, Mai, 2. Juli 1694) dauerten die Unterhandlungen immer fort. Leibnitz Unter diesen Umständen hatten die wohlgemeinten Bemühungen Schwester 30, Mai, 2. Juli 1694) dauerten die Unterhandlungen immer fort. Leibnitz Unter diesen Umständen hatten die wohlgemeinten Bemühungen Schwester <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110565"/> <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> 30, Mai, 2. Juli 1694) dauerten die Unterhandlungen immer fort. Leibnitz<lb/> kam wieder auf den Gedanken, den er schon einmal vor acht Jahren aus¬<lb/> geführt: er schrieb unter der Maske eines Katholiken das ^uäieiuin cloetoris<lb/> eg-tnoliei trerotatu reumonis (II. S. 46—64), das er nach vorhergehender<lb/> Berathung mit Molanus 5. Juli 1694 an Spinola überschickte, mit der Auf¬<lb/> forderung, seinerseits unter der Maske eines der Union geneigten Lutheraners<lb/> eine ähnliche Schrift zu verfertigen, so daß die Rollen sich tauschten : je mehr<lb/> sich nun in beiden die Ideen näherten, desto leichter würde für die Zukunft<lb/> die Einigung werden. Das Project fand bei Spinola (22. November) großen<lb/> Beifall; aber er starb darüber 12. März 1695. Nach dem, was wir oben<lb/> erfahren, war das Ganze doch nur ein geistreiches Spiel. Ein humoristischer<lb/> Brief an Sophie (6. December 1694) läßt über die Stimmung des Philosophen<lb/> keinen Zweifel, wie denn überhaupt, wo die beiden sich vertraulich unterreden,<lb/> die heiligen Dinge ziemlich frivol behandelt werden; mitunter möchte man<lb/> sagen, faunisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> Unter diesen Umständen hatten die wohlgemeinten Bemühungen Schwester<lb/> Mariens wenig Aussicht auf Erfolg. „Wenn Sie zu uns träten," ruft sie ihm<lb/> 11. Febr. 1694 zu, „so würden Sie durch die Kraft Ihres Geistes, von Gott<lb/> geleitet, ganz Deutschland bekehren." Leibnitz lehnt (30. Mai) die persönliche<lb/> Wendung entschieden ab, und fordert sie auf, Bossuet zur Antwort auf seine<lb/> Frage zu bestimmen: dann würde für die künftige Einigung der Kirchen ein<lb/> solider Grund gelegt sein. — Sie ist, fährt er 28. Februar 1695 fort, nur<lb/> unter zwei Bedingungen möglich: 1) daß man uns nicht die Annahme von<lb/> Glaubenssätzen zumuthet, die durch eine Kabale im vorigen Jahrhundert und<lb/> wie zum Hohne der Deutschen eingeführt sind; 2) daß man die Mißbräuche<lb/> abschafft, die dem Christenthum Schande machen. — Wenn Bossuet verlangt,<lb/> man solle sich vom philosophischen Geist frei machen, so heißt das nichts an¬<lb/> ders, als man solle sich von der Wahrheitsliebe frei machen. Wenn ich Lust<lb/> gehabt, mich zu bekehren, so würde es geschehn sein, als ich katholischen Herren<lb/> diente; aber ich hielt es für gefährlich für das Seelenheil. — Sie selbst, Ma¬<lb/> dame! denken Sie an die Gefahr Ihres Zustands! Ihre Gaben gehn weit<lb/> über das Maß Ihres Geschlechts; ich habe Sie abergläubische Dinge oft mi߬<lb/> billigen hören. Aber das genügt nicht: man muß dafür sorgen, den Irrthum<lb/> abzuschaffen, oder wenn man die Hoffnung aufgibt, muß man offen mit denen<lb/> brechen, welche die Kirche Gottes entstellen, sonst nimmt man an ihrer Ver-<lb/> dammniß Theil. — Im Gegentheil fügt man zu den alten Narrheiten noch<lb/> neue: lesen Sie, Madame, selbst im Journal des Savants die abenteuerlichen<lb/> Wundergeschichten, die ein Mensch von gesunden Sinnen sich schämen würde,<lb/> in Gegenwart eines Protestanten zu erzählen! Spricht sich aber ein aufgeklär¬<lb/> ter Katholik über diese Fabeln aus. so verfällt er der Inquisition. ?out</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
30, Mai, 2. Juli 1694) dauerten die Unterhandlungen immer fort. Leibnitz
kam wieder auf den Gedanken, den er schon einmal vor acht Jahren aus¬
geführt: er schrieb unter der Maske eines Katholiken das ^uäieiuin cloetoris
eg-tnoliei trerotatu reumonis (II. S. 46—64), das er nach vorhergehender
Berathung mit Molanus 5. Juli 1694 an Spinola überschickte, mit der Auf¬
forderung, seinerseits unter der Maske eines der Union geneigten Lutheraners
eine ähnliche Schrift zu verfertigen, so daß die Rollen sich tauschten : je mehr
sich nun in beiden die Ideen näherten, desto leichter würde für die Zukunft
die Einigung werden. Das Project fand bei Spinola (22. November) großen
Beifall; aber er starb darüber 12. März 1695. Nach dem, was wir oben
erfahren, war das Ganze doch nur ein geistreiches Spiel. Ein humoristischer
Brief an Sophie (6. December 1694) läßt über die Stimmung des Philosophen
keinen Zweifel, wie denn überhaupt, wo die beiden sich vertraulich unterreden,
die heiligen Dinge ziemlich frivol behandelt werden; mitunter möchte man
sagen, faunisch.
Unter diesen Umständen hatten die wohlgemeinten Bemühungen Schwester
Mariens wenig Aussicht auf Erfolg. „Wenn Sie zu uns träten," ruft sie ihm
11. Febr. 1694 zu, „so würden Sie durch die Kraft Ihres Geistes, von Gott
geleitet, ganz Deutschland bekehren." Leibnitz lehnt (30. Mai) die persönliche
Wendung entschieden ab, und fordert sie auf, Bossuet zur Antwort auf seine
Frage zu bestimmen: dann würde für die künftige Einigung der Kirchen ein
solider Grund gelegt sein. — Sie ist, fährt er 28. Februar 1695 fort, nur
unter zwei Bedingungen möglich: 1) daß man uns nicht die Annahme von
Glaubenssätzen zumuthet, die durch eine Kabale im vorigen Jahrhundert und
wie zum Hohne der Deutschen eingeführt sind; 2) daß man die Mißbräuche
abschafft, die dem Christenthum Schande machen. — Wenn Bossuet verlangt,
man solle sich vom philosophischen Geist frei machen, so heißt das nichts an¬
ders, als man solle sich von der Wahrheitsliebe frei machen. Wenn ich Lust
gehabt, mich zu bekehren, so würde es geschehn sein, als ich katholischen Herren
diente; aber ich hielt es für gefährlich für das Seelenheil. — Sie selbst, Ma¬
dame! denken Sie an die Gefahr Ihres Zustands! Ihre Gaben gehn weit
über das Maß Ihres Geschlechts; ich habe Sie abergläubische Dinge oft mi߬
billigen hören. Aber das genügt nicht: man muß dafür sorgen, den Irrthum
abzuschaffen, oder wenn man die Hoffnung aufgibt, muß man offen mit denen
brechen, welche die Kirche Gottes entstellen, sonst nimmt man an ihrer Ver-
dammniß Theil. — Im Gegentheil fügt man zu den alten Narrheiten noch
neue: lesen Sie, Madame, selbst im Journal des Savants die abenteuerlichen
Wundergeschichten, die ein Mensch von gesunden Sinnen sich schämen würde,
in Gegenwart eines Protestanten zu erzählen! Spricht sich aber ein aufgeklär¬
ter Katholik über diese Fabeln aus. so verfällt er der Inquisition. ?out
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