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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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lich sieht es Leibnitz ein!), und das will viel mehr sagen. Auf Chimären ist die
römische Praxis gegründet, aber aus diesen Chimären sind wirkliche Uebel
hervorgegangen, denen die Reformation wenigstens zum Theil abgeholfen hat,
indem sie sich der alten Kirche wieder näherte. Rom ist nicht blos gegen die
"Ketzer" hart, ich wollte z. B. Arnauld nicht rathen, nach Rom zu gehn; die
Luft ändert sich dort zu rasch je nach der Laune der Päpste. -- Die Katho¬
liken, Lutheraner und Socinianer folgen jede zu einseitig einem Princip:
der Tradition, der Schrift, der Philosophie; alle diese Principien sind gut,
aber man kann sie mißbrauchen, und daher kommen die Irrthümer. -- Das
ist stark! antwortet der Landgraf 29. Febr.: mai8 no doutW gue ^ ne vous
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votre bon ami. -- Da man seine Verhandlungen mit Spinola noch immer
mißversteht, antwortet Leibnitz diesmal deutsch, 31. März: "Ob ich schon zweifle,
daß die Sache gestalten jetzigen Umständen nach vollkommen thunlich, ja
vielmehr das Gegentheil glauben müsse, so hielte ich sie doch dessen ohngeachtet
vor nützlich und wichtig, weil damit ein Grund gelegt würde, darauf
vielleicht die Nachwelt bauen könnte; und sei die Frage demnach nicht
cle xi'kxi sondern as tlrsoris.: wenn nämlich die Gemüther der Menschen dazu
geneigt wären, ob alsdann eine solche Art der Vereinigung mit gutem Ge¬
wissen geschehn könnte, und folglich (positis xcmenäis) den Gesetzen der christ¬
lichen Liebe nach geschehn sollte. Ohngeachtet ich mich nun zum öftern er¬
klärt, daß dies die eigentliche Frage sei, so hilft doch alles nichts, man fällt
immer wieder aus Motria und will mir mit Gewalt aufbürden, ich hielte
die Sache anjetzo für practicabel und hoffbar; und disputirt angeblich dagegen,
anstatt mit Ja oder Nein auf den Hauptpunkt zu antworten. -- Wenn man
sagt: "daß einige vornehme Doctores ganz milde Interpretationen des Triden-
tiner Concils gegeben, sei nicht dahin angesehn, als wollten sie solches alteriren,
sondern allein um den Protestirenden den Weg zu erleichtern, damit sie sich
demselben unterwerfen mögen," so finde ich solche Worte etwas dunkel und
mißlich. Entweder die mildere Erklärung seynd dem wahren Verstand des
Concils euLgegen oder nicht: seynd sie dagegen, so folgt eins von beiden,
entweder diese Doctores wollen das Concil alteriren, oder sie wollen die Pro¬
testirenden betrügen; seynd sie nicht entgegen, so muß man nicht sagen, sie
gelten nur solang bis man den Zweck erreichte, sondern man muß sie unter
deu römisch-katholischen selbst ausbreiten und dadurch den Weg zur Einigkeit
bahnen." --Der Gegensatz war zu stark geworden; die Briefe werden kühler
und kürzer, doch dauern sie fort bis unmittelbar an den Tod des Landgrafen,
12. Mai 1693.

Zwischen Spinola, Molanus, Leibnitz, der Herzogin Benedicte (z. B.


lich sieht es Leibnitz ein!), und das will viel mehr sagen. Auf Chimären ist die
römische Praxis gegründet, aber aus diesen Chimären sind wirkliche Uebel
hervorgegangen, denen die Reformation wenigstens zum Theil abgeholfen hat,
indem sie sich der alten Kirche wieder näherte. Rom ist nicht blos gegen die
„Ketzer" hart, ich wollte z. B. Arnauld nicht rathen, nach Rom zu gehn; die
Luft ändert sich dort zu rasch je nach der Laune der Päpste. — Die Katho¬
liken, Lutheraner und Socinianer folgen jede zu einseitig einem Princip:
der Tradition, der Schrift, der Philosophie; alle diese Principien sind gut,
aber man kann sie mißbrauchen, und daher kommen die Irrthümer. — Das
ist stark! antwortet der Landgraf 29. Febr.: mai8 no doutW gue ^ ne vous
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votre bon ami. — Da man seine Verhandlungen mit Spinola noch immer
mißversteht, antwortet Leibnitz diesmal deutsch, 31. März: „Ob ich schon zweifle,
daß die Sache gestalten jetzigen Umständen nach vollkommen thunlich, ja
vielmehr das Gegentheil glauben müsse, so hielte ich sie doch dessen ohngeachtet
vor nützlich und wichtig, weil damit ein Grund gelegt würde, darauf
vielleicht die Nachwelt bauen könnte; und sei die Frage demnach nicht
cle xi'kxi sondern as tlrsoris.: wenn nämlich die Gemüther der Menschen dazu
geneigt wären, ob alsdann eine solche Art der Vereinigung mit gutem Ge¬
wissen geschehn könnte, und folglich (positis xcmenäis) den Gesetzen der christ¬
lichen Liebe nach geschehn sollte. Ohngeachtet ich mich nun zum öftern er¬
klärt, daß dies die eigentliche Frage sei, so hilft doch alles nichts, man fällt
immer wieder aus Motria und will mir mit Gewalt aufbürden, ich hielte
die Sache anjetzo für practicabel und hoffbar; und disputirt angeblich dagegen,
anstatt mit Ja oder Nein auf den Hauptpunkt zu antworten. — Wenn man
sagt: „daß einige vornehme Doctores ganz milde Interpretationen des Triden-
tiner Concils gegeben, sei nicht dahin angesehn, als wollten sie solches alteriren,
sondern allein um den Protestirenden den Weg zu erleichtern, damit sie sich
demselben unterwerfen mögen," so finde ich solche Worte etwas dunkel und
mißlich. Entweder die mildere Erklärung seynd dem wahren Verstand des
Concils euLgegen oder nicht: seynd sie dagegen, so folgt eins von beiden,
entweder diese Doctores wollen das Concil alteriren, oder sie wollen die Pro¬
testirenden betrügen; seynd sie nicht entgegen, so muß man nicht sagen, sie
gelten nur solang bis man den Zweck erreichte, sondern man muß sie unter
deu römisch-katholischen selbst ausbreiten und dadurch den Weg zur Einigkeit
bahnen." —Der Gegensatz war zu stark geworden; die Briefe werden kühler
und kürzer, doch dauern sie fort bis unmittelbar an den Tod des Landgrafen,
12. Mai 1693.

Zwischen Spinola, Molanus, Leibnitz, der Herzogin Benedicte (z. B.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/216>, abgerufen am 15.01.2025.