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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Städter an den bayrischen Seen. Wo die Marktflecken des Flachlandes den
Stil des Bauernhauses zeigen, da findet sich dasselbe meist in seiner einfach¬
sten Farm, oft nur einstöckig; denn wer Geld hatte, baute lieber städtisch. Die
größern Gewerbs- und Handelsleute bedurften ohnedies für ihre Zwecke eines
mehr städtischen Hausplanes, und so blieb der bäuerliche Stil lediglich für
die kleinen Leute übrig.

Für das städtische Haus ist in Altbayern zunächst die Altstadt München
entscheidend. Sodann aber wirkte auch das Vorbild der Nachbarstädte Augs¬
burg, Passau und Landshut maßgebend auf die kleinen Orte an den Grenzen
des Kreises. So ist Friedberg in seiner Häuseranlage und in seinen Mauer¬
thürmen eine getreue Copie im verkleinerten Maßstab des nahen Augsburg.
So zeigen Moosburg und Freising Anklänge an Landshut. Und so erinnern
die Landstädtchen am Jnn durch ihre Hauptstraßen an Passau und Insbruck.
Die im deutschen Stil der Gasse zugekehrte Giebclfront ist nämlich hier mit
der breiten Fa^abe vertauscht, deren Fläche in einem hohen gradlinig abge-
schnittnen Maueraufsatze das Schindeldach der Art überragt, daß man Häuser
mit dem flachen italienischen Dach vor sich zu haben glaubt. Nicht weniger
mahnen die Zugänglichkeit des Dachs durch sogenannte "Feuergänge", welche
über die Schindeln hinüber zugleich zum Nachbargebüude führen, und die Ar-
caden des Erdgeschosses bei den Häusern des Marktplatzes an italienische Vor¬
bilder.

München unterscheidet sich von den drei großen monumentalen Städten
Ostbayerns: Augsburg, Regensburg und Nürnberg dadurch, daß es keine abge¬
schlossene Epoche darstellt, sondern sich fort und fort als eine werdende Stadt
auch architektonisch entwickelt hat. So wurde in der Altstadt die Gothik bei
Privathäusern bis auf einige spärliche Reste von den Rococobauten des sechs-
zehnten und siebzehnten Jahrhunderts verdrängt. Aber auch diese beherrschen
kein einziges Quartier mehr, sondern das nächstfolgende Süculum schob überall
seine breiten kahlen Fanden dazwischen. Die Epoche König Ludwigs stellte
in ganzen Stadtvierteln eine regelmäßige Neustadt neben die unregelmäßige
alte, und die neue Bauweise des jetzigen Königs zieht nun ihre imposante
Straßenlinie quer durch die wirre Anlage kleiner vorstädtischer Häuser an den
Thurm- und Mauerrcsten Altmünchens. An der Peripherie der Stadt breiten sich
Arbeiterwohnungen bald im Stil des Flachlandes, bald im modernisirten Ge-
birgsstil aus. Merkwürdig sind in den Vorstädten rechts von der Jsar die soge¬
nannten "Herbergen", Häuserantheüe, Stockwerke, ja bloße Zimmer, die als
Eigenthum besessen und als solches verkauft werden. Der Kern der alten
Stadt gehört in seiner äußern Erscheinung überwiegend den letzten drei Jahr¬
hunderten an und ist massiv, aber im Vergleich mit Augsburg, Nürnberg und
Regensburg sehr schmucklos gebaut. Dagegen erinnert die innere Einrichtung


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Städter an den bayrischen Seen. Wo die Marktflecken des Flachlandes den
Stil des Bauernhauses zeigen, da findet sich dasselbe meist in seiner einfach¬
sten Farm, oft nur einstöckig; denn wer Geld hatte, baute lieber städtisch. Die
größern Gewerbs- und Handelsleute bedurften ohnedies für ihre Zwecke eines
mehr städtischen Hausplanes, und so blieb der bäuerliche Stil lediglich für
die kleinen Leute übrig.

Für das städtische Haus ist in Altbayern zunächst die Altstadt München
entscheidend. Sodann aber wirkte auch das Vorbild der Nachbarstädte Augs¬
burg, Passau und Landshut maßgebend auf die kleinen Orte an den Grenzen
des Kreises. So ist Friedberg in seiner Häuseranlage und in seinen Mauer¬
thürmen eine getreue Copie im verkleinerten Maßstab des nahen Augsburg.
So zeigen Moosburg und Freising Anklänge an Landshut. Und so erinnern
die Landstädtchen am Jnn durch ihre Hauptstraßen an Passau und Insbruck.
Die im deutschen Stil der Gasse zugekehrte Giebclfront ist nämlich hier mit
der breiten Fa^abe vertauscht, deren Fläche in einem hohen gradlinig abge-
schnittnen Maueraufsatze das Schindeldach der Art überragt, daß man Häuser
mit dem flachen italienischen Dach vor sich zu haben glaubt. Nicht weniger
mahnen die Zugänglichkeit des Dachs durch sogenannte „Feuergänge", welche
über die Schindeln hinüber zugleich zum Nachbargebüude führen, und die Ar-
caden des Erdgeschosses bei den Häusern des Marktplatzes an italienische Vor¬
bilder.

München unterscheidet sich von den drei großen monumentalen Städten
Ostbayerns: Augsburg, Regensburg und Nürnberg dadurch, daß es keine abge¬
schlossene Epoche darstellt, sondern sich fort und fort als eine werdende Stadt
auch architektonisch entwickelt hat. So wurde in der Altstadt die Gothik bei
Privathäusern bis auf einige spärliche Reste von den Rococobauten des sechs-
zehnten und siebzehnten Jahrhunderts verdrängt. Aber auch diese beherrschen
kein einziges Quartier mehr, sondern das nächstfolgende Süculum schob überall
seine breiten kahlen Fanden dazwischen. Die Epoche König Ludwigs stellte
in ganzen Stadtvierteln eine regelmäßige Neustadt neben die unregelmäßige
alte, und die neue Bauweise des jetzigen Königs zieht nun ihre imposante
Straßenlinie quer durch die wirre Anlage kleiner vorstädtischer Häuser an den
Thurm- und Mauerrcsten Altmünchens. An der Peripherie der Stadt breiten sich
Arbeiterwohnungen bald im Stil des Flachlandes, bald im modernisirten Ge-
birgsstil aus. Merkwürdig sind in den Vorstädten rechts von der Jsar die soge¬
nannten „Herbergen", Häuserantheüe, Stockwerke, ja bloße Zimmer, die als
Eigenthum besessen und als solches verkauft werden. Der Kern der alten
Stadt gehört in seiner äußern Erscheinung überwiegend den letzten drei Jahr¬
hunderten an und ist massiv, aber im Vergleich mit Augsburg, Nürnberg und
Regensburg sehr schmucklos gebaut. Dagegen erinnert die innere Einrichtung


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[0207] Städter an den bayrischen Seen. Wo die Marktflecken des Flachlandes den Stil des Bauernhauses zeigen, da findet sich dasselbe meist in seiner einfach¬ sten Farm, oft nur einstöckig; denn wer Geld hatte, baute lieber städtisch. Die größern Gewerbs- und Handelsleute bedurften ohnedies für ihre Zwecke eines mehr städtischen Hausplanes, und so blieb der bäuerliche Stil lediglich für die kleinen Leute übrig. Für das städtische Haus ist in Altbayern zunächst die Altstadt München entscheidend. Sodann aber wirkte auch das Vorbild der Nachbarstädte Augs¬ burg, Passau und Landshut maßgebend auf die kleinen Orte an den Grenzen des Kreises. So ist Friedberg in seiner Häuseranlage und in seinen Mauer¬ thürmen eine getreue Copie im verkleinerten Maßstab des nahen Augsburg. So zeigen Moosburg und Freising Anklänge an Landshut. Und so erinnern die Landstädtchen am Jnn durch ihre Hauptstraßen an Passau und Insbruck. Die im deutschen Stil der Gasse zugekehrte Giebclfront ist nämlich hier mit der breiten Fa^abe vertauscht, deren Fläche in einem hohen gradlinig abge- schnittnen Maueraufsatze das Schindeldach der Art überragt, daß man Häuser mit dem flachen italienischen Dach vor sich zu haben glaubt. Nicht weniger mahnen die Zugänglichkeit des Dachs durch sogenannte „Feuergänge", welche über die Schindeln hinüber zugleich zum Nachbargebüude führen, und die Ar- caden des Erdgeschosses bei den Häusern des Marktplatzes an italienische Vor¬ bilder. München unterscheidet sich von den drei großen monumentalen Städten Ostbayerns: Augsburg, Regensburg und Nürnberg dadurch, daß es keine abge¬ schlossene Epoche darstellt, sondern sich fort und fort als eine werdende Stadt auch architektonisch entwickelt hat. So wurde in der Altstadt die Gothik bei Privathäusern bis auf einige spärliche Reste von den Rococobauten des sechs- zehnten und siebzehnten Jahrhunderts verdrängt. Aber auch diese beherrschen kein einziges Quartier mehr, sondern das nächstfolgende Süculum schob überall seine breiten kahlen Fanden dazwischen. Die Epoche König Ludwigs stellte in ganzen Stadtvierteln eine regelmäßige Neustadt neben die unregelmäßige alte, und die neue Bauweise des jetzigen Königs zieht nun ihre imposante Straßenlinie quer durch die wirre Anlage kleiner vorstädtischer Häuser an den Thurm- und Mauerrcsten Altmünchens. An der Peripherie der Stadt breiten sich Arbeiterwohnungen bald im Stil des Flachlandes, bald im modernisirten Ge- birgsstil aus. Merkwürdig sind in den Vorstädten rechts von der Jsar die soge¬ nannten „Herbergen", Häuserantheüe, Stockwerke, ja bloße Zimmer, die als Eigenthum besessen und als solches verkauft werden. Der Kern der alten Stadt gehört in seiner äußern Erscheinung überwiegend den letzten drei Jahr¬ hunderten an und ist massiv, aber im Vergleich mit Augsburg, Nürnberg und Regensburg sehr schmucklos gebaut. Dagegen erinnert die innere Einrichtung 25*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/207>, abgerufen am 15.01.2025.