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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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der größeren alten Häuser mit der Thorfahrt in der Mitte, den Verkaussge-
wölben und Werkstätten zu beiden Seiten des Erdgeschosses, den engen, aber
traulichen Binnenhöfen, den breiten, mit Steinplatten belegten Hausfluren,
den Erkern, den Galerien und Umgängen an den Wänden des Hofes an das
bürgerliche Leben vor dem dreißigjährigen Kriege, welches den modernen Kom¬
fort zuerst in zweckmäßiger und sinniger Weise zur Geltung brachte.

Viel Gutes ist von der Wirkung der Eisenbahnen und der dadurch bewirkten
Mischung der Norddeutschen mit den südlichen Verwandten auch für Altbayern
zu erwarten. Die letztern reisen nicht, am wenigsten zum Vergnügen nach
der Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches. Wol aber ergießt sich
der Strom der norddeutschen Touristen jeden Sommer in stärkern Massen in
die schönen Thäler Oberbayerns, und das muß über kurz oder lang seinen
Segen äußern. Nicht daß wir meinten, daß der Märker oder der Sachse dem
Bayern zu höherer Civilisation zu verhelfen bestimmt sei, und daß dieser von
jenem überhaupt viel zu lernen habe. Wol aber sollen und werden beide bei
näherer Bekanntschaft, zu der auch diese Auszüge verhelfen mögen, Störendes
vergessen: der Preuße, daß jeder Altbayer ein ungehobelter Bierlümmel ist.
der Altbayer, daß jeder Preuße so abgeschmackt hochnäsige Manieren hat. wie
manche seiner berliner Gardeleutnants und Judendandies.

Manches dürfte in dieser Beziehung sich schon wesentlich gebessert haben,
wenn auch der Fremdenstrom sür Münchner Naturfreunde, die für ihre länd¬
lichen Genüsse nicht gern zu viel zahlen, und die in den nördlichen Gästen
lauter steinreiche Leute zu sehn scheinen, vorläufig weniger Angenehmes als
Unangenehmes haben mag.

In Betreff dieser Verhältnisse bringt Steub mancherlei anziehende Noti¬
zen, die wir unsern Freunden für die künftige Saison zu beherzigen geben.
"Daß wir Münchner, ehemals Tonangeber und Herrscher im Oberland, jetzt
eigentlich expropriirt sind, daß uns die Gäste mit ihrer freigebigen Hand allent¬
halben zuvorkommen, daß wir statt der erwünschten Einsamkeit, in der wir
xroeul iivgotiis zu dämmern, und Bureaustunden, üble Launen der Vorge¬
setzten. Parteien und Klienten zu .vergessen pflegten, jetzt allenthalben feine
Geselligkeit, Gespräche über Literatur, hochschottisch aufgeputzte Kinder, zeich¬
nende Fräulein mit grünen Augengläsern, fischende Jungen im Shawl, ge¬
lehrte Theetrinker und viele andere fremdartige Erscheinungen antreffen, daß
wir, statt wie früher unsre alten Röcke sparsam auszutrngen, jetzt mit eleganter
neuer Gebirgstoilette erscheinen müssen, um nur noch gezählt zu werden, alles
das sehn wir nun, ergeben uns ins Unvermeidliche und trösten uns damit,
daß wir unsre Alpen auch noch in ihrer Reinheit und Jungfräulichkeit, in
ihrer Stille und in ihrem Frieden gesehn haben."

Sonst urtheilt man über die "Fremden" verschieden, doch meist günstig.


der größeren alten Häuser mit der Thorfahrt in der Mitte, den Verkaussge-
wölben und Werkstätten zu beiden Seiten des Erdgeschosses, den engen, aber
traulichen Binnenhöfen, den breiten, mit Steinplatten belegten Hausfluren,
den Erkern, den Galerien und Umgängen an den Wänden des Hofes an das
bürgerliche Leben vor dem dreißigjährigen Kriege, welches den modernen Kom¬
fort zuerst in zweckmäßiger und sinniger Weise zur Geltung brachte.

Viel Gutes ist von der Wirkung der Eisenbahnen und der dadurch bewirkten
Mischung der Norddeutschen mit den südlichen Verwandten auch für Altbayern
zu erwarten. Die letztern reisen nicht, am wenigsten zum Vergnügen nach
der Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches. Wol aber ergießt sich
der Strom der norddeutschen Touristen jeden Sommer in stärkern Massen in
die schönen Thäler Oberbayerns, und das muß über kurz oder lang seinen
Segen äußern. Nicht daß wir meinten, daß der Märker oder der Sachse dem
Bayern zu höherer Civilisation zu verhelfen bestimmt sei, und daß dieser von
jenem überhaupt viel zu lernen habe. Wol aber sollen und werden beide bei
näherer Bekanntschaft, zu der auch diese Auszüge verhelfen mögen, Störendes
vergessen: der Preuße, daß jeder Altbayer ein ungehobelter Bierlümmel ist.
der Altbayer, daß jeder Preuße so abgeschmackt hochnäsige Manieren hat. wie
manche seiner berliner Gardeleutnants und Judendandies.

Manches dürfte in dieser Beziehung sich schon wesentlich gebessert haben,
wenn auch der Fremdenstrom sür Münchner Naturfreunde, die für ihre länd¬
lichen Genüsse nicht gern zu viel zahlen, und die in den nördlichen Gästen
lauter steinreiche Leute zu sehn scheinen, vorläufig weniger Angenehmes als
Unangenehmes haben mag.

In Betreff dieser Verhältnisse bringt Steub mancherlei anziehende Noti¬
zen, die wir unsern Freunden für die künftige Saison zu beherzigen geben.
„Daß wir Münchner, ehemals Tonangeber und Herrscher im Oberland, jetzt
eigentlich expropriirt sind, daß uns die Gäste mit ihrer freigebigen Hand allent¬
halben zuvorkommen, daß wir statt der erwünschten Einsamkeit, in der wir
xroeul iivgotiis zu dämmern, und Bureaustunden, üble Launen der Vorge¬
setzten. Parteien und Klienten zu .vergessen pflegten, jetzt allenthalben feine
Geselligkeit, Gespräche über Literatur, hochschottisch aufgeputzte Kinder, zeich¬
nende Fräulein mit grünen Augengläsern, fischende Jungen im Shawl, ge¬
lehrte Theetrinker und viele andere fremdartige Erscheinungen antreffen, daß
wir, statt wie früher unsre alten Röcke sparsam auszutrngen, jetzt mit eleganter
neuer Gebirgstoilette erscheinen müssen, um nur noch gezählt zu werden, alles
das sehn wir nun, ergeben uns ins Unvermeidliche und trösten uns damit,
daß wir unsre Alpen auch noch in ihrer Reinheit und Jungfräulichkeit, in
ihrer Stille und in ihrem Frieden gesehn haben."

Sonst urtheilt man über die „Fremden" verschieden, doch meist günstig.


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[0208] der größeren alten Häuser mit der Thorfahrt in der Mitte, den Verkaussge- wölben und Werkstätten zu beiden Seiten des Erdgeschosses, den engen, aber traulichen Binnenhöfen, den breiten, mit Steinplatten belegten Hausfluren, den Erkern, den Galerien und Umgängen an den Wänden des Hofes an das bürgerliche Leben vor dem dreißigjährigen Kriege, welches den modernen Kom¬ fort zuerst in zweckmäßiger und sinniger Weise zur Geltung brachte. Viel Gutes ist von der Wirkung der Eisenbahnen und der dadurch bewirkten Mischung der Norddeutschen mit den südlichen Verwandten auch für Altbayern zu erwarten. Die letztern reisen nicht, am wenigsten zum Vergnügen nach der Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches. Wol aber ergießt sich der Strom der norddeutschen Touristen jeden Sommer in stärkern Massen in die schönen Thäler Oberbayerns, und das muß über kurz oder lang seinen Segen äußern. Nicht daß wir meinten, daß der Märker oder der Sachse dem Bayern zu höherer Civilisation zu verhelfen bestimmt sei, und daß dieser von jenem überhaupt viel zu lernen habe. Wol aber sollen und werden beide bei näherer Bekanntschaft, zu der auch diese Auszüge verhelfen mögen, Störendes vergessen: der Preuße, daß jeder Altbayer ein ungehobelter Bierlümmel ist. der Altbayer, daß jeder Preuße so abgeschmackt hochnäsige Manieren hat. wie manche seiner berliner Gardeleutnants und Judendandies. Manches dürfte in dieser Beziehung sich schon wesentlich gebessert haben, wenn auch der Fremdenstrom sür Münchner Naturfreunde, die für ihre länd¬ lichen Genüsse nicht gern zu viel zahlen, und die in den nördlichen Gästen lauter steinreiche Leute zu sehn scheinen, vorläufig weniger Angenehmes als Unangenehmes haben mag. In Betreff dieser Verhältnisse bringt Steub mancherlei anziehende Noti¬ zen, die wir unsern Freunden für die künftige Saison zu beherzigen geben. „Daß wir Münchner, ehemals Tonangeber und Herrscher im Oberland, jetzt eigentlich expropriirt sind, daß uns die Gäste mit ihrer freigebigen Hand allent¬ halben zuvorkommen, daß wir statt der erwünschten Einsamkeit, in der wir xroeul iivgotiis zu dämmern, und Bureaustunden, üble Launen der Vorge¬ setzten. Parteien und Klienten zu .vergessen pflegten, jetzt allenthalben feine Geselligkeit, Gespräche über Literatur, hochschottisch aufgeputzte Kinder, zeich¬ nende Fräulein mit grünen Augengläsern, fischende Jungen im Shawl, ge¬ lehrte Theetrinker und viele andere fremdartige Erscheinungen antreffen, daß wir, statt wie früher unsre alten Röcke sparsam auszutrngen, jetzt mit eleganter neuer Gebirgstoilette erscheinen müssen, um nur noch gezählt zu werden, alles das sehn wir nun, ergeben uns ins Unvermeidliche und trösten uns damit, daß wir unsre Alpen auch noch in ihrer Reinheit und Jungfräulichkeit, in ihrer Stille und in ihrem Frieden gesehn haben." Sonst urtheilt man über die „Fremden" verschieden, doch meist günstig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/208>, abgerufen am 15.01.2025.