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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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geben. Es sah für Menschenkinder sehr plump ans, aber dennoch dachte man
bei dem engen magern Leibstück und den ungeheuern flügelartigen Aermeln
unwillkürlich, daß das Ding eigentlich zum Fliegen bestimmt sei. Jetzt hat
sich das wesentlich gebessert: die Röcke sind weiter, kürzer und faltenreicher ge¬
worden, das bürgerliche Mieder eingeführt, die Pluderärmel auf ein beschei¬
deneres Maß von Weite beschränkt, und auf dein Kopfe prangt -- sogar in
der Kirche -- unbehelligt der grüne früher excommunicirte Spitzhut mit seiner
Goldschnur und seinem Blumenstrauß. Zieht mau hier zu den Kleidern helle
Farben vor, so finden wir unten im Jnnthal eine starke Vorliebe für dunkle,
und der schlanke lustig grüne Spitzhut macht hier einem niedrigen, breitkrem¬
pigen, schwarzlackirten Hut, das grelle Roth und Weiß. Gelb und Himmelblau
der Rocke matronenhaft ernsten Schätzungen und der schwarzen Seideuschürze
der Städterinnen Platz.

Das altbayerischc Haus erinnert mit seinen bunten Farben und seinen,
mannichfachen Schnörkelwerk stark an den Rococogeschmack des siebzehn¬
ten Jahrhunderts, der sich auch in den Kirchen sehr deutlich ausprägt, sich
aber nach dem Gegensatz von Gebirg und Ebne in verschiedenen Forme"
kundgibt. Das Hans des Flachlandes ist vorwiegend ein Stein-, Ziegel -
oder Lehmbau, in der Regel einstöckig und mit einem hohen Giebeldach ver¬
sehn. Das Haus des Gebirges dagegen ist dasselbe, wie es allenthalben
in den rhätischen Alpen vorkommt: ursprünglich ein bloßer Holzbau, jetzt sast
überall unten von Stein, hat es mehre Stockwerke und el" nur wenig ge¬
neigtes Dach, welches mit schweren Steinen belegt ist, um die Bretter, welche
die Ziegel ersetzen, vor der fortreißenden Gewalt der Winterstürme zu bewah¬
ren. Bon dem Roßkopf (der beiläufig auch die Firstenden des holsteinische"
und westfälischen Bauernhnuses schmückt), oder dem Posaunenengel am ober¬
sten Bret des Giebels bis zu dem ausgeschnittenen Herz und Kelch der Scheu¬
nenwand ist allerwärts viel zimmermäuuische Kunst daran verwendet, und in
Betreff der Borliebe für schreiende Farben übertrifft der Altbayer des Gebirgs
selbst den hierin besonders starken Bruderstamm zwischen Elbe und Schlei.
Das charakteristische Merkmal des Berghauses aber ist die Laube oder der So¬
ter (Söller), eine Galerie, die mit ihrem malerischen Geländer im oberen Stock
um das ganze Gebäude herumläuft. Natürlich trifft man auch Uebergänge
und Vermischungen beider Baustilartcn, und von selbst versteht sich, daß Brände
und hohe Kornpreise Neubauten herbeiführen, bei denen städtische Muster
nachgeahmt werden. Indeß sind das doch nur Ausnahmen, und selbst wo
der reich gewordene Bauer sich ein schönes Steinhaus hinstellt mit vielen
spiegelnden Fenstern und grünen Laden, läßt er in der Regel wenigstens die
alte Laube anbringe".

Das Erdgeschoß eines Berghauses alter Art besteht aus Küche. Stube und


geben. Es sah für Menschenkinder sehr plump ans, aber dennoch dachte man
bei dem engen magern Leibstück und den ungeheuern flügelartigen Aermeln
unwillkürlich, daß das Ding eigentlich zum Fliegen bestimmt sei. Jetzt hat
sich das wesentlich gebessert: die Röcke sind weiter, kürzer und faltenreicher ge¬
worden, das bürgerliche Mieder eingeführt, die Pluderärmel auf ein beschei¬
deneres Maß von Weite beschränkt, und auf dein Kopfe prangt — sogar in
der Kirche — unbehelligt der grüne früher excommunicirte Spitzhut mit seiner
Goldschnur und seinem Blumenstrauß. Zieht mau hier zu den Kleidern helle
Farben vor, so finden wir unten im Jnnthal eine starke Vorliebe für dunkle,
und der schlanke lustig grüne Spitzhut macht hier einem niedrigen, breitkrem¬
pigen, schwarzlackirten Hut, das grelle Roth und Weiß. Gelb und Himmelblau
der Rocke matronenhaft ernsten Schätzungen und der schwarzen Seideuschürze
der Städterinnen Platz.

Das altbayerischc Haus erinnert mit seinen bunten Farben und seinen,
mannichfachen Schnörkelwerk stark an den Rococogeschmack des siebzehn¬
ten Jahrhunderts, der sich auch in den Kirchen sehr deutlich ausprägt, sich
aber nach dem Gegensatz von Gebirg und Ebne in verschiedenen Forme»
kundgibt. Das Hans des Flachlandes ist vorwiegend ein Stein-, Ziegel -
oder Lehmbau, in der Regel einstöckig und mit einem hohen Giebeldach ver¬
sehn. Das Haus des Gebirges dagegen ist dasselbe, wie es allenthalben
in den rhätischen Alpen vorkommt: ursprünglich ein bloßer Holzbau, jetzt sast
überall unten von Stein, hat es mehre Stockwerke und el» nur wenig ge¬
neigtes Dach, welches mit schweren Steinen belegt ist, um die Bretter, welche
die Ziegel ersetzen, vor der fortreißenden Gewalt der Winterstürme zu bewah¬
ren. Bon dem Roßkopf (der beiläufig auch die Firstenden des holsteinische»
und westfälischen Bauernhnuses schmückt), oder dem Posaunenengel am ober¬
sten Bret des Giebels bis zu dem ausgeschnittenen Herz und Kelch der Scheu¬
nenwand ist allerwärts viel zimmermäuuische Kunst daran verwendet, und in
Betreff der Borliebe für schreiende Farben übertrifft der Altbayer des Gebirgs
selbst den hierin besonders starken Bruderstamm zwischen Elbe und Schlei.
Das charakteristische Merkmal des Berghauses aber ist die Laube oder der So¬
ter (Söller), eine Galerie, die mit ihrem malerischen Geländer im oberen Stock
um das ganze Gebäude herumläuft. Natürlich trifft man auch Uebergänge
und Vermischungen beider Baustilartcn, und von selbst versteht sich, daß Brände
und hohe Kornpreise Neubauten herbeiführen, bei denen städtische Muster
nachgeahmt werden. Indeß sind das doch nur Ausnahmen, und selbst wo
der reich gewordene Bauer sich ein schönes Steinhaus hinstellt mit vielen
spiegelnden Fenstern und grünen Laden, läßt er in der Regel wenigstens die
alte Laube anbringe».

Das Erdgeschoß eines Berghauses alter Art besteht aus Küche. Stube und


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[0203] geben. Es sah für Menschenkinder sehr plump ans, aber dennoch dachte man bei dem engen magern Leibstück und den ungeheuern flügelartigen Aermeln unwillkürlich, daß das Ding eigentlich zum Fliegen bestimmt sei. Jetzt hat sich das wesentlich gebessert: die Röcke sind weiter, kürzer und faltenreicher ge¬ worden, das bürgerliche Mieder eingeführt, die Pluderärmel auf ein beschei¬ deneres Maß von Weite beschränkt, und auf dein Kopfe prangt — sogar in der Kirche — unbehelligt der grüne früher excommunicirte Spitzhut mit seiner Goldschnur und seinem Blumenstrauß. Zieht mau hier zu den Kleidern helle Farben vor, so finden wir unten im Jnnthal eine starke Vorliebe für dunkle, und der schlanke lustig grüne Spitzhut macht hier einem niedrigen, breitkrem¬ pigen, schwarzlackirten Hut, das grelle Roth und Weiß. Gelb und Himmelblau der Rocke matronenhaft ernsten Schätzungen und der schwarzen Seideuschürze der Städterinnen Platz. Das altbayerischc Haus erinnert mit seinen bunten Farben und seinen, mannichfachen Schnörkelwerk stark an den Rococogeschmack des siebzehn¬ ten Jahrhunderts, der sich auch in den Kirchen sehr deutlich ausprägt, sich aber nach dem Gegensatz von Gebirg und Ebne in verschiedenen Forme» kundgibt. Das Hans des Flachlandes ist vorwiegend ein Stein-, Ziegel - oder Lehmbau, in der Regel einstöckig und mit einem hohen Giebeldach ver¬ sehn. Das Haus des Gebirges dagegen ist dasselbe, wie es allenthalben in den rhätischen Alpen vorkommt: ursprünglich ein bloßer Holzbau, jetzt sast überall unten von Stein, hat es mehre Stockwerke und el» nur wenig ge¬ neigtes Dach, welches mit schweren Steinen belegt ist, um die Bretter, welche die Ziegel ersetzen, vor der fortreißenden Gewalt der Winterstürme zu bewah¬ ren. Bon dem Roßkopf (der beiläufig auch die Firstenden des holsteinische» und westfälischen Bauernhnuses schmückt), oder dem Posaunenengel am ober¬ sten Bret des Giebels bis zu dem ausgeschnittenen Herz und Kelch der Scheu¬ nenwand ist allerwärts viel zimmermäuuische Kunst daran verwendet, und in Betreff der Borliebe für schreiende Farben übertrifft der Altbayer des Gebirgs selbst den hierin besonders starken Bruderstamm zwischen Elbe und Schlei. Das charakteristische Merkmal des Berghauses aber ist die Laube oder der So¬ ter (Söller), eine Galerie, die mit ihrem malerischen Geländer im oberen Stock um das ganze Gebäude herumläuft. Natürlich trifft man auch Uebergänge und Vermischungen beider Baustilartcn, und von selbst versteht sich, daß Brände und hohe Kornpreise Neubauten herbeiführen, bei denen städtische Muster nachgeahmt werden. Indeß sind das doch nur Ausnahmen, und selbst wo der reich gewordene Bauer sich ein schönes Steinhaus hinstellt mit vielen spiegelnden Fenstern und grünen Laden, läßt er in der Regel wenigstens die alte Laube anbringe». Das Erdgeschoß eines Berghauses alter Art besteht aus Küche. Stube und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/203>, abgerufen am 15.01.2025.