Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Anerkennung, so das; sie jetzt nickt allein die Landleute, sondern auch die sei¬
nen Städter, Maler, Kupferstecher, Staatsdienstaspiranten und andere Wür¬
denträger, ja selbst norddeutsche Reisende von Distinction. berliner Geheim-
räthe und Hamburger Bankiers zu bekleiden die Ehre hat. Wenn wir die
Joppe als bayerisches Gewächs bezeichneten, so geschah es, weil sie aus bay¬
erischem Boden erst mit den Knöpfen und dem grünen Kragen ihre volle
menschenwürdige Ausbildung erhielt. Kochlerjoppe aber heißt sie erst seit we¬
nigen Jahren von einem Schneider zu Kochel, der sie besonders billig fertigt
und in grosen Ladungen nach München verkauft. Außer dieser Tracht gab
es in den einzelnen Thalschaften noch manche andere hübsche Gewandung,
wie sich denn z. B. die Iacheuauer in grüne, etwas altväterlich geschnittne
Röcke mit gelbansgenähten Knopflöchern kleideten und dazu einen niedrigen
grünen Hut mit breiter Krempe und grünen Seidenbändern aufsetzten. Jetzt
ist diese Tracht ganz verschwunden und neben ihr fast alles Aehnliche. Immer
noch hält sich dagegen der alte Brauch, die Westen mit Silbermünzen statt
der Knöpfe zu besetzen, eine landesthümliche Art, die Sparpfennige unverzins¬
lich anzulegen, die als europäisches Seitenstück zu dem Brauch der arabischen
Frauen im gelobten Lande gelten mag, sich die Stirn mit einer wurstartigen
Wulst von Silberstücken einzurahmen.

Die weibliche Tracht war bis vor Kurzem im Hauptland, um Tegernsee
und Miesbach, ungewöhnlich garstig. Sie hatte in den zwanziger Jahren
Griffe in die städtischen Moden gethan, die von sehr wenig Geschmack zeug¬
ten. Sehr richtig bemerkt Steub, daß die Tracht des Landvolkes in der Regel
nichts anderes als eine veraltete städtische ist. "Die Bauerntracht ist wie die
Alvö, die nur alle hundert Jahre blüht, der Bauer und die Bäuerin häuten
sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles Schöne,
was die wechselnde Mode den Städtern bringt, geht wieder dahin, ohne daß
vom Lande her ein Auge darauf geworfen wird -- manche Erscheinung aber,
die grade in die Zeit fällt, wo das Boll der Dörfer nach einem neuen
Schnitte lechzt, hält sich wieder mehre Menschenalter." So hatten denn auch
die Frauen und Mädchen von Tegernsee und Umgegend vermuthlich von der
höchstseligen Königin Caroline und ihren Hofdamen vor vier Jahrzehnten
die kurze Taille und den knappen Rock angenommen, welcher letztere, von
ihrem Geschmack "och verengert, sie wie eine dünne Röhre einschloß. Dazu
kamen später die weitbauschigen Armpluderhosen der sogenannten Gigotärmel
und ein schmalgekremptes grünes Hütchen, welches letztere aber wegen der ihm
einwohnenden Ueppigkeit aus der Kirche verbannt war und sür den Gang
dahin mit der "Pechhaube", einer schwarzwollnen, dicht über den Kopf ge-
gossnen Halbkugel von sehr sittsamer Gemüthsverfassung, aber sehr abscheu¬
licher Gestalt vertauscht wurde. Damit war die vollständige Libellenform ge-


Anerkennung, so das; sie jetzt nickt allein die Landleute, sondern auch die sei¬
nen Städter, Maler, Kupferstecher, Staatsdienstaspiranten und andere Wür¬
denträger, ja selbst norddeutsche Reisende von Distinction. berliner Geheim-
räthe und Hamburger Bankiers zu bekleiden die Ehre hat. Wenn wir die
Joppe als bayerisches Gewächs bezeichneten, so geschah es, weil sie aus bay¬
erischem Boden erst mit den Knöpfen und dem grünen Kragen ihre volle
menschenwürdige Ausbildung erhielt. Kochlerjoppe aber heißt sie erst seit we¬
nigen Jahren von einem Schneider zu Kochel, der sie besonders billig fertigt
und in grosen Ladungen nach München verkauft. Außer dieser Tracht gab
es in den einzelnen Thalschaften noch manche andere hübsche Gewandung,
wie sich denn z. B. die Iacheuauer in grüne, etwas altväterlich geschnittne
Röcke mit gelbansgenähten Knopflöchern kleideten und dazu einen niedrigen
grünen Hut mit breiter Krempe und grünen Seidenbändern aufsetzten. Jetzt
ist diese Tracht ganz verschwunden und neben ihr fast alles Aehnliche. Immer
noch hält sich dagegen der alte Brauch, die Westen mit Silbermünzen statt
der Knöpfe zu besetzen, eine landesthümliche Art, die Sparpfennige unverzins¬
lich anzulegen, die als europäisches Seitenstück zu dem Brauch der arabischen
Frauen im gelobten Lande gelten mag, sich die Stirn mit einer wurstartigen
Wulst von Silberstücken einzurahmen.

Die weibliche Tracht war bis vor Kurzem im Hauptland, um Tegernsee
und Miesbach, ungewöhnlich garstig. Sie hatte in den zwanziger Jahren
Griffe in die städtischen Moden gethan, die von sehr wenig Geschmack zeug¬
ten. Sehr richtig bemerkt Steub, daß die Tracht des Landvolkes in der Regel
nichts anderes als eine veraltete städtische ist. „Die Bauerntracht ist wie die
Alvö, die nur alle hundert Jahre blüht, der Bauer und die Bäuerin häuten
sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles Schöne,
was die wechselnde Mode den Städtern bringt, geht wieder dahin, ohne daß
vom Lande her ein Auge darauf geworfen wird — manche Erscheinung aber,
die grade in die Zeit fällt, wo das Boll der Dörfer nach einem neuen
Schnitte lechzt, hält sich wieder mehre Menschenalter." So hatten denn auch
die Frauen und Mädchen von Tegernsee und Umgegend vermuthlich von der
höchstseligen Königin Caroline und ihren Hofdamen vor vier Jahrzehnten
die kurze Taille und den knappen Rock angenommen, welcher letztere, von
ihrem Geschmack »och verengert, sie wie eine dünne Röhre einschloß. Dazu
kamen später die weitbauschigen Armpluderhosen der sogenannten Gigotärmel
und ein schmalgekremptes grünes Hütchen, welches letztere aber wegen der ihm
einwohnenden Ueppigkeit aus der Kirche verbannt war und sür den Gang
dahin mit der „Pechhaube", einer schwarzwollnen, dicht über den Kopf ge-
gossnen Halbkugel von sehr sittsamer Gemüthsverfassung, aber sehr abscheu¬
licher Gestalt vertauscht wurde. Damit war die vollständige Libellenform ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110550"/>
          <p xml:id="ID_546" prev="#ID_545"> Anerkennung, so das; sie jetzt nickt allein die Landleute, sondern auch die sei¬<lb/>
nen Städter, Maler, Kupferstecher, Staatsdienstaspiranten und andere Wür¬<lb/>
denträger, ja selbst norddeutsche Reisende von Distinction. berliner Geheim-<lb/>
räthe und Hamburger Bankiers zu bekleiden die Ehre hat. Wenn wir die<lb/>
Joppe als bayerisches Gewächs bezeichneten, so geschah es, weil sie aus bay¬<lb/>
erischem Boden erst mit den Knöpfen und dem grünen Kragen ihre volle<lb/>
menschenwürdige Ausbildung erhielt. Kochlerjoppe aber heißt sie erst seit we¬<lb/>
nigen Jahren von einem Schneider zu Kochel, der sie besonders billig fertigt<lb/>
und in grosen Ladungen nach München verkauft. Außer dieser Tracht gab<lb/>
es in den einzelnen Thalschaften noch manche andere hübsche Gewandung,<lb/>
wie sich denn z. B. die Iacheuauer in grüne, etwas altväterlich geschnittne<lb/>
Röcke mit gelbansgenähten Knopflöchern kleideten und dazu einen niedrigen<lb/>
grünen Hut mit breiter Krempe und grünen Seidenbändern aufsetzten. Jetzt<lb/>
ist diese Tracht ganz verschwunden und neben ihr fast alles Aehnliche. Immer<lb/>
noch hält sich dagegen der alte Brauch, die Westen mit Silbermünzen statt<lb/>
der Knöpfe zu besetzen, eine landesthümliche Art, die Sparpfennige unverzins¬<lb/>
lich anzulegen, die als europäisches Seitenstück zu dem Brauch der arabischen<lb/>
Frauen im gelobten Lande gelten mag, sich die Stirn mit einer wurstartigen<lb/>
Wulst von Silberstücken einzurahmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_547" next="#ID_548"> Die weibliche Tracht war bis vor Kurzem im Hauptland, um Tegernsee<lb/>
und Miesbach, ungewöhnlich garstig. Sie hatte in den zwanziger Jahren<lb/>
Griffe in die städtischen Moden gethan, die von sehr wenig Geschmack zeug¬<lb/>
ten. Sehr richtig bemerkt Steub, daß die Tracht des Landvolkes in der Regel<lb/>
nichts anderes als eine veraltete städtische ist. &#x201E;Die Bauerntracht ist wie die<lb/>
Alvö, die nur alle hundert Jahre blüht, der Bauer und die Bäuerin häuten<lb/>
sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles Schöne,<lb/>
was die wechselnde Mode den Städtern bringt, geht wieder dahin, ohne daß<lb/>
vom Lande her ein Auge darauf geworfen wird &#x2014; manche Erscheinung aber,<lb/>
die grade in die Zeit fällt, wo das Boll der Dörfer nach einem neuen<lb/>
Schnitte lechzt, hält sich wieder mehre Menschenalter." So hatten denn auch<lb/>
die Frauen und Mädchen von Tegernsee und Umgegend vermuthlich von der<lb/>
höchstseligen Königin Caroline und ihren Hofdamen vor vier Jahrzehnten<lb/>
die kurze Taille und den knappen Rock angenommen, welcher letztere, von<lb/>
ihrem Geschmack »och verengert, sie wie eine dünne Röhre einschloß. Dazu<lb/>
kamen später die weitbauschigen Armpluderhosen der sogenannten Gigotärmel<lb/>
und ein schmalgekremptes grünes Hütchen, welches letztere aber wegen der ihm<lb/>
einwohnenden Ueppigkeit aus der Kirche verbannt war und sür den Gang<lb/>
dahin mit der &#x201E;Pechhaube", einer schwarzwollnen, dicht über den Kopf ge-<lb/>
gossnen Halbkugel von sehr sittsamer Gemüthsverfassung, aber sehr abscheu¬<lb/>
licher Gestalt vertauscht wurde.  Damit war die vollständige Libellenform ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Anerkennung, so das; sie jetzt nickt allein die Landleute, sondern auch die sei¬ nen Städter, Maler, Kupferstecher, Staatsdienstaspiranten und andere Wür¬ denträger, ja selbst norddeutsche Reisende von Distinction. berliner Geheim- räthe und Hamburger Bankiers zu bekleiden die Ehre hat. Wenn wir die Joppe als bayerisches Gewächs bezeichneten, so geschah es, weil sie aus bay¬ erischem Boden erst mit den Knöpfen und dem grünen Kragen ihre volle menschenwürdige Ausbildung erhielt. Kochlerjoppe aber heißt sie erst seit we¬ nigen Jahren von einem Schneider zu Kochel, der sie besonders billig fertigt und in grosen Ladungen nach München verkauft. Außer dieser Tracht gab es in den einzelnen Thalschaften noch manche andere hübsche Gewandung, wie sich denn z. B. die Iacheuauer in grüne, etwas altväterlich geschnittne Röcke mit gelbansgenähten Knopflöchern kleideten und dazu einen niedrigen grünen Hut mit breiter Krempe und grünen Seidenbändern aufsetzten. Jetzt ist diese Tracht ganz verschwunden und neben ihr fast alles Aehnliche. Immer noch hält sich dagegen der alte Brauch, die Westen mit Silbermünzen statt der Knöpfe zu besetzen, eine landesthümliche Art, die Sparpfennige unverzins¬ lich anzulegen, die als europäisches Seitenstück zu dem Brauch der arabischen Frauen im gelobten Lande gelten mag, sich die Stirn mit einer wurstartigen Wulst von Silberstücken einzurahmen. Die weibliche Tracht war bis vor Kurzem im Hauptland, um Tegernsee und Miesbach, ungewöhnlich garstig. Sie hatte in den zwanziger Jahren Griffe in die städtischen Moden gethan, die von sehr wenig Geschmack zeug¬ ten. Sehr richtig bemerkt Steub, daß die Tracht des Landvolkes in der Regel nichts anderes als eine veraltete städtische ist. „Die Bauerntracht ist wie die Alvö, die nur alle hundert Jahre blüht, der Bauer und die Bäuerin häuten sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles Schöne, was die wechselnde Mode den Städtern bringt, geht wieder dahin, ohne daß vom Lande her ein Auge darauf geworfen wird — manche Erscheinung aber, die grade in die Zeit fällt, wo das Boll der Dörfer nach einem neuen Schnitte lechzt, hält sich wieder mehre Menschenalter." So hatten denn auch die Frauen und Mädchen von Tegernsee und Umgegend vermuthlich von der höchstseligen Königin Caroline und ihren Hofdamen vor vier Jahrzehnten die kurze Taille und den knappen Rock angenommen, welcher letztere, von ihrem Geschmack »och verengert, sie wie eine dünne Röhre einschloß. Dazu kamen später die weitbauschigen Armpluderhosen der sogenannten Gigotärmel und ein schmalgekremptes grünes Hütchen, welches letztere aber wegen der ihm einwohnenden Ueppigkeit aus der Kirche verbannt war und sür den Gang dahin mit der „Pechhaube", einer schwarzwollnen, dicht über den Kopf ge- gossnen Halbkugel von sehr sittsamer Gemüthsverfassung, aber sehr abscheu¬ licher Gestalt vertauscht wurde. Damit war die vollständige Libellenform ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/202>, abgerufen am 15.01.2025.