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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Weihnachten und sonst nur bei besondern Gelegenheiten, Hochzeitsschmäusen
und Kindelmahlen, Fleisch und Bier auf den Tisch. Doch ist es nicht unge¬
bräuchlich, sich des Sonntags in der Schenke ein Räuschchen zu holen. Manche
Charaktere gibt es auch, die sich absichtlich mehre Wochen des Nationalge-
tränkes ganz enthalten, dann aber einmal von Weib und Kind Abschied neh¬
men, um etliche Tage ohne Unterbrechung im Wirthshaus zu verleben: Sie
bleiben da auch die Nächte hindurch, thun am Schlüsse einen langen tiefen
Schlaf und kehren, wie von einer Badekur, neugestärkt wieder in den Schooß
ihrer Familien zurück. Der Genuß des Branntweins ist nnr im Jnnthal. wo
auch am meisten Fleisch genossen wird, in verderblicher Weise verbreitet; an¬
derwärts kennt ihn der Bauer nur als besonderes Labsal und als eine Art von
Arznei. Der Kaffee ist fast nur im Lechrain regelmäßiges Morgcngericht. In
den übrigen Strichen gibt es früh auf dem Tisch eine Milch- oder Brodsuppe
oder ein Hafermus. Dann folgt gegen 9 Uhr, in manchen Gegenden nur in
den Zeiten schwerer Arbeit, ein zweiter Imbiß aus Brot und Milch oder Kar¬
toffeln, wozu einige gekochtes Dürrobst, andere einen Trunk Halbbier, "Hainzl"
genannt, reichen. Die Mittagskost, am einfachsten im Lechrain und im Amper-
gau. am fettesten und reichsten im Jnnthal und im Iscnlcind, besteht aus
einer dicken Suppe, grünen und trocknen Gemüsen, Erdäpfeln, "Schlotter"
(gestockter Milch) und einer Auswahl von gebacknen und geschmorten Knebeln,
Nudeln, Knödeln und Krapfen, welche, meist im Winter aufgezogen, im Som¬
mer gebacken, den Stolz der Küche inffganz Altbayern ausmachen.

Die Vorliebe für Wallfahrten, Hochzeiten und Todtenmahle ist noch die¬
selbe wie zu Aventins Zeiten -- ist doch in Betreff der ersten die Religion
noch dieselbe. Der Bauer liebt den Schall und die Pracht: Processionen mit
goldgestickten Fahnen, schönen Chorgesang und Böllerkrachen, Hochämter
mit Trompeten und Pauken. Die Kirche bietet ihm Oper und Ballet, in
Oberammergau auch das Nührdrama. Er kennt nur kirchliche Festlichkeiten;
selbst die mitunter unmäßigen Tafelfreuden bei Hochzeiten und Taufen sind
nnr eine Fortsetzung des Gottesdienstes, und auf der Kirchweih tanzt er eben
auch nnr im Dienst und zu Ehren der Kirche. Um Dogmatik kümmert er sich
weniger als man im Allgemeinen annimmt. Die Wonne, welche die Ge¬
bildeten zu München an den Tag legten, als der Schöpfer durch die Kirche
seine Ansicht von der unbefleckten Empfängnis; kund gegeben, hat er schwerlich
verstanden.

Große und überflüssige Hochzeiten zu halten gilt noch heute für ehrlich
und unsträflich. Im wohlhabenden Innthale kommen bisweilen (beiläufig
ganz wie in Ostschleswig) zu solchen Ehrentagen an dritthalbhundert Gäste.
Dies gereicht, wie Aventin richtig bemerkt, keinem zu besonderem Nachtheil,
da jeder Gast seine Zeche zu bezahlen hat.


Weihnachten und sonst nur bei besondern Gelegenheiten, Hochzeitsschmäusen
und Kindelmahlen, Fleisch und Bier auf den Tisch. Doch ist es nicht unge¬
bräuchlich, sich des Sonntags in der Schenke ein Räuschchen zu holen. Manche
Charaktere gibt es auch, die sich absichtlich mehre Wochen des Nationalge-
tränkes ganz enthalten, dann aber einmal von Weib und Kind Abschied neh¬
men, um etliche Tage ohne Unterbrechung im Wirthshaus zu verleben: Sie
bleiben da auch die Nächte hindurch, thun am Schlüsse einen langen tiefen
Schlaf und kehren, wie von einer Badekur, neugestärkt wieder in den Schooß
ihrer Familien zurück. Der Genuß des Branntweins ist nnr im Jnnthal. wo
auch am meisten Fleisch genossen wird, in verderblicher Weise verbreitet; an¬
derwärts kennt ihn der Bauer nur als besonderes Labsal und als eine Art von
Arznei. Der Kaffee ist fast nur im Lechrain regelmäßiges Morgcngericht. In
den übrigen Strichen gibt es früh auf dem Tisch eine Milch- oder Brodsuppe
oder ein Hafermus. Dann folgt gegen 9 Uhr, in manchen Gegenden nur in
den Zeiten schwerer Arbeit, ein zweiter Imbiß aus Brot und Milch oder Kar¬
toffeln, wozu einige gekochtes Dürrobst, andere einen Trunk Halbbier, „Hainzl"
genannt, reichen. Die Mittagskost, am einfachsten im Lechrain und im Amper-
gau. am fettesten und reichsten im Jnnthal und im Iscnlcind, besteht aus
einer dicken Suppe, grünen und trocknen Gemüsen, Erdäpfeln, „Schlotter"
(gestockter Milch) und einer Auswahl von gebacknen und geschmorten Knebeln,
Nudeln, Knödeln und Krapfen, welche, meist im Winter aufgezogen, im Som¬
mer gebacken, den Stolz der Küche inffganz Altbayern ausmachen.

Die Vorliebe für Wallfahrten, Hochzeiten und Todtenmahle ist noch die¬
selbe wie zu Aventins Zeiten — ist doch in Betreff der ersten die Religion
noch dieselbe. Der Bauer liebt den Schall und die Pracht: Processionen mit
goldgestickten Fahnen, schönen Chorgesang und Böllerkrachen, Hochämter
mit Trompeten und Pauken. Die Kirche bietet ihm Oper und Ballet, in
Oberammergau auch das Nührdrama. Er kennt nur kirchliche Festlichkeiten;
selbst die mitunter unmäßigen Tafelfreuden bei Hochzeiten und Taufen sind
nnr eine Fortsetzung des Gottesdienstes, und auf der Kirchweih tanzt er eben
auch nnr im Dienst und zu Ehren der Kirche. Um Dogmatik kümmert er sich
weniger als man im Allgemeinen annimmt. Die Wonne, welche die Ge¬
bildeten zu München an den Tag legten, als der Schöpfer durch die Kirche
seine Ansicht von der unbefleckten Empfängnis; kund gegeben, hat er schwerlich
verstanden.

Große und überflüssige Hochzeiten zu halten gilt noch heute für ehrlich
und unsträflich. Im wohlhabenden Innthale kommen bisweilen (beiläufig
ganz wie in Ostschleswig) zu solchen Ehrentagen an dritthalbhundert Gäste.
Dies gereicht, wie Aventin richtig bemerkt, keinem zu besonderem Nachtheil,
da jeder Gast seine Zeche zu bezahlen hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/200>, abgerufen am 15.01.2025.