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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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zu Gmünd nicht günstig, und sie werden jetzt schwerlich günstiger sein. Im
Allgemeinen stellte man die kurze, aber populäre Behauptung aus: "In
Oestreich se--les!" -- "Ob man aber damit den Grafen Grünne, die schlechte
Führung im letzten Kriege, die nachlässige Verpflegung des Heeres, den Un-
kummer um die Verwundeten, die furchtbaren Unterschleife, die traurige Fi¬
nanzlage, den bedauerlichen Stand der nationalen, die große Steuerlast, das
Concordat, die Klagen der Protestanten, den unzureichenden Zustand der
Schulen, den Mangel an Pres;- und andern Freiheiten, den Abgang der Volks¬
vertretung, das verunglückte Genieindegesetz, die sehr unzulängliche Bureau¬
kratie, die Seltenheit genialer Kopfe, die weitverbreitete Verstimmung und
Hoffnungslosigkeit, die ungarischen Verhältnisse, die slawischen Zustände, die
italienischen Wirren -- oder was man immer mit jener Phrase ausdrücken
null, meint, ich weis; es nicht, Preußen dagegen scheint stellenweise an Ansehn
zu gewinnen. Ein Landkaplan sprach hier das auffallende Wort: wir müssen
jetzt mit Preußen gehn! -- Ja aber, versetzte der Wirth, wenn einer stehn
bleibt, kannst ja nicht mit ihm gehn!"

Steub meint, "wenn Preußen den Wink, den ihm der Wirth von Gmünd
gegeben, beachten wollte, würde ihm wol noch manches desperate deutsche
Seelchen zufliegen. Sein Manteuffel - Westphalen würden wir am Ende
noch ebenso leicht vergessen, als wir die Pfordten-Reigersberg ans unsern
constitutionellen Erinnerungen streichen; aber nach so laugen Lehrjahren erwar¬
ten wir von der norddeutschen Großmacht allmälig anch ein Meisterstück,
welches uns möglichst hinreißen, wenn nicht bezaubern soll."

Wir meinen, der Herr Wirth hätte nicht ganz Unrecht, wenn nun, in
Verum wüßte, daß man allenthalben im deutschen Volk, statt sich der Despe-
ration zu überlassen, die Hände zu rühren geneigt wäre, nur den Bundestag
zu überzeuge", daß es Zeit sei, sich die Meinung des Landkaplans im Her
renstübchen zu Gmünd anzueignen.

"Bleibt gern daheim und achtet nicht der Kaufmannschaft," sagt Aventin
ferner, und das ist anch sehr wahr, Während der Tiroler mit Kanarienvö-
geln, Handschuhen, Teppichen und Alpenliedern hausirend die Welt durchzieht,
ist der altgermanische Wandertrieb in Bayern uur dnrch die Flosser u>,d Schiffer
einiger Dörfer vertreten, welche den Jnn und die Donau befahren. Dazu
kommen, durch das wachsende Verlangen der Völker nach bayerischem Gersten¬
saft weggelockt, einige Braumeister, und in den letzten Jahrzehnten hat auch
Amerika seine Anziehungskraft hier geltend gemacht.

"Trinkt sehr" ist eine Aussage, die jetzt nur vom altbayerischen Städter
fast allgemein gilt. Der Landmann lebt in der Woche mäßig, von Mehl¬
speisen und Pflanzenkost, Milch und Wasser. In den "leisten Strichen kommt
nur in den fünf heilige!, Zeiten: Fastnacht, Ostern. Pfingsten, Kirchweih und


zu Gmünd nicht günstig, und sie werden jetzt schwerlich günstiger sein. Im
Allgemeinen stellte man die kurze, aber populäre Behauptung aus: „In
Oestreich se—les!" — „Ob man aber damit den Grafen Grünne, die schlechte
Führung im letzten Kriege, die nachlässige Verpflegung des Heeres, den Un-
kummer um die Verwundeten, die furchtbaren Unterschleife, die traurige Fi¬
nanzlage, den bedauerlichen Stand der nationalen, die große Steuerlast, das
Concordat, die Klagen der Protestanten, den unzureichenden Zustand der
Schulen, den Mangel an Pres;- und andern Freiheiten, den Abgang der Volks¬
vertretung, das verunglückte Genieindegesetz, die sehr unzulängliche Bureau¬
kratie, die Seltenheit genialer Kopfe, die weitverbreitete Verstimmung und
Hoffnungslosigkeit, die ungarischen Verhältnisse, die slawischen Zustände, die
italienischen Wirren — oder was man immer mit jener Phrase ausdrücken
null, meint, ich weis; es nicht, Preußen dagegen scheint stellenweise an Ansehn
zu gewinnen. Ein Landkaplan sprach hier das auffallende Wort: wir müssen
jetzt mit Preußen gehn! — Ja aber, versetzte der Wirth, wenn einer stehn
bleibt, kannst ja nicht mit ihm gehn!"

Steub meint, „wenn Preußen den Wink, den ihm der Wirth von Gmünd
gegeben, beachten wollte, würde ihm wol noch manches desperate deutsche
Seelchen zufliegen. Sein Manteuffel - Westphalen würden wir am Ende
noch ebenso leicht vergessen, als wir die Pfordten-Reigersberg ans unsern
constitutionellen Erinnerungen streichen; aber nach so laugen Lehrjahren erwar¬
ten wir von der norddeutschen Großmacht allmälig anch ein Meisterstück,
welches uns möglichst hinreißen, wenn nicht bezaubern soll."

Wir meinen, der Herr Wirth hätte nicht ganz Unrecht, wenn nun, in
Verum wüßte, daß man allenthalben im deutschen Volk, statt sich der Despe-
ration zu überlassen, die Hände zu rühren geneigt wäre, nur den Bundestag
zu überzeuge», daß es Zeit sei, sich die Meinung des Landkaplans im Her
renstübchen zu Gmünd anzueignen.

„Bleibt gern daheim und achtet nicht der Kaufmannschaft," sagt Aventin
ferner, und das ist anch sehr wahr, Während der Tiroler mit Kanarienvö-
geln, Handschuhen, Teppichen und Alpenliedern hausirend die Welt durchzieht,
ist der altgermanische Wandertrieb in Bayern uur dnrch die Flosser u>,d Schiffer
einiger Dörfer vertreten, welche den Jnn und die Donau befahren. Dazu
kommen, durch das wachsende Verlangen der Völker nach bayerischem Gersten¬
saft weggelockt, einige Braumeister, und in den letzten Jahrzehnten hat auch
Amerika seine Anziehungskraft hier geltend gemacht.

„Trinkt sehr" ist eine Aussage, die jetzt nur vom altbayerischen Städter
fast allgemein gilt. Der Landmann lebt in der Woche mäßig, von Mehl¬
speisen und Pflanzenkost, Milch und Wasser. In den »leisten Strichen kommt
nur in den fünf heilige!, Zeiten: Fastnacht, Ostern. Pfingsten, Kirchweih und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/199>, abgerufen am 15.01.2025.