Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wo er eines Abends im Herrenstübchen des Wirthshauses zu Gmünd gedenkt.
"Man will wissen, daß sich unter den Bauern schon Parteien bilden, und
daß sie ihre Journale genau nach ihrer Farbe auswählen." "Es soll sich
um Gebirge kaun, eine Poster.pedition finden, die nicht ihre dreißig Nununern
und oft wehr an bäuerliche Abonnenten spedirt, Vor dein Jahre achtund¬
vierzig, sagte der Wirth zu H., hab' ich gar nicht gewußt, daß wir einen
Staat haben. Hab' immer gemeint, was nur Bauern zahlen, schiebt der
Konig in seine Truhe und zahlt wieder aus davon was sein muß. Damals aber
haben sie mich in den Prüfungsausschuß für die Steuern genommen, und da
hab' ich öfter nachdenken müssen, und der Rentbeamte hat mir auch ein Licht
anfgezündct, so daß ich jetzt allmälig mich durchfinde." -- Für die in den ita-
lienischen Krieg ziehenden Oestreicher interessirte man sich lebhaft. Das praktische
Wohlwollen der Städte ist bekannt, was aber manches stille Durchzugsdörf-
lein an Eiern und Schmalznudeln, Käse, Wurst und Bier geopfert, ruht für
die große Welt noch in tiefem Dunkel, welches erst die bayerische Geschichte
ausheilen wird. Weitaus die meisten Männer brannten im Namen des deut¬
schen Vaterlandes (welches beiläufig mit der östreichischen Politik nichts ge¬
mein hat) für einen titanischen Sturm mit Oestreich gegen den Bonaparte.
Die Stimmung der Frauen dagegen hatte mehr eine preußische Lasur. "Wenn
diese zwei Kaiser," sagte die Wirthin von S., "etwas mit einander haben,
so sollen sie es selbst ausmachen -- zu zweien mit dem Schlagring oder mit
dem Messer oder wie sie wollen. Aber daß wir unsre Kinder dazu hergeben
sollen und unser Geld, und zuletzt das Gewerbe stillsteht und der Bettel zu
allen Fenstern hereinschaut, das ist doch ein Unsinn." Im Herrenstübchen zu
Gmünd aber trauerte fast jedermann über den jetzigen Zustand des deutschen
Baterlandes, und daß eigentlich gar niemand wisse, wie ihm ohne "National¬
unglück" zu helsen sei.

"Mit Deutschland, sagte eine Stimme, geht es grade wie mit den Losch¬
anstalten in den deutschen Reichshauptstädten. So lange es brennt und der
Himmel feuerrot!) ist, lärmt das Publikum wie besessen und schreit: das Ding
muß morgen schon besser werden. Sobald aber die Brandstätte zu rauche"
aufHort, sprechen die Weisen: Seht ihr denn nicht, daß die Wasserkästen leck,
daß die Schläuche zerrisse" sind, daß die Gewinde nicht in einander passen
und den Spritze" die nöthige Triebkraft fehlt? Wer wird jetzt die namenlosen
Opfer bringen wollen, um dies Alles zurecht zu machen? Warten wir lieber
auf ein größeres Unglück -- möglich, daß es dann etwas leichter geht." --
"Das ist (sagt Steub dazu) alles sehr tief gedacht, und nur zu befürchten, es
könnten, wenn die Vernünftigen nichts vermögen, am Ende gar die Unver¬
nünftigen die Sache in die Hand nehmen wollen."

Die Meinungen über Oestreich waren an jenem Abend im Herrenstübchen


wo er eines Abends im Herrenstübchen des Wirthshauses zu Gmünd gedenkt.
„Man will wissen, daß sich unter den Bauern schon Parteien bilden, und
daß sie ihre Journale genau nach ihrer Farbe auswählen." „Es soll sich
um Gebirge kaun, eine Poster.pedition finden, die nicht ihre dreißig Nununern
und oft wehr an bäuerliche Abonnenten spedirt, Vor dein Jahre achtund¬
vierzig, sagte der Wirth zu H., hab' ich gar nicht gewußt, daß wir einen
Staat haben. Hab' immer gemeint, was nur Bauern zahlen, schiebt der
Konig in seine Truhe und zahlt wieder aus davon was sein muß. Damals aber
haben sie mich in den Prüfungsausschuß für die Steuern genommen, und da
hab' ich öfter nachdenken müssen, und der Rentbeamte hat mir auch ein Licht
anfgezündct, so daß ich jetzt allmälig mich durchfinde." — Für die in den ita-
lienischen Krieg ziehenden Oestreicher interessirte man sich lebhaft. Das praktische
Wohlwollen der Städte ist bekannt, was aber manches stille Durchzugsdörf-
lein an Eiern und Schmalznudeln, Käse, Wurst und Bier geopfert, ruht für
die große Welt noch in tiefem Dunkel, welches erst die bayerische Geschichte
ausheilen wird. Weitaus die meisten Männer brannten im Namen des deut¬
schen Vaterlandes (welches beiläufig mit der östreichischen Politik nichts ge¬
mein hat) für einen titanischen Sturm mit Oestreich gegen den Bonaparte.
Die Stimmung der Frauen dagegen hatte mehr eine preußische Lasur. „Wenn
diese zwei Kaiser," sagte die Wirthin von S., „etwas mit einander haben,
so sollen sie es selbst ausmachen — zu zweien mit dem Schlagring oder mit
dem Messer oder wie sie wollen. Aber daß wir unsre Kinder dazu hergeben
sollen und unser Geld, und zuletzt das Gewerbe stillsteht und der Bettel zu
allen Fenstern hereinschaut, das ist doch ein Unsinn." Im Herrenstübchen zu
Gmünd aber trauerte fast jedermann über den jetzigen Zustand des deutschen
Baterlandes, und daß eigentlich gar niemand wisse, wie ihm ohne „National¬
unglück" zu helsen sei.

„Mit Deutschland, sagte eine Stimme, geht es grade wie mit den Losch¬
anstalten in den deutschen Reichshauptstädten. So lange es brennt und der
Himmel feuerrot!) ist, lärmt das Publikum wie besessen und schreit: das Ding
muß morgen schon besser werden. Sobald aber die Brandstätte zu rauche»
aufHort, sprechen die Weisen: Seht ihr denn nicht, daß die Wasserkästen leck,
daß die Schläuche zerrisse» sind, daß die Gewinde nicht in einander passen
und den Spritze» die nöthige Triebkraft fehlt? Wer wird jetzt die namenlosen
Opfer bringen wollen, um dies Alles zurecht zu machen? Warten wir lieber
auf ein größeres Unglück — möglich, daß es dann etwas leichter geht." —
„Das ist (sagt Steub dazu) alles sehr tief gedacht, und nur zu befürchten, es
könnten, wenn die Vernünftigen nichts vermögen, am Ende gar die Unver¬
nünftigen die Sache in die Hand nehmen wollen."

Die Meinungen über Oestreich waren an jenem Abend im Herrenstübchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110546"/>
          <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> wo er eines Abends im Herrenstübchen des Wirthshauses zu Gmünd gedenkt.<lb/>
&#x201E;Man will wissen, daß sich unter den Bauern schon Parteien bilden, und<lb/>
daß sie ihre Journale genau nach ihrer Farbe auswählen." &#x201E;Es soll sich<lb/>
um Gebirge kaun, eine Poster.pedition finden, die nicht ihre dreißig Nununern<lb/>
und oft wehr an bäuerliche Abonnenten spedirt, Vor dein Jahre achtund¬<lb/>
vierzig, sagte der Wirth zu H., hab' ich gar nicht gewußt, daß wir einen<lb/>
Staat haben. Hab' immer gemeint, was nur Bauern zahlen, schiebt der<lb/>
Konig in seine Truhe und zahlt wieder aus davon was sein muß. Damals aber<lb/>
haben sie mich in den Prüfungsausschuß für die Steuern genommen, und da<lb/>
hab' ich öfter nachdenken müssen, und der Rentbeamte hat mir auch ein Licht<lb/>
anfgezündct, so daß ich jetzt allmälig mich durchfinde." &#x2014; Für die in den ita-<lb/>
lienischen Krieg ziehenden Oestreicher interessirte man sich lebhaft. Das praktische<lb/>
Wohlwollen der Städte ist bekannt, was aber manches stille Durchzugsdörf-<lb/>
lein an Eiern und Schmalznudeln, Käse, Wurst und Bier geopfert, ruht für<lb/>
die große Welt noch in tiefem Dunkel, welches erst die bayerische Geschichte<lb/>
ausheilen wird. Weitaus die meisten Männer brannten im Namen des deut¬<lb/>
schen Vaterlandes (welches beiläufig mit der östreichischen Politik nichts ge¬<lb/>
mein hat) für einen titanischen Sturm mit Oestreich gegen den Bonaparte.<lb/>
Die Stimmung der Frauen dagegen hatte mehr eine preußische Lasur. &#x201E;Wenn<lb/>
diese zwei Kaiser," sagte die Wirthin von S., &#x201E;etwas mit einander haben,<lb/>
so sollen sie es selbst ausmachen &#x2014; zu zweien mit dem Schlagring oder mit<lb/>
dem Messer oder wie sie wollen. Aber daß wir unsre Kinder dazu hergeben<lb/>
sollen und unser Geld, und zuletzt das Gewerbe stillsteht und der Bettel zu<lb/>
allen Fenstern hereinschaut, das ist doch ein Unsinn." Im Herrenstübchen zu<lb/>
Gmünd aber trauerte fast jedermann über den jetzigen Zustand des deutschen<lb/>
Baterlandes, und daß eigentlich gar niemand wisse, wie ihm ohne &#x201E;National¬<lb/>
unglück" zu helsen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_532"> &#x201E;Mit Deutschland, sagte eine Stimme, geht es grade wie mit den Losch¬<lb/>
anstalten in den deutschen Reichshauptstädten. So lange es brennt und der<lb/>
Himmel feuerrot!) ist, lärmt das Publikum wie besessen und schreit: das Ding<lb/>
muß morgen schon besser werden. Sobald aber die Brandstätte zu rauche»<lb/>
aufHort, sprechen die Weisen: Seht ihr denn nicht, daß die Wasserkästen leck,<lb/>
daß die Schläuche zerrisse» sind, daß die Gewinde nicht in einander passen<lb/>
und den Spritze» die nöthige Triebkraft fehlt? Wer wird jetzt die namenlosen<lb/>
Opfer bringen wollen, um dies Alles zurecht zu machen? Warten wir lieber<lb/>
auf ein größeres Unglück &#x2014; möglich, daß es dann etwas leichter geht." &#x2014;<lb/>
&#x201E;Das ist (sagt Steub dazu) alles sehr tief gedacht, und nur zu befürchten, es<lb/>
könnten, wenn die Vernünftigen nichts vermögen, am Ende gar die Unver¬<lb/>
nünftigen die Sache in die Hand nehmen wollen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_533" next="#ID_534"> Die Meinungen über Oestreich waren an jenem Abend im Herrenstübchen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] wo er eines Abends im Herrenstübchen des Wirthshauses zu Gmünd gedenkt. „Man will wissen, daß sich unter den Bauern schon Parteien bilden, und daß sie ihre Journale genau nach ihrer Farbe auswählen." „Es soll sich um Gebirge kaun, eine Poster.pedition finden, die nicht ihre dreißig Nununern und oft wehr an bäuerliche Abonnenten spedirt, Vor dein Jahre achtund¬ vierzig, sagte der Wirth zu H., hab' ich gar nicht gewußt, daß wir einen Staat haben. Hab' immer gemeint, was nur Bauern zahlen, schiebt der Konig in seine Truhe und zahlt wieder aus davon was sein muß. Damals aber haben sie mich in den Prüfungsausschuß für die Steuern genommen, und da hab' ich öfter nachdenken müssen, und der Rentbeamte hat mir auch ein Licht anfgezündct, so daß ich jetzt allmälig mich durchfinde." — Für die in den ita- lienischen Krieg ziehenden Oestreicher interessirte man sich lebhaft. Das praktische Wohlwollen der Städte ist bekannt, was aber manches stille Durchzugsdörf- lein an Eiern und Schmalznudeln, Käse, Wurst und Bier geopfert, ruht für die große Welt noch in tiefem Dunkel, welches erst die bayerische Geschichte ausheilen wird. Weitaus die meisten Männer brannten im Namen des deut¬ schen Vaterlandes (welches beiläufig mit der östreichischen Politik nichts ge¬ mein hat) für einen titanischen Sturm mit Oestreich gegen den Bonaparte. Die Stimmung der Frauen dagegen hatte mehr eine preußische Lasur. „Wenn diese zwei Kaiser," sagte die Wirthin von S., „etwas mit einander haben, so sollen sie es selbst ausmachen — zu zweien mit dem Schlagring oder mit dem Messer oder wie sie wollen. Aber daß wir unsre Kinder dazu hergeben sollen und unser Geld, und zuletzt das Gewerbe stillsteht und der Bettel zu allen Fenstern hereinschaut, das ist doch ein Unsinn." Im Herrenstübchen zu Gmünd aber trauerte fast jedermann über den jetzigen Zustand des deutschen Baterlandes, und daß eigentlich gar niemand wisse, wie ihm ohne „National¬ unglück" zu helsen sei. „Mit Deutschland, sagte eine Stimme, geht es grade wie mit den Losch¬ anstalten in den deutschen Reichshauptstädten. So lange es brennt und der Himmel feuerrot!) ist, lärmt das Publikum wie besessen und schreit: das Ding muß morgen schon besser werden. Sobald aber die Brandstätte zu rauche» aufHort, sprechen die Weisen: Seht ihr denn nicht, daß die Wasserkästen leck, daß die Schläuche zerrisse» sind, daß die Gewinde nicht in einander passen und den Spritze» die nöthige Triebkraft fehlt? Wer wird jetzt die namenlosen Opfer bringen wollen, um dies Alles zurecht zu machen? Warten wir lieber auf ein größeres Unglück — möglich, daß es dann etwas leichter geht." — „Das ist (sagt Steub dazu) alles sehr tief gedacht, und nur zu befürchten, es könnten, wenn die Vernünftigen nichts vermögen, am Ende gar die Unver¬ nünftigen die Sache in die Hand nehmen wollen." Die Meinungen über Oestreich waren an jenem Abend im Herrenstübchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/198>, abgerufen am 15.01.2025.