Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.lehren will, was sie iwch nicht wissen; eine kleine Zahl ehrlicher Leute sehn "Aber, mein Herr! (29. Juni 1692) Frau v. Brinon, eifrig für die Reli¬ Mit der Antwort auf Molanus' Denkschrift ließ Bossuet lange warten; ') Die Schrift ist I S. 470 -- 83 abgedruckt; man vergleiche I S. 324.
lehren will, was sie iwch nicht wissen; eine kleine Zahl ehrlicher Leute sehn „Aber, mein Herr! (29. Juni 1692) Frau v. Brinon, eifrig für die Reli¬ Mit der Antwort auf Molanus' Denkschrift ließ Bossuet lange warten; ') Die Schrift ist I S. 470 — 83 abgedruckt; man vergleiche I S. 324.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110538"/> <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> lehren will, was sie iwch nicht wissen; eine kleine Zahl ehrlicher Leute sehn<lb/> dies Elend wol ein, wissen aber nicht abzuhelfen. Ich bin überzeugt, daß<lb/> bei neuen Entdeckungen von Gewicht nur das Publikum, das große und allge¬<lb/> meine Publikum, wahre Gerechtigkeit ausübt, weil in der allgemeinen freien<lb/> Discussion zuletzt die Stärksten, d. s. die Einsichtsvollsten den Sieg davon<lb/> tragen."*)</p><lb/> <p xml:id="ID_511"> „Aber, mein Herr! (29. Juni 1692) Frau v. Brinon, eifrig für die Reli¬<lb/> gion und voll Liebe für Sie. tadelt mich fortwährend in Bezug aus unsre<lb/> Briefe. Sie sagt, und ich glaube mit Recht, daß wir beiden uns so in die<lb/> Dynamik vertieft haben, daß wir gar nicht mehr an Ihre Bekehrung denken, was<lb/> doch die Hauptsache ist." — In der That war es Zeit, wieder einmal daraus<lb/> zurückzukommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Mit der Antwort auf Molanus' Denkschrift ließ Bossuet lange warten;<lb/> in der Zwischenzeit bemühte sich Leibnitz, ihn für die Ansicht zu gewinnen,<lb/> daß die Reformation, wenn auch vom dogmatischen Standpunkt zu tadeln,<lb/> doch in praktischer Beziehung ein Fortschritt gewesen sei. — Gleichzeitig (1688)<lb/> hatten Bossuet von katholischer (IliLtoiis clos variations an-s «Mses pro-<lb/> tkstantös), Seckendorf von protestantischer Seite (Lomimzut^rü lutdera-<lb/> visim) eine Geschichte derselben geschrieben; auf die letztere, die auf einem tiefen<lb/> und gründlichen Quellenstudium beruhte, machte Leibnitz seinen Gegner auf¬<lb/> merksam, obgleich er einige Ausdrücke in derselben gemäßigt wünschte; Bossuet<lb/> erwiderte (10. Jan. 1692) mit Selbstgefühl: ist sie wahr, so muß sie mit<lb/> merner übereinstimmen, denn ich habe nur für ausgemacht angenommen, was<lb/> die Gegner selbst zugestehn; und als er sie gelesen hatte (26. Mai), fand er<lb/> die chronologische Ordnung sehr langweilig, das Durcheinander der Gesichts¬<lb/> punkte unerträglich: in der That, die französische Schrift liest sich viel glatter.<lb/> Einmal (30. März) fand er sich sogar gemüßigt, von den schamlosen Lügen<lb/> Luthers und seiner Schüler zu sprechen, eine Bemerkung, die Leibnitz leider<lb/> nicht rügte, obgleich er daran erinnerte, daß in der Histoiro äos vaiia-lions<lb/> zwar alles richtig, aber doch nnr das für die Protestanten Nachtheilige hervor-<lb/> gehoben sei. In den Unterhandlungen selbst kam man nicht weiter. — Zu¬<lb/> gegeben, die Kirche sei unfehlbar, fragt Leibnitz 18. Jan. 1692: wer ist der<lb/> Träger derselben? der Papst? das Concil? oder jener abstracte Begriff, den<lb/> man vorxus oeclesiae nennt? — Soll das Concil die Kirche binden, so muß<lb/> man doch erst darüber übereinkommen, was zu einem echten, allgemeinen Concil<lb/> gehört; sonst setzt man sich der Gefahr aus. die Wahrheit zu unterdrücken. —<lb/> Offenbar gefällt ihm der schneidende Ton nicht, den Bossuet im Gegensatz<lb/> zum höflichen Pellissvn angeschlagen hat. und wenn er damit anfängt, sich<lb/> zu freuen, daß man endlich die Ufer der Bidassoa überschritten hat. um sich</p><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> ') Die Schrift ist I S. 470 — 83 abgedruckt; man vergleiche I S. 324.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
lehren will, was sie iwch nicht wissen; eine kleine Zahl ehrlicher Leute sehn
dies Elend wol ein, wissen aber nicht abzuhelfen. Ich bin überzeugt, daß
bei neuen Entdeckungen von Gewicht nur das Publikum, das große und allge¬
meine Publikum, wahre Gerechtigkeit ausübt, weil in der allgemeinen freien
Discussion zuletzt die Stärksten, d. s. die Einsichtsvollsten den Sieg davon
tragen."*)
„Aber, mein Herr! (29. Juni 1692) Frau v. Brinon, eifrig für die Reli¬
gion und voll Liebe für Sie. tadelt mich fortwährend in Bezug aus unsre
Briefe. Sie sagt, und ich glaube mit Recht, daß wir beiden uns so in die
Dynamik vertieft haben, daß wir gar nicht mehr an Ihre Bekehrung denken, was
doch die Hauptsache ist." — In der That war es Zeit, wieder einmal daraus
zurückzukommen.
Mit der Antwort auf Molanus' Denkschrift ließ Bossuet lange warten;
in der Zwischenzeit bemühte sich Leibnitz, ihn für die Ansicht zu gewinnen,
daß die Reformation, wenn auch vom dogmatischen Standpunkt zu tadeln,
doch in praktischer Beziehung ein Fortschritt gewesen sei. — Gleichzeitig (1688)
hatten Bossuet von katholischer (IliLtoiis clos variations an-s «Mses pro-
tkstantös), Seckendorf von protestantischer Seite (Lomimzut^rü lutdera-
visim) eine Geschichte derselben geschrieben; auf die letztere, die auf einem tiefen
und gründlichen Quellenstudium beruhte, machte Leibnitz seinen Gegner auf¬
merksam, obgleich er einige Ausdrücke in derselben gemäßigt wünschte; Bossuet
erwiderte (10. Jan. 1692) mit Selbstgefühl: ist sie wahr, so muß sie mit
merner übereinstimmen, denn ich habe nur für ausgemacht angenommen, was
die Gegner selbst zugestehn; und als er sie gelesen hatte (26. Mai), fand er
die chronologische Ordnung sehr langweilig, das Durcheinander der Gesichts¬
punkte unerträglich: in der That, die französische Schrift liest sich viel glatter.
Einmal (30. März) fand er sich sogar gemüßigt, von den schamlosen Lügen
Luthers und seiner Schüler zu sprechen, eine Bemerkung, die Leibnitz leider
nicht rügte, obgleich er daran erinnerte, daß in der Histoiro äos vaiia-lions
zwar alles richtig, aber doch nnr das für die Protestanten Nachtheilige hervor-
gehoben sei. In den Unterhandlungen selbst kam man nicht weiter. — Zu¬
gegeben, die Kirche sei unfehlbar, fragt Leibnitz 18. Jan. 1692: wer ist der
Träger derselben? der Papst? das Concil? oder jener abstracte Begriff, den
man vorxus oeclesiae nennt? — Soll das Concil die Kirche binden, so muß
man doch erst darüber übereinkommen, was zu einem echten, allgemeinen Concil
gehört; sonst setzt man sich der Gefahr aus. die Wahrheit zu unterdrücken. —
Offenbar gefällt ihm der schneidende Ton nicht, den Bossuet im Gegensatz
zum höflichen Pellissvn angeschlagen hat. und wenn er damit anfängt, sich
zu freuen, daß man endlich die Ufer der Bidassoa überschritten hat. um sich
') Die Schrift ist I S. 470 — 83 abgedruckt; man vergleiche I S. 324.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |