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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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neue etwas Geheimnißvolles findet. Das stimme am besten mit der Schrift,
und er könne es auch philosophisch rechtfertigen, dnrch eine neue Theorie, die
an Stelle der mechanischen Bewegung von Körpern (Ausdehnungen), wie sie
Cartesius lehrt, ein System der Wechselwirkung von Kräften (Substanzen) stelle.
(Dynamik). Er habe darüber einen Aufsatz an das Journal des Savans
eingeschickt, und hoffe, den so wichtigen Gegenstand noch weiter zu begründen,
der das Eigenthümliche hat, daß die abstracten Gedanken wunderbar durch
die Erfahrung bestätigt werden, "ze hu'ilz^Ig, un beau melÄNFsäsmets-xlr^si^ne,
cle geometi-le et as M^siyue, ganz abgesehn von dem Vortheil, die Mög¬
lichkeit des Mysteriums zu erweisen. Pellisson ist (23. Oct.) sehr begierig da¬
rauf; die meisten seiner Freunde sind Carlesi.mer, er selbst aber ist neutral:
"die Philosophie ist der Religion nicht wesentlich, die ganze menschliche Wis¬
senschaft kann falsch sein, und die Religion doch wahr bleiben. Meinetwegen
mag sich die Erde um die Sonne drehen, mit Josua ist doch irgend ein
Wunder vorgefallen! Gott hat nicht die Absicht gehabt, uns die Physik oder
Astronomie beizubringen; Substanz oder Ausdehnung, gleichviel, immer bleibt
es wahr, pu'eil 1'LueIiÄristie, vu Ah teils hörte on de "mei^ne autre
(man höre den Franzosen!) es <^ni xaratt etre eneors n'est xlus et es <mi
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bequemsten: denn es wäre ja lächerlich, etwas für unmöglich auszugeben;
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(Bezaubernd!) Aber, fällt ihm ein, ich rede da wie der Blinde von den
Farben. -- Leibnitz setzt ihm nun seine Dynamik und seine Abweichungen
von Cartesius näher auseinander (19. Nov.), nicht ganz zur Zufriedenheit
Pellissons: denn durch seine Erklärung hebt er ja das Wunder auf und
hält es daher am Ende doch nicht mit der Augsburgischen Confession
(30. Dec. I S. 220). Aber Leibnitz beruhigt ihn über dies Mißverständniß
(18. Jan. 1692): es ist ein Unterschied zwischen Substanz und Substanz (vgl.
S. 276); und daher möge sein Freund doch dafür sorgen, daß die Abhand¬
lung endlich gedruckt werde. Auch Bossuet liest sie mit Interesse (30. März):
"in der Religion hasse ich alle Neuerungen, in der Philosophie freue ich mich
darüber; und wenn ich aus dem Lande bin und etwas Muße habe, so widme
ich mit Vergnügen und Nutzen diesen angenehmen Speculationen ein wenig
Zeit. Uebngens bin ich in Bezug auf diese Dinge ziemlich gleichgültig. Frei-
lich habe ich meine kleine Meinung, aber ich lasse mich gern belehren. * --
Pellisson reicht das Manuscript P9. Juni) der Akademie der Wissenschaften
ein; "aber l.19. Octl".) sie wird sich fürchten, ein Urtheil abzugeben. Sie ist
uneinig: ein Theil verdammt alles, was er nicht versteht, die Andern, aus
lächerlichem Dünkel auf ihren Ruhm, nehmen es übel, wenn man sie etwas


Grenzboten IV. 1660. 23

neue etwas Geheimnißvolles findet. Das stimme am besten mit der Schrift,
und er könne es auch philosophisch rechtfertigen, dnrch eine neue Theorie, die
an Stelle der mechanischen Bewegung von Körpern (Ausdehnungen), wie sie
Cartesius lehrt, ein System der Wechselwirkung von Kräften (Substanzen) stelle.
(Dynamik). Er habe darüber einen Aufsatz an das Journal des Savans
eingeschickt, und hoffe, den so wichtigen Gegenstand noch weiter zu begründen,
der das Eigenthümliche hat, daß die abstracten Gedanken wunderbar durch
die Erfahrung bestätigt werden, «ze hu'ilz^Ig, un beau melÄNFsäsmets-xlr^si^ne,
cle geometi-le et as M^siyue, ganz abgesehn von dem Vortheil, die Mög¬
lichkeit des Mysteriums zu erweisen. Pellisson ist (23. Oct.) sehr begierig da¬
rauf; die meisten seiner Freunde sind Carlesi.mer, er selbst aber ist neutral:
„die Philosophie ist der Religion nicht wesentlich, die ganze menschliche Wis¬
senschaft kann falsch sein, und die Religion doch wahr bleiben. Meinetwegen
mag sich die Erde um die Sonne drehen, mit Josua ist doch irgend ein
Wunder vorgefallen! Gott hat nicht die Absicht gehabt, uns die Physik oder
Astronomie beizubringen; Substanz oder Ausdehnung, gleichviel, immer bleibt
es wahr, pu'eil 1'LueIiÄristie, vu Ah teils hörte on de «mei^ne autre
(man höre den Franzosen!) es <^ni xaratt etre eneors n'est xlus et es <mi
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bequemsten: denn es wäre ja lächerlich, etwas für unmöglich auszugeben;
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(Bezaubernd!) Aber, fällt ihm ein, ich rede da wie der Blinde von den
Farben. — Leibnitz setzt ihm nun seine Dynamik und seine Abweichungen
von Cartesius näher auseinander (19. Nov.), nicht ganz zur Zufriedenheit
Pellissons: denn durch seine Erklärung hebt er ja das Wunder auf und
hält es daher am Ende doch nicht mit der Augsburgischen Confession
(30. Dec. I S. 220). Aber Leibnitz beruhigt ihn über dies Mißverständniß
(18. Jan. 1692): es ist ein Unterschied zwischen Substanz und Substanz (vgl.
S. 276); und daher möge sein Freund doch dafür sorgen, daß die Abhand¬
lung endlich gedruckt werde. Auch Bossuet liest sie mit Interesse (30. März):
„in der Religion hasse ich alle Neuerungen, in der Philosophie freue ich mich
darüber; und wenn ich aus dem Lande bin und etwas Muße habe, so widme
ich mit Vergnügen und Nutzen diesen angenehmen Speculationen ein wenig
Zeit. Uebngens bin ich in Bezug auf diese Dinge ziemlich gleichgültig. Frei-
lich habe ich meine kleine Meinung, aber ich lasse mich gern belehren. * —
Pellisson reicht das Manuscript P9. Juni) der Akademie der Wissenschaften
ein; „aber l.19. Octl».) sie wird sich fürchten, ein Urtheil abzugeben. Sie ist
uneinig: ein Theil verdammt alles, was er nicht versteht, die Andern, aus
lächerlichem Dünkel auf ihren Ruhm, nehmen es übel, wenn man sie etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/189>, abgerufen am 15.01.2025.