Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ungen abschließe, zu fürchten sei, daß aus zwei Kirchen nicht eine, sondern
drei hervorgehn: -- eine Bemerkung, die auf der Hand liegt, und die Leib¬
nitz' Scharfsinn doch ganz entgangen war!

Bossuet (29. Sept. 1691) stimmt sofort einen höheren Ton an: er ist
nicht, wie Peltisso", ein theologischer Dilettant, er vertritt sein Amt. seine
Kirche. Er ist ein offener und würdiger Gegner -- "Derartige Unternehmungen
gelingen nicht auf einen Wurf; man macht sich nicht so rasch von seinen Bor-
urthcilen los. Indessen ist der Anfang immer gut. Aber, um sich nicht
zu täuschen, muß man mit Bestimmtheit vernehmen, daß die Kirche zwar,
nach Zeit und Gelegenheit, in Nebensachen und in der Disciplin^ etwas nach¬
geben kann, niemals aber in irgend einem Punkt der beschlossenen Doctrin;
nie in einem Punkt des Tridentiner Concils (das in Bezug auf die Doctrin
in Frankreich ebenso anerkannt ist wie anderwärts). -- Sinais! Keine Ca-
pitulation, denn ohne Subordination wäre die Kirche nichts als un asLLmblagö
monLtruvux, wo Jeder thäte, was er Lust hatte und nach Gutdünken die
allgemeine Harmonie unterbräche." -- Leibnitz ist betroffen, aber er gibt die
Hoffnung nicht auf: "die Frage ist (29. Sept.), ob man nicht unter folgen¬
den Bedingungen eine vorläufige Gemeinschaft der Kirchen herstellen kann:
1) den Protestanten werden einige Punkte der Disciplin nachgegeben, z. B.
Abendmahl in beiden Gestalten, Priesterehe, Gebrauch des Deutschen beim
Gottesdienst; 2) es werden ihnen über die streitigen Punkte, im Sinn der
Exposition von Bossuet, Erläuterungen gegeben, ani t'out voir, an moins ac
l'avizu as x1usi<mi'8 xrotsstiurs IrMlos et M0ä6i'6s, Huc clss äoetrwös xri-
SW alias 8vn8, <M0ihn'eUe8 us leur zMÄlsseut x^8 eneorö de>ues8
vvtiöremeut vöritMes (wie zart ausgedrückt!), "e leur Mraissvot xourtaut
xg.8 äamitiMW von Ms; 3) Abschaffung der schreiendsten, allgemein aner¬
kannten Mißbräuche; 4) Entscheidung eines künftigen Concils über die noch
streitigen Punkte; 5) bis dahin im Boraus Herstellung der Hierarchie und Ge¬
meinschaft der Sacramente. Von unserer Seite ist nun alles geschehn, wir
sind an der äußersten Grenze der Nachgiebigkeit angelangt, uscM g-räh,
und haben das Recht zu erwarten, daß man uns entgegenkomme; wo nicht,
so fällt der Tadel des Schisma ganz aus die andere Seite. -- Um aber
Bossuet in Stand zu setzen, das Geschäft vollständig zu übersehn, arbeitet Mola¬
nus auf der Grundlage des Abkommens von 1683 die Logitatiouos xrivatae
aus, welche Leibnitz 17. Den. und 28. Dec. 1691 an Bossuet überschickt: die
obigem fünf Punkte bilden ihren wesentlichen Inhalt.

Der Briefwechsel mit Pellisson hatte inzwischen eine andere Wendung
genommen. Auf die Frage, welcher Ansicht er in Bezug auf das Abendmahl
sei, hatte Leibnitz (Juni 1691) sich für die Augsburgische Konfession erklärt,
welche die wahre Gegenwart des Leibes und Bluts annimmt, und im sacra-


ungen abschließe, zu fürchten sei, daß aus zwei Kirchen nicht eine, sondern
drei hervorgehn: — eine Bemerkung, die auf der Hand liegt, und die Leib¬
nitz' Scharfsinn doch ganz entgangen war!

Bossuet (29. Sept. 1691) stimmt sofort einen höheren Ton an: er ist
nicht, wie Peltisso», ein theologischer Dilettant, er vertritt sein Amt. seine
Kirche. Er ist ein offener und würdiger Gegner — „Derartige Unternehmungen
gelingen nicht auf einen Wurf; man macht sich nicht so rasch von seinen Bor-
urthcilen los. Indessen ist der Anfang immer gut. Aber, um sich nicht
zu täuschen, muß man mit Bestimmtheit vernehmen, daß die Kirche zwar,
nach Zeit und Gelegenheit, in Nebensachen und in der Disciplin^ etwas nach¬
geben kann, niemals aber in irgend einem Punkt der beschlossenen Doctrin;
nie in einem Punkt des Tridentiner Concils (das in Bezug auf die Doctrin
in Frankreich ebenso anerkannt ist wie anderwärts). — Sinais! Keine Ca-
pitulation, denn ohne Subordination wäre die Kirche nichts als un asLLmblagö
monLtruvux, wo Jeder thäte, was er Lust hatte und nach Gutdünken die
allgemeine Harmonie unterbräche." — Leibnitz ist betroffen, aber er gibt die
Hoffnung nicht auf: „die Frage ist (29. Sept.), ob man nicht unter folgen¬
den Bedingungen eine vorläufige Gemeinschaft der Kirchen herstellen kann:
1) den Protestanten werden einige Punkte der Disciplin nachgegeben, z. B.
Abendmahl in beiden Gestalten, Priesterehe, Gebrauch des Deutschen beim
Gottesdienst; 2) es werden ihnen über die streitigen Punkte, im Sinn der
Exposition von Bossuet, Erläuterungen gegeben, ani t'out voir, an moins ac
l'avizu as x1usi<mi'8 xrotsstiurs IrMlos et M0ä6i'6s, Huc clss äoetrwös xri-
SW alias 8vn8, <M0ihn'eUe8 us leur zMÄlsseut x^8 eneorö de>ues8
vvtiöremeut vöritMes (wie zart ausgedrückt!), »e leur Mraissvot xourtaut
xg.8 äamitiMW von Ms; 3) Abschaffung der schreiendsten, allgemein aner¬
kannten Mißbräuche; 4) Entscheidung eines künftigen Concils über die noch
streitigen Punkte; 5) bis dahin im Boraus Herstellung der Hierarchie und Ge¬
meinschaft der Sacramente. Von unserer Seite ist nun alles geschehn, wir
sind an der äußersten Grenze der Nachgiebigkeit angelangt, uscM g-räh,
und haben das Recht zu erwarten, daß man uns entgegenkomme; wo nicht,
so fällt der Tadel des Schisma ganz aus die andere Seite. — Um aber
Bossuet in Stand zu setzen, das Geschäft vollständig zu übersehn, arbeitet Mola¬
nus auf der Grundlage des Abkommens von 1683 die Logitatiouos xrivatae
aus, welche Leibnitz 17. Den. und 28. Dec. 1691 an Bossuet überschickt: die
obigem fünf Punkte bilden ihren wesentlichen Inhalt.

Der Briefwechsel mit Pellisson hatte inzwischen eine andere Wendung
genommen. Auf die Frage, welcher Ansicht er in Bezug auf das Abendmahl
sei, hatte Leibnitz (Juni 1691) sich für die Augsburgische Konfession erklärt,
welche die wahre Gegenwart des Leibes und Bluts annimmt, und im sacra-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110536"/>
          <p xml:id="ID_506" prev="#ID_505"> ungen abschließe, zu fürchten sei, daß aus zwei Kirchen nicht eine, sondern<lb/>
drei hervorgehn: &#x2014; eine Bemerkung, die auf der Hand liegt, und die Leib¬<lb/>
nitz' Scharfsinn doch ganz entgangen war!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_507"> Bossuet (29. Sept. 1691) stimmt sofort einen höheren Ton an: er ist<lb/>
nicht, wie Peltisso», ein theologischer Dilettant, er vertritt sein Amt. seine<lb/>
Kirche. Er ist ein offener und würdiger Gegner &#x2014; &#x201E;Derartige Unternehmungen<lb/>
gelingen nicht auf einen Wurf; man macht sich nicht so rasch von seinen Bor-<lb/>
urthcilen los. Indessen ist der Anfang immer gut. Aber, um sich nicht<lb/>
zu täuschen, muß man mit Bestimmtheit vernehmen, daß die Kirche zwar,<lb/>
nach Zeit und Gelegenheit, in Nebensachen und in der Disciplin^ etwas nach¬<lb/>
geben kann, niemals aber in irgend einem Punkt der beschlossenen Doctrin;<lb/>
nie in einem Punkt des Tridentiner Concils (das in Bezug auf die Doctrin<lb/>
in Frankreich ebenso anerkannt ist wie anderwärts). &#x2014; Sinais! Keine Ca-<lb/>
pitulation, denn ohne Subordination wäre die Kirche nichts als un asLLmblagö<lb/>
monLtruvux, wo Jeder thäte, was er Lust hatte und nach Gutdünken die<lb/>
allgemeine Harmonie unterbräche." &#x2014; Leibnitz ist betroffen, aber er gibt die<lb/>
Hoffnung nicht auf: &#x201E;die Frage ist (29. Sept.), ob man nicht unter folgen¬<lb/>
den Bedingungen eine vorläufige Gemeinschaft der Kirchen herstellen kann:<lb/>
1) den Protestanten werden einige Punkte der Disciplin nachgegeben, z. B.<lb/>
Abendmahl in beiden Gestalten, Priesterehe, Gebrauch des Deutschen beim<lb/>
Gottesdienst; 2) es werden ihnen über die streitigen Punkte, im Sinn der<lb/>
Exposition von Bossuet, Erläuterungen gegeben, ani t'out voir, an moins ac<lb/>
l'avizu as x1usi&lt;mi'8 xrotsstiurs IrMlos et M0ä6i'6s, Huc clss äoetrwös xri-<lb/>
SW alias 8vn8, &lt;M0ihn'eUe8 us leur zMÄlsseut x^8 eneorö de&gt;ues8<lb/>
vvtiöremeut vöritMes (wie zart ausgedrückt!), »e leur Mraissvot xourtaut<lb/>
xg.8 äamitiMW von Ms; 3) Abschaffung der schreiendsten, allgemein aner¬<lb/>
kannten Mißbräuche; 4) Entscheidung eines künftigen Concils über die noch<lb/>
streitigen Punkte; 5) bis dahin im Boraus Herstellung der Hierarchie und Ge¬<lb/>
meinschaft der Sacramente. Von unserer Seite ist nun alles geschehn, wir<lb/>
sind an der äußersten Grenze der Nachgiebigkeit angelangt, uscM g-räh,<lb/>
und haben das Recht zu erwarten, daß man uns entgegenkomme; wo nicht,<lb/>
so fällt der Tadel des Schisma ganz aus die andere Seite. &#x2014; Um aber<lb/>
Bossuet in Stand zu setzen, das Geschäft vollständig zu übersehn, arbeitet Mola¬<lb/>
nus auf der Grundlage des Abkommens von 1683 die Logitatiouos xrivatae<lb/>
aus, welche Leibnitz 17. Den. und 28. Dec. 1691 an Bossuet überschickt: die<lb/>
obigem fünf Punkte bilden ihren wesentlichen Inhalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> Der Briefwechsel mit Pellisson hatte inzwischen eine andere Wendung<lb/>
genommen. Auf die Frage, welcher Ansicht er in Bezug auf das Abendmahl<lb/>
sei, hatte Leibnitz (Juni 1691) sich für die Augsburgische Konfession erklärt,<lb/>
welche die wahre Gegenwart des Leibes und Bluts annimmt, und im sacra-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] ungen abschließe, zu fürchten sei, daß aus zwei Kirchen nicht eine, sondern drei hervorgehn: — eine Bemerkung, die auf der Hand liegt, und die Leib¬ nitz' Scharfsinn doch ganz entgangen war! Bossuet (29. Sept. 1691) stimmt sofort einen höheren Ton an: er ist nicht, wie Peltisso», ein theologischer Dilettant, er vertritt sein Amt. seine Kirche. Er ist ein offener und würdiger Gegner — „Derartige Unternehmungen gelingen nicht auf einen Wurf; man macht sich nicht so rasch von seinen Bor- urthcilen los. Indessen ist der Anfang immer gut. Aber, um sich nicht zu täuschen, muß man mit Bestimmtheit vernehmen, daß die Kirche zwar, nach Zeit und Gelegenheit, in Nebensachen und in der Disciplin^ etwas nach¬ geben kann, niemals aber in irgend einem Punkt der beschlossenen Doctrin; nie in einem Punkt des Tridentiner Concils (das in Bezug auf die Doctrin in Frankreich ebenso anerkannt ist wie anderwärts). — Sinais! Keine Ca- pitulation, denn ohne Subordination wäre die Kirche nichts als un asLLmblagö monLtruvux, wo Jeder thäte, was er Lust hatte und nach Gutdünken die allgemeine Harmonie unterbräche." — Leibnitz ist betroffen, aber er gibt die Hoffnung nicht auf: „die Frage ist (29. Sept.), ob man nicht unter folgen¬ den Bedingungen eine vorläufige Gemeinschaft der Kirchen herstellen kann: 1) den Protestanten werden einige Punkte der Disciplin nachgegeben, z. B. Abendmahl in beiden Gestalten, Priesterehe, Gebrauch des Deutschen beim Gottesdienst; 2) es werden ihnen über die streitigen Punkte, im Sinn der Exposition von Bossuet, Erläuterungen gegeben, ani t'out voir, an moins ac l'avizu as x1usi<mi'8 xrotsstiurs IrMlos et M0ä6i'6s, Huc clss äoetrwös xri- SW alias 8vn8, <M0ihn'eUe8 us leur zMÄlsseut x^8 eneorö de>ues8 vvtiöremeut vöritMes (wie zart ausgedrückt!), »e leur Mraissvot xourtaut xg.8 äamitiMW von Ms; 3) Abschaffung der schreiendsten, allgemein aner¬ kannten Mißbräuche; 4) Entscheidung eines künftigen Concils über die noch streitigen Punkte; 5) bis dahin im Boraus Herstellung der Hierarchie und Ge¬ meinschaft der Sacramente. Von unserer Seite ist nun alles geschehn, wir sind an der äußersten Grenze der Nachgiebigkeit angelangt, uscM g-räh, und haben das Recht zu erwarten, daß man uns entgegenkomme; wo nicht, so fällt der Tadel des Schisma ganz aus die andere Seite. — Um aber Bossuet in Stand zu setzen, das Geschäft vollständig zu übersehn, arbeitet Mola¬ nus auf der Grundlage des Abkommens von 1683 die Logitatiouos xrivatae aus, welche Leibnitz 17. Den. und 28. Dec. 1691 an Bossuet überschickt: die obigem fünf Punkte bilden ihren wesentlichen Inhalt. Der Briefwechsel mit Pellisson hatte inzwischen eine andere Wendung genommen. Auf die Frage, welcher Ansicht er in Bezug auf das Abendmahl sei, hatte Leibnitz (Juni 1691) sich für die Augsburgische Konfession erklärt, welche die wahre Gegenwart des Leibes und Bluts annimmt, und im sacra-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/188>, abgerufen am 15.01.2025.