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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Frage nah, ob nicht der wiederkehrende Anlaß in ähnlicher Weise benutzt wer¬
den sollte, um mittelst des Zollvereins eine stärkere Einigung deutscher Mittel
und Kräfte zur Verwendung für nationale Zwecke zu bewirken.

Zwei Einwürfe gegen die Erörterung dieser Frage im gegenwärtigen
Augenblicke sind von vornherein zu erwarten. Der erste sagt, es sei noch
zu früh, um über Aenderungen an Verträgen zu sprechen, welche erst nach fünf
Jahren ablaufen. Allein wenn eine Regierung glaubt, wesentliche Verbesse¬
rungen der Verträge bei ihren Zollverbündeten beantragen zu müssen, so hat
sie damit vor Ablauf der Kündigungsfrist, also vor Ende 1863 vorzuge¬
hen, weil sie später kein wirksames Mittel mehr in Händen hat. ihrer Stimme
Nachdruck zu verleihen. Will man aber vor Ablauf der Kündigungsfrist die
nöthigen Schritte thun, um sich mit möglichst vielen Bundesgenossen über
gemeinsame Vorschläge zu verständigen, so sind zwei Jahre kein zu langer
Zeitraum für Verhandlungen zwischen Regierungen deutscher Bundes- und
Zollvereinsstaaten. Es wäre daher nichts weniger als verfrüht, wenn eine
Negierung mit dem Jahre 1861 anfangen würde, Vorschläge in Betreff der
Erneuerung. Abänderung und Erweiterung der Zollvereinsvertrüge vorzubereiten.
Dabei könnte der sehr hoch anzuschlagende Vortheil erreicht werden, daß eine
Kündigung und damit die Erschütterung vermieden würde, welche 18S2 die
Interessen der Gewerbe und des Handels so stark beschädigt hat. Entsprechen
die Vorschläge dem Bedürfnisse der Einigung über gemeinsame Interessen und
der Wegräumung von Hindernissen in der freien Entfaltung der Production
und des Verkehrs, dann wird ihnen die öffentliche Meinung zu Hilfe kommen
und den Widerstand brechen. -- Der zweite Einwand erklärt, daß die ein¬
heitliche Leitung der nationalen Interessen nicht durch die Fortbildung des
Zollvereins erreicht werden könne, und daß der Versuch jedenfalls zu viel Zeit
erfordern würde, Angesichts der gegenwärtigen politischen Verwicklungen, welche
dringend mahnen, die Kräfte der Nation schleunigst zusammenzufassen und für
die Vertheidigung des deutschen Vaterlandes verwendbar zu machen. -- Gegen
diese Betrachtung haben wir nichts zu erinnern. Es soll uns lieb sein, wenn
die langsame, immerhin ungenügende Arbeit der Fortbildung des Zollvereins
für Zwecke der politischen Einigung überflüssig gemacht wird. Vielleicht ent¬
schließt sich die hohe Bundesversammlung, die Reichsverfassung von 1849
einzuführen und eine neue Kaiserdeputation nach Berlin zu entsenden; oder
-- was sicherlich weniger überraschen würde, -- es drängen die Ereignisse,
beleben an rechter Stelle den Geist der Initiative, bringen ihm den energischen
Ausdruck des Willens der Nation entgegen und lassen dann auch, was als
unerläßlich für die Selbsterhaltung erkannt und ersehnt wird, als erreichbar
erscheinen. Tritt ein deutscher Bundesstaat vor Ablauf der Zvllvereinsverträge
ins Leben, so wird seine Verfassung ohne Zweifel eine Bestimmung über die


Frage nah, ob nicht der wiederkehrende Anlaß in ähnlicher Weise benutzt wer¬
den sollte, um mittelst des Zollvereins eine stärkere Einigung deutscher Mittel
und Kräfte zur Verwendung für nationale Zwecke zu bewirken.

Zwei Einwürfe gegen die Erörterung dieser Frage im gegenwärtigen
Augenblicke sind von vornherein zu erwarten. Der erste sagt, es sei noch
zu früh, um über Aenderungen an Verträgen zu sprechen, welche erst nach fünf
Jahren ablaufen. Allein wenn eine Regierung glaubt, wesentliche Verbesse¬
rungen der Verträge bei ihren Zollverbündeten beantragen zu müssen, so hat
sie damit vor Ablauf der Kündigungsfrist, also vor Ende 1863 vorzuge¬
hen, weil sie später kein wirksames Mittel mehr in Händen hat. ihrer Stimme
Nachdruck zu verleihen. Will man aber vor Ablauf der Kündigungsfrist die
nöthigen Schritte thun, um sich mit möglichst vielen Bundesgenossen über
gemeinsame Vorschläge zu verständigen, so sind zwei Jahre kein zu langer
Zeitraum für Verhandlungen zwischen Regierungen deutscher Bundes- und
Zollvereinsstaaten. Es wäre daher nichts weniger als verfrüht, wenn eine
Negierung mit dem Jahre 1861 anfangen würde, Vorschläge in Betreff der
Erneuerung. Abänderung und Erweiterung der Zollvereinsvertrüge vorzubereiten.
Dabei könnte der sehr hoch anzuschlagende Vortheil erreicht werden, daß eine
Kündigung und damit die Erschütterung vermieden würde, welche 18S2 die
Interessen der Gewerbe und des Handels so stark beschädigt hat. Entsprechen
die Vorschläge dem Bedürfnisse der Einigung über gemeinsame Interessen und
der Wegräumung von Hindernissen in der freien Entfaltung der Production
und des Verkehrs, dann wird ihnen die öffentliche Meinung zu Hilfe kommen
und den Widerstand brechen. — Der zweite Einwand erklärt, daß die ein¬
heitliche Leitung der nationalen Interessen nicht durch die Fortbildung des
Zollvereins erreicht werden könne, und daß der Versuch jedenfalls zu viel Zeit
erfordern würde, Angesichts der gegenwärtigen politischen Verwicklungen, welche
dringend mahnen, die Kräfte der Nation schleunigst zusammenzufassen und für
die Vertheidigung des deutschen Vaterlandes verwendbar zu machen. — Gegen
diese Betrachtung haben wir nichts zu erinnern. Es soll uns lieb sein, wenn
die langsame, immerhin ungenügende Arbeit der Fortbildung des Zollvereins
für Zwecke der politischen Einigung überflüssig gemacht wird. Vielleicht ent¬
schließt sich die hohe Bundesversammlung, die Reichsverfassung von 1849
einzuführen und eine neue Kaiserdeputation nach Berlin zu entsenden; oder
— was sicherlich weniger überraschen würde, — es drängen die Ereignisse,
beleben an rechter Stelle den Geist der Initiative, bringen ihm den energischen
Ausdruck des Willens der Nation entgegen und lassen dann auch, was als
unerläßlich für die Selbsterhaltung erkannt und ersehnt wird, als erreichbar
erscheinen. Tritt ein deutscher Bundesstaat vor Ablauf der Zvllvereinsverträge
ins Leben, so wird seine Verfassung ohne Zweifel eine Bestimmung über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/16>, abgerufen am 15.01.2025.