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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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sährdcte viel und tief verzweigte Interessen. Die Unsicherheit der Verhältnisse
erzeugte eine allgemeine Stockung des Verkehrs. Der Schaden drohte un¬
berechenbar zu werden, und es zeigte sich gar bald, daß die mühsam errungene
Freiheit des Verkehrs unter deutschen Ländern nicht so leicht zu zerstören, als es
bisher leicht gewesen war. Fortschritte auf dem Wege der Einigung zu hinter¬
treiben. Es half nicht, daß in Bayern das Petitioniren für die Erhaltung
des Zollvereins verboten wurde. Die wiener Entwürfe schmolzen zu einem
Vertrage zwischen Preußen und Oestreich vom 19. Februar 1853 über
gegenseitige Erleichterungen des Verkehrs; den Staaten, welche am 1. Januar
1854 dem Zollvereine angehören würden, so wie den gegenwärtigen und zu¬
künftigen italienischen Zollverbündcten Oestreichs blieb der Beitritt offen. Am
4. April 1353 kam der Verlag über Fortdauer und Erweiterung des Zoll¬
vereins (Aufnahme des Stcuervereins) zwischen den betreffenden Regierungen
zum Abschlüsse.*)

Der Versuch, der militärisch-diplomatischen Ueberrumpelung Deutschlands
von 1850 eine handelspolitische folgen zu lassen, war gescheitert. Der Zoll¬
verein hatte einen Zuwachs von gleichartigen Elementen erhalten und die
Nordsee erreicht. Oestreich stand endlich in einem vertragsmäßigen Verhältnisse
zu dem deutschen Zollverein, welcher in Bezug auf Tarifsätze, Behandlung der
Waaren, Erhebung und Sicherung der Zolleinnahmcn den gegenseitigen Ver¬
kehr erleichterte und ausdehnte, und den Weg zu fortschreitender Annäherung
zeigte. Haben wir nicht hier auf dem Felde der Verkehrspolitik ein Vorbild
des Verhältnisses, welches die beiderseitigen Interessen sür Deutschland und
Oestreich in der all gemeinen Politik anzeigen, den engeren und den weiteren
Bund, den deutschen Bundesstaat, mit Oestreich völkerrechtlich geeinigt? Diese
Form, welche gegenseitige Bekriegung ausschließt, gegenseitige Hilfsleistung
bedingt, ist aus dem Chaos von Ideen, welche seit der formellen Beseitigung
der Verfassung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation bis zum heu¬
tigen Tage aufgetaucht siud, immer wieder hervorgetreten als das Mindeste,
was der Nation gewährt werden muß, vielleicht aber auch als das Höchste,
was auf dem Wege friedlicher Verständigung erreicht werden kann. Außer
dieser Form gibt es nur die gegenwärtige Bundesanarchie mit ihren traurigen
Folgen, oder das Fortschreiten zum Einheitsstaate auf den Bahnen, welche die
Geschicke zeigen werden.

Haben die Vorgänge bei Erneuerung der Verträge in den Jahren 1851
bis 1853 gezeigt, daß der Zollverein jeden Widerstand gegen zeitgemäße Fort¬
bildung überwinden kann, weil er als nothwendig erkannt ist, so liegt die



-) Die Aktenstücke über die Vcrsnmmluiigcn im Jnhre 16S2 sind zusammengestellt in der
Schrift: Beiträge zur Beurtheilung der Zollvereinsfrngc. Berlin, 1852. Berlcig der Dcckcr-
schcn Geh. Ober-Hofbuchdruckerei. --
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sährdcte viel und tief verzweigte Interessen. Die Unsicherheit der Verhältnisse
erzeugte eine allgemeine Stockung des Verkehrs. Der Schaden drohte un¬
berechenbar zu werden, und es zeigte sich gar bald, daß die mühsam errungene
Freiheit des Verkehrs unter deutschen Ländern nicht so leicht zu zerstören, als es
bisher leicht gewesen war. Fortschritte auf dem Wege der Einigung zu hinter¬
treiben. Es half nicht, daß in Bayern das Petitioniren für die Erhaltung
des Zollvereins verboten wurde. Die wiener Entwürfe schmolzen zu einem
Vertrage zwischen Preußen und Oestreich vom 19. Februar 1853 über
gegenseitige Erleichterungen des Verkehrs; den Staaten, welche am 1. Januar
1854 dem Zollvereine angehören würden, so wie den gegenwärtigen und zu¬
künftigen italienischen Zollverbündcten Oestreichs blieb der Beitritt offen. Am
4. April 1353 kam der Verlag über Fortdauer und Erweiterung des Zoll¬
vereins (Aufnahme des Stcuervereins) zwischen den betreffenden Regierungen
zum Abschlüsse.*)

Der Versuch, der militärisch-diplomatischen Ueberrumpelung Deutschlands
von 1850 eine handelspolitische folgen zu lassen, war gescheitert. Der Zoll¬
verein hatte einen Zuwachs von gleichartigen Elementen erhalten und die
Nordsee erreicht. Oestreich stand endlich in einem vertragsmäßigen Verhältnisse
zu dem deutschen Zollverein, welcher in Bezug auf Tarifsätze, Behandlung der
Waaren, Erhebung und Sicherung der Zolleinnahmcn den gegenseitigen Ver¬
kehr erleichterte und ausdehnte, und den Weg zu fortschreitender Annäherung
zeigte. Haben wir nicht hier auf dem Felde der Verkehrspolitik ein Vorbild
des Verhältnisses, welches die beiderseitigen Interessen sür Deutschland und
Oestreich in der all gemeinen Politik anzeigen, den engeren und den weiteren
Bund, den deutschen Bundesstaat, mit Oestreich völkerrechtlich geeinigt? Diese
Form, welche gegenseitige Bekriegung ausschließt, gegenseitige Hilfsleistung
bedingt, ist aus dem Chaos von Ideen, welche seit der formellen Beseitigung
der Verfassung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation bis zum heu¬
tigen Tage aufgetaucht siud, immer wieder hervorgetreten als das Mindeste,
was der Nation gewährt werden muß, vielleicht aber auch als das Höchste,
was auf dem Wege friedlicher Verständigung erreicht werden kann. Außer
dieser Form gibt es nur die gegenwärtige Bundesanarchie mit ihren traurigen
Folgen, oder das Fortschreiten zum Einheitsstaate auf den Bahnen, welche die
Geschicke zeigen werden.

Haben die Vorgänge bei Erneuerung der Verträge in den Jahren 1851
bis 1853 gezeigt, daß der Zollverein jeden Widerstand gegen zeitgemäße Fort¬
bildung überwinden kann, weil er als nothwendig erkannt ist, so liegt die



-) Die Aktenstücke über die Vcrsnmmluiigcn im Jnhre 16S2 sind zusammengestellt in der
Schrift: Beiträge zur Beurtheilung der Zollvereinsfrngc. Berlin, 1852. Berlcig der Dcckcr-
schcn Geh. Ober-Hofbuchdruckerei. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/15>, abgerufen am 15.01.2025.