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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ihren Unmuth aus Gründen diplomatischer Etikette und aus politischen Ten¬
denzen geschöpft. Sie fanden es rücksichtslos und verletzend, daß Preußen,
ohne seine alten Zollverbündeten zu fragen, mit den Regierungen des Steuer¬
vereins abgeschlossen habe; daß es nun die Kündigung wie eine Pistole ihnen
auf die Brust setze, um sie zu zwingen, die neuen Genossen unter den von
Preußen einseitig vereinbarten Bedingungen aufzunehmen. Sie schleppten, um
Preußen ein Paroli zu biegen. Oestreich herbei, welches schon 1850 den Ein¬
tritt in den Zollverein stürmisch verlangt hatte, und erklärten: wenn wir euern
Steuerverein nehmen sollen, so müßt ihr unser Oestreich nehmen. -- Der Weg,
welchen Preußen eingeschlagen, war allerdings nicht mit Rücksichten gepflastert;
aber es war der einzige, der zum Ziele führen konnte. Der Zollverein würde
seine Grenzen nie an die Küsten der Nordsee, an die Mündungen der Elbe,
Weser und Ems vorgeschoben haben, wenn es nur in Folge eines einstimmigen
Beschlusses der Vereinsstaaten hätte geschehn können. Ist doch bis jetzt die
Beseitigung der Durchgangszölle an dem Verlangen einer Regierung gescheitert,
daß gleichzeitig etwas anderes geschehe, was der Zollverein nicht leisten kann.

Im April 1852 tagten die Preußen widerstrebenden Regierungen in
Darmstadt. Sie verlangten, daß Oestreich ebenso wie Hannover in Berlin
mit berathe. Vergebens wurde ihnen vorgehalten, daß Hannover sich ver¬
pflichtet habe, dem Zollverein sofort beizutreten, Oestreich dagegen nicht, daß
der Zollverein, dessen Fortbestand durch die Kündigung in Frage gestellt wor¬
den, erst wieder zur Existenz gelangt sein müsse, bevor er mit Oestreich über
eine commercielle Annäherung unterhandeln könne. Vergebens machte Preußen
die bindendsten Erklärungen, daß es. sobald der Zollverein neu begründet sei,
mit Oestreich auf einer bestimmten Grundlage zu verhandeln und abzuschließen
bereit sei. Die Darmstädter hatten sich untereinander und gegen Oestreich ver¬
pflichtet, den Zollverein nicht eher zum Abschluß zu bringen, bis die in Wien
verabredeten Entwürfe über einen Zoll- und Handelsvertag und, über die inner¬
halb vier oder sechs Jahren erfolgende Zollcinigung mit Oestreich von Preu¬
ßen angenommen seien. Oestreich dagegen garantirte (!) den Darmstädtern eine
bestimmte Quote des Zollertrags auf den Kopf der Bevölkerung. Der Dualis¬
mus, welcher die politische Zerrissenheit Deutschlands unterhält, sollte auch in
das Gebiet des Verkehrs hineingetragen werden.

Wir wissen nicht, in wie weit die Finanzminister der darmstädter Coalition
durch die östreichische Garantie ihrer Zolleinnahmen beruhigt gewesen sein
mögen. Das aber ist bekannt, daß ihre Steuerpflichtigen durch die drohende
Sprengung des Zollvereins in die größte Unruhe geriethen. Angesichts des
östreichischen Silberagio, mit welchem man sich befreunden sollte, hörte die
Gemüthlichkeit auf; die Störung der auf dein freien Markte mit dem Norden
gepflogenen Verbindungen durch Wiedereinschiebung von Mauthschranken ge-


ihren Unmuth aus Gründen diplomatischer Etikette und aus politischen Ten¬
denzen geschöpft. Sie fanden es rücksichtslos und verletzend, daß Preußen,
ohne seine alten Zollverbündeten zu fragen, mit den Regierungen des Steuer¬
vereins abgeschlossen habe; daß es nun die Kündigung wie eine Pistole ihnen
auf die Brust setze, um sie zu zwingen, die neuen Genossen unter den von
Preußen einseitig vereinbarten Bedingungen aufzunehmen. Sie schleppten, um
Preußen ein Paroli zu biegen. Oestreich herbei, welches schon 1850 den Ein¬
tritt in den Zollverein stürmisch verlangt hatte, und erklärten: wenn wir euern
Steuerverein nehmen sollen, so müßt ihr unser Oestreich nehmen. — Der Weg,
welchen Preußen eingeschlagen, war allerdings nicht mit Rücksichten gepflastert;
aber es war der einzige, der zum Ziele führen konnte. Der Zollverein würde
seine Grenzen nie an die Küsten der Nordsee, an die Mündungen der Elbe,
Weser und Ems vorgeschoben haben, wenn es nur in Folge eines einstimmigen
Beschlusses der Vereinsstaaten hätte geschehn können. Ist doch bis jetzt die
Beseitigung der Durchgangszölle an dem Verlangen einer Regierung gescheitert,
daß gleichzeitig etwas anderes geschehe, was der Zollverein nicht leisten kann.

Im April 1852 tagten die Preußen widerstrebenden Regierungen in
Darmstadt. Sie verlangten, daß Oestreich ebenso wie Hannover in Berlin
mit berathe. Vergebens wurde ihnen vorgehalten, daß Hannover sich ver¬
pflichtet habe, dem Zollverein sofort beizutreten, Oestreich dagegen nicht, daß
der Zollverein, dessen Fortbestand durch die Kündigung in Frage gestellt wor¬
den, erst wieder zur Existenz gelangt sein müsse, bevor er mit Oestreich über
eine commercielle Annäherung unterhandeln könne. Vergebens machte Preußen
die bindendsten Erklärungen, daß es. sobald der Zollverein neu begründet sei,
mit Oestreich auf einer bestimmten Grundlage zu verhandeln und abzuschließen
bereit sei. Die Darmstädter hatten sich untereinander und gegen Oestreich ver¬
pflichtet, den Zollverein nicht eher zum Abschluß zu bringen, bis die in Wien
verabredeten Entwürfe über einen Zoll- und Handelsvertag und, über die inner¬
halb vier oder sechs Jahren erfolgende Zollcinigung mit Oestreich von Preu¬
ßen angenommen seien. Oestreich dagegen garantirte (!) den Darmstädtern eine
bestimmte Quote des Zollertrags auf den Kopf der Bevölkerung. Der Dualis¬
mus, welcher die politische Zerrissenheit Deutschlands unterhält, sollte auch in
das Gebiet des Verkehrs hineingetragen werden.

Wir wissen nicht, in wie weit die Finanzminister der darmstädter Coalition
durch die östreichische Garantie ihrer Zolleinnahmen beruhigt gewesen sein
mögen. Das aber ist bekannt, daß ihre Steuerpflichtigen durch die drohende
Sprengung des Zollvereins in die größte Unruhe geriethen. Angesichts des
östreichischen Silberagio, mit welchem man sich befreunden sollte, hörte die
Gemüthlichkeit auf; die Störung der auf dein freien Markte mit dem Norden
gepflogenen Verbindungen durch Wiedereinschiebung von Mauthschranken ge-


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[0014] ihren Unmuth aus Gründen diplomatischer Etikette und aus politischen Ten¬ denzen geschöpft. Sie fanden es rücksichtslos und verletzend, daß Preußen, ohne seine alten Zollverbündeten zu fragen, mit den Regierungen des Steuer¬ vereins abgeschlossen habe; daß es nun die Kündigung wie eine Pistole ihnen auf die Brust setze, um sie zu zwingen, die neuen Genossen unter den von Preußen einseitig vereinbarten Bedingungen aufzunehmen. Sie schleppten, um Preußen ein Paroli zu biegen. Oestreich herbei, welches schon 1850 den Ein¬ tritt in den Zollverein stürmisch verlangt hatte, und erklärten: wenn wir euern Steuerverein nehmen sollen, so müßt ihr unser Oestreich nehmen. — Der Weg, welchen Preußen eingeschlagen, war allerdings nicht mit Rücksichten gepflastert; aber es war der einzige, der zum Ziele führen konnte. Der Zollverein würde seine Grenzen nie an die Küsten der Nordsee, an die Mündungen der Elbe, Weser und Ems vorgeschoben haben, wenn es nur in Folge eines einstimmigen Beschlusses der Vereinsstaaten hätte geschehn können. Ist doch bis jetzt die Beseitigung der Durchgangszölle an dem Verlangen einer Regierung gescheitert, daß gleichzeitig etwas anderes geschehe, was der Zollverein nicht leisten kann. Im April 1852 tagten die Preußen widerstrebenden Regierungen in Darmstadt. Sie verlangten, daß Oestreich ebenso wie Hannover in Berlin mit berathe. Vergebens wurde ihnen vorgehalten, daß Hannover sich ver¬ pflichtet habe, dem Zollverein sofort beizutreten, Oestreich dagegen nicht, daß der Zollverein, dessen Fortbestand durch die Kündigung in Frage gestellt wor¬ den, erst wieder zur Existenz gelangt sein müsse, bevor er mit Oestreich über eine commercielle Annäherung unterhandeln könne. Vergebens machte Preußen die bindendsten Erklärungen, daß es. sobald der Zollverein neu begründet sei, mit Oestreich auf einer bestimmten Grundlage zu verhandeln und abzuschließen bereit sei. Die Darmstädter hatten sich untereinander und gegen Oestreich ver¬ pflichtet, den Zollverein nicht eher zum Abschluß zu bringen, bis die in Wien verabredeten Entwürfe über einen Zoll- und Handelsvertag und, über die inner¬ halb vier oder sechs Jahren erfolgende Zollcinigung mit Oestreich von Preu¬ ßen angenommen seien. Oestreich dagegen garantirte (!) den Darmstädtern eine bestimmte Quote des Zollertrags auf den Kopf der Bevölkerung. Der Dualis¬ mus, welcher die politische Zerrissenheit Deutschlands unterhält, sollte auch in das Gebiet des Verkehrs hineingetragen werden. Wir wissen nicht, in wie weit die Finanzminister der darmstädter Coalition durch die östreichische Garantie ihrer Zolleinnahmen beruhigt gewesen sein mögen. Das aber ist bekannt, daß ihre Steuerpflichtigen durch die drohende Sprengung des Zollvereins in die größte Unruhe geriethen. Angesichts des östreichischen Silberagio, mit welchem man sich befreunden sollte, hörte die Gemüthlichkeit auf; die Störung der auf dein freien Markte mit dem Norden gepflogenen Verbindungen durch Wiedereinschiebung von Mauthschranken ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/14>, abgerufen am 15.01.2025.