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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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comiticn verliehen haben, welches die übrigen sechs Zünfte, wie das Proletariat
überhaupt, anfänglich gar nicht besaßen und erst später in beschränktem Maße
erhielten. In wie geringem Ansehn übrigens das Handwerk schon damals
stand, geht aus dem Umstände hervor, daß der Steuerpflichtige und also zum
Kriegsdienste berechtigte Römer, da es nun einmal unumgänglich nothwendig
war, lieber in seiner Mitte eine Anzahl besitzloser Werkleute dulden als sich
selbst zur Erlernung handwerksmäßiger Verrichtungen herablassen wollte, durch
welche die Verwendung dieser Proletarier im Heere überflüssig geworden wäre.

Daß dieses Ansehn nie stieg, beweisen die Aeußerungen späterer Schriftsteller
zur Genüge. Ist mich die Angabe des Dionys von Halikarnaß irrig, daß
das Gesetz die Bürger vom Stande der Handwerker ausgeschlossen habe, so
werden doch gewiß nnr die ärmsten unter ihnen des Unterhalts wegen für
sich oder für andre gearbeitet und die Würde des Quinten "durch banause
Verrichtungen, die mit einer sitzenden Lebensmeise verbunden sind, schändliche
Begierden wecken und Leib und Seele zu Grnnde richten" um des Leibes
Nahrung und Nothdurft willen aufgeopfert haben. Daß man diesen Aermsten,
die ohnedies an der Staatsregierung so gut wie gar keinen Antheil hatten,
auch in Zunftsachen nur eine geringe Autonomie gestattet haben wird, die sich
wol schwerlich lU'er eine gewisse Regelung ihrer genossenschaftlichen Angelegen¬
heiten innerhalb der einzelnen Innungen erstreckte, ist durchaus wahrscheinlich,
ja es gewinnt den Anschein, daß die Eintheilung dieser besitzlosen, zu Neue¬
rungen leicht erregbaren niedern Bürgerschaft in Zünfte, an deren Spitze ein
Obermeister stand, mehr eine staatspolizeiliche Maßregel war, wodurch die
allen Könige den unruhigen Geist leichter in Schranken zu halten suchten.
An eine selbständige Gestaltung dieser Zünfte, wie wir eine solche in den oben be¬
zeichneten mittelalterlichen Handwerksgenossenschaften finden, ist wol nicht zu
denken, noch weniger aber daran, daß Numa die neun Kollegien gestiftet
habe, um die Verschmelzung von Römern und Sabinern, der sich anfänglich
Schwierigkeiten entgegenstellten, dadurch zu erleichtern.

Diese Körperschaften, welche in dem Zwölftafelgesetze bestätigt wurden,
hatten ihre eignen gottesdienstlichen Gebriwche und Schutzgötter; ihre Vorsteher,
denen die Sorge für das Gemeinsame oblag, waren mit der Anordnung von
Zusammenkünften und der Veranstaltung von Festlichkeiten, namentlich bei den
compitalicischen Spielen, betraut. Außer diesen gesetzlichen alten Zünften bil¬
deten sich im Laufe der Zeit mehrere neue: das Bäckerhandwerk, für welches
ehedem in Rom bei der einfachen und mäßigen Lebensweise der Bürger kein
Bedürfniß da war, scheint erst nach dem Kriege mit Perseus, also nicht viel
vor dem Jahre 600 der Stadt eine zünftige Gestaltung erlangt zu haben,
und wol in noch spätrer Zeit suchten die Schreiber und Kaufleute sich in Gil¬
den abzuschließen, was ihnen natürlich bei der Gewerbefreiheit nur bis zu


comiticn verliehen haben, welches die übrigen sechs Zünfte, wie das Proletariat
überhaupt, anfänglich gar nicht besaßen und erst später in beschränktem Maße
erhielten. In wie geringem Ansehn übrigens das Handwerk schon damals
stand, geht aus dem Umstände hervor, daß der Steuerpflichtige und also zum
Kriegsdienste berechtigte Römer, da es nun einmal unumgänglich nothwendig
war, lieber in seiner Mitte eine Anzahl besitzloser Werkleute dulden als sich
selbst zur Erlernung handwerksmäßiger Verrichtungen herablassen wollte, durch
welche die Verwendung dieser Proletarier im Heere überflüssig geworden wäre.

Daß dieses Ansehn nie stieg, beweisen die Aeußerungen späterer Schriftsteller
zur Genüge. Ist mich die Angabe des Dionys von Halikarnaß irrig, daß
das Gesetz die Bürger vom Stande der Handwerker ausgeschlossen habe, so
werden doch gewiß nnr die ärmsten unter ihnen des Unterhalts wegen für
sich oder für andre gearbeitet und die Würde des Quinten „durch banause
Verrichtungen, die mit einer sitzenden Lebensmeise verbunden sind, schändliche
Begierden wecken und Leib und Seele zu Grnnde richten" um des Leibes
Nahrung und Nothdurft willen aufgeopfert haben. Daß man diesen Aermsten,
die ohnedies an der Staatsregierung so gut wie gar keinen Antheil hatten,
auch in Zunftsachen nur eine geringe Autonomie gestattet haben wird, die sich
wol schwerlich lU'er eine gewisse Regelung ihrer genossenschaftlichen Angelegen¬
heiten innerhalb der einzelnen Innungen erstreckte, ist durchaus wahrscheinlich,
ja es gewinnt den Anschein, daß die Eintheilung dieser besitzlosen, zu Neue¬
rungen leicht erregbaren niedern Bürgerschaft in Zünfte, an deren Spitze ein
Obermeister stand, mehr eine staatspolizeiliche Maßregel war, wodurch die
allen Könige den unruhigen Geist leichter in Schranken zu halten suchten.
An eine selbständige Gestaltung dieser Zünfte, wie wir eine solche in den oben be¬
zeichneten mittelalterlichen Handwerksgenossenschaften finden, ist wol nicht zu
denken, noch weniger aber daran, daß Numa die neun Kollegien gestiftet
habe, um die Verschmelzung von Römern und Sabinern, der sich anfänglich
Schwierigkeiten entgegenstellten, dadurch zu erleichtern.

Diese Körperschaften, welche in dem Zwölftafelgesetze bestätigt wurden,
hatten ihre eignen gottesdienstlichen Gebriwche und Schutzgötter; ihre Vorsteher,
denen die Sorge für das Gemeinsame oblag, waren mit der Anordnung von
Zusammenkünften und der Veranstaltung von Festlichkeiten, namentlich bei den
compitalicischen Spielen, betraut. Außer diesen gesetzlichen alten Zünften bil¬
deten sich im Laufe der Zeit mehrere neue: das Bäckerhandwerk, für welches
ehedem in Rom bei der einfachen und mäßigen Lebensweise der Bürger kein
Bedürfniß da war, scheint erst nach dem Kriege mit Perseus, also nicht viel
vor dem Jahre 600 der Stadt eine zünftige Gestaltung erlangt zu haben,
und wol in noch spätrer Zeit suchten die Schreiber und Kaufleute sich in Gil¬
den abzuschließen, was ihnen natürlich bei der Gewerbefreiheit nur bis zu


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[0146] comiticn verliehen haben, welches die übrigen sechs Zünfte, wie das Proletariat überhaupt, anfänglich gar nicht besaßen und erst später in beschränktem Maße erhielten. In wie geringem Ansehn übrigens das Handwerk schon damals stand, geht aus dem Umstände hervor, daß der Steuerpflichtige und also zum Kriegsdienste berechtigte Römer, da es nun einmal unumgänglich nothwendig war, lieber in seiner Mitte eine Anzahl besitzloser Werkleute dulden als sich selbst zur Erlernung handwerksmäßiger Verrichtungen herablassen wollte, durch welche die Verwendung dieser Proletarier im Heere überflüssig geworden wäre. Daß dieses Ansehn nie stieg, beweisen die Aeußerungen späterer Schriftsteller zur Genüge. Ist mich die Angabe des Dionys von Halikarnaß irrig, daß das Gesetz die Bürger vom Stande der Handwerker ausgeschlossen habe, so werden doch gewiß nnr die ärmsten unter ihnen des Unterhalts wegen für sich oder für andre gearbeitet und die Würde des Quinten „durch banause Verrichtungen, die mit einer sitzenden Lebensmeise verbunden sind, schändliche Begierden wecken und Leib und Seele zu Grnnde richten" um des Leibes Nahrung und Nothdurft willen aufgeopfert haben. Daß man diesen Aermsten, die ohnedies an der Staatsregierung so gut wie gar keinen Antheil hatten, auch in Zunftsachen nur eine geringe Autonomie gestattet haben wird, die sich wol schwerlich lU'er eine gewisse Regelung ihrer genossenschaftlichen Angelegen¬ heiten innerhalb der einzelnen Innungen erstreckte, ist durchaus wahrscheinlich, ja es gewinnt den Anschein, daß die Eintheilung dieser besitzlosen, zu Neue¬ rungen leicht erregbaren niedern Bürgerschaft in Zünfte, an deren Spitze ein Obermeister stand, mehr eine staatspolizeiliche Maßregel war, wodurch die allen Könige den unruhigen Geist leichter in Schranken zu halten suchten. An eine selbständige Gestaltung dieser Zünfte, wie wir eine solche in den oben be¬ zeichneten mittelalterlichen Handwerksgenossenschaften finden, ist wol nicht zu denken, noch weniger aber daran, daß Numa die neun Kollegien gestiftet habe, um die Verschmelzung von Römern und Sabinern, der sich anfänglich Schwierigkeiten entgegenstellten, dadurch zu erleichtern. Diese Körperschaften, welche in dem Zwölftafelgesetze bestätigt wurden, hatten ihre eignen gottesdienstlichen Gebriwche und Schutzgötter; ihre Vorsteher, denen die Sorge für das Gemeinsame oblag, waren mit der Anordnung von Zusammenkünften und der Veranstaltung von Festlichkeiten, namentlich bei den compitalicischen Spielen, betraut. Außer diesen gesetzlichen alten Zünften bil¬ deten sich im Laufe der Zeit mehrere neue: das Bäckerhandwerk, für welches ehedem in Rom bei der einfachen und mäßigen Lebensweise der Bürger kein Bedürfniß da war, scheint erst nach dem Kriege mit Perseus, also nicht viel vor dem Jahre 600 der Stadt eine zünftige Gestaltung erlangt zu haben, und wol in noch spätrer Zeit suchten die Schreiber und Kaufleute sich in Gil¬ den abzuschließen, was ihnen natürlich bei der Gewerbefreiheit nur bis zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/146>, abgerufen am 15.01.2025.