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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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anstößig gehalten. Die Eltern werden gewöhnlich als die natürlichen
Feinde treuer Liebhaber beschrieben; und als solche wird es nicht nur für
erlaubt, sondern im höchsten Grade für preisenswerth gehalten, sie zu
schmähen, betrügen und selbst gradeweg zu berauben. Aber das roman¬
tische Princip von Liebe in einer Hütte, welches unter den Nomeos und Ju¬
lien der feineren Poesie herrscht, findet hier keine Anwendung, denn es ist
immer dafür gesorgt, daß der eine oder andere Theil des verliebten Paares
mit ..reichen Mitteln" versorgt ist. und oftmals wird der genaue Betrag der
Mitgift nachdrücklich erwähnt. Beispiele von reichen Ladies, die sich in junge
Männer vom niedrigsten Rang verlieben, sind (in der Balladenwelt) außeror¬
dentlich zahlreich; Matrosen und Knechte oder Arbeitsmänner (ladourins doz^s)
scheinen die Würdigsten für solche Glücksfälle.

Beispiele genug für das hier Gesagte finden sich in unsrer eignen kleinen
Collection. So heißt es in ,,der treuen Liebhaberin Klage" -- unter dem
Sinnbild und Zeichen, wie gesagt, des Elephanten:

Darauf erzählt die treue Libhaberin, wie ihre Mutter sie bei der Hand
genommen und ihr gesagt habe: ..Wenn Du in Reilly -- (beiläufig heißen
u"ter zwölf Balladenliebhabern zehn stets Willy oder William Reilly, zur Er¬
innerung an einen jungen Katholiken gleichen Namens, der vor 65 Jahren
die Tochter eines reichen Protestanten triumphreich entführte) verliebt bist, so
laß ihn dieses Land verlassen; denn Dein Bater sagt, er will sein Leben
haben."

Die Liebhaberin nimmt das Geld, läuft zu Reilly, gibt es ihm und sagt,
er möge noch diese Nacht das Land verlassen, ihr Vater habe die Flinte
schon geladen, "segle nach Amerika und ich will folgen Dir." Er nimmt das
Geld, bricht seinen Ring entzwei, sagt: "habe mein Herz und meinen halben
Ring, bis zum Wiedersehn." und segelt ab; aber schon nach dreien Tagen
kommt er wieder, um sie zu holen. Das Schiff leidet Schiffbruch. Alle kom¬
men um. und ihr Vater findet sie mit ihrem Liebsten, Arm in Arm, todt an
der Küste. In ihrem Busen trägt sie einen Brief, der mit Blut geschrieben
war. des Inhalts: "grausam war mein Vater, der meinen Liebsten todt¬
schießen wollte;" und die Moral lautet:


anstößig gehalten. Die Eltern werden gewöhnlich als die natürlichen
Feinde treuer Liebhaber beschrieben; und als solche wird es nicht nur für
erlaubt, sondern im höchsten Grade für preisenswerth gehalten, sie zu
schmähen, betrügen und selbst gradeweg zu berauben. Aber das roman¬
tische Princip von Liebe in einer Hütte, welches unter den Nomeos und Ju¬
lien der feineren Poesie herrscht, findet hier keine Anwendung, denn es ist
immer dafür gesorgt, daß der eine oder andere Theil des verliebten Paares
mit ..reichen Mitteln" versorgt ist. und oftmals wird der genaue Betrag der
Mitgift nachdrücklich erwähnt. Beispiele von reichen Ladies, die sich in junge
Männer vom niedrigsten Rang verlieben, sind (in der Balladenwelt) außeror¬
dentlich zahlreich; Matrosen und Knechte oder Arbeitsmänner (ladourins doz^s)
scheinen die Würdigsten für solche Glücksfälle.

Beispiele genug für das hier Gesagte finden sich in unsrer eignen kleinen
Collection. So heißt es in ,,der treuen Liebhaberin Klage" — unter dem
Sinnbild und Zeichen, wie gesagt, des Elephanten:

Darauf erzählt die treue Libhaberin, wie ihre Mutter sie bei der Hand
genommen und ihr gesagt habe: ..Wenn Du in Reilly — (beiläufig heißen
u»ter zwölf Balladenliebhabern zehn stets Willy oder William Reilly, zur Er¬
innerung an einen jungen Katholiken gleichen Namens, der vor 65 Jahren
die Tochter eines reichen Protestanten triumphreich entführte) verliebt bist, so
laß ihn dieses Land verlassen; denn Dein Bater sagt, er will sein Leben
haben."

Die Liebhaberin nimmt das Geld, läuft zu Reilly, gibt es ihm und sagt,
er möge noch diese Nacht das Land verlassen, ihr Vater habe die Flinte
schon geladen, „segle nach Amerika und ich will folgen Dir." Er nimmt das
Geld, bricht seinen Ring entzwei, sagt: „habe mein Herz und meinen halben
Ring, bis zum Wiedersehn." und segelt ab; aber schon nach dreien Tagen
kommt er wieder, um sie zu holen. Das Schiff leidet Schiffbruch. Alle kom¬
men um. und ihr Vater findet sie mit ihrem Liebsten, Arm in Arm, todt an
der Küste. In ihrem Busen trägt sie einen Brief, der mit Blut geschrieben
war. des Inhalts: „grausam war mein Vater, der meinen Liebsten todt¬
schießen wollte;" und die Moral lautet:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/122>, abgerufen am 15.01.2025.