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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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trug. Sie verfolgte mich straßenlang mit ihrem Korb und ihrem Geschrei.
Limericker Spitzen, Limericker Salme und Limericker Handschuhe sind die drei
Artikel dieser Stadt, namentlich die Handschuhe; sie sind von Ruf und Re¬
nommee durch ganz Jrrland.

Handschuhe waren aber auf dem Sonnabendmarkt der irischen Stadt nicht
Zu finden; man colportirt sie mir in den besseren Straßen der englischen Stadt,
wo die Dinge, die man anfaßt, ein Weniges reinlicher sind. Dagegen trieben
sich Knaben in ganzen Hausen herum, welche mit Liederbogen handelten. Hier
ist der Markt für die Straßenballade; hier ist das Volk, das sie kauft und
leidenschaftlich liebt. Ob sie diese Verse singen, weiß ich nicht; ich glaube es
nicht einmal. Aber kein Bauer kehrt vom Sonnabendmarkt in seine Lehm¬
hütte zurück, ohne ein neues Blatt zu den übrigen, die ihren Platz neben dem
Gesangbuch und dem Katechismus einnehmen, hinzuzufügen. Die Straßen-
ballade ist der letzte Nest und Ausläufer der irischen Volkspoesie in Irland;
sie ist, in ihrer rohen Form und in ihren gemeinen Wendungen, voll von den
letzten Ausbrüchen einer einst in ihrer Liebe und ihrem Haß leidenschaftlich schö¬
nen Natur, das Einzige, was der gemeine Mann des Westens liest, so weit
er überhaupt lesen kann. Eine traurige Literatur ist es, interessant für den
Forscher, aber von den schädlichsten Wirkungen für das Volk, dessen hoffnungs¬
losen Zorn sie nährt, anstatt zur Versöhnung hinüberzuleiten. Die Klänge von
Moore's sanften Melodieen berühren die Grenze dieses Gebietes nicht mehr;
sie leben nur in den Gegenden, wo englische Cultur im Uebergewicht ist, oder
wo englische Reisende sie durch häusigen Besuch verbreitet haben. Hier, im
ganzen Westen, durch Connaught bis nach Ulster hinauf, herrscht neben den
Ueb.erresten des süßen altirischen Volksgcsangs, welcher in manch' einer Hütte
der Haide noch lebt, und neben den Erzählungen von Fin Mac Cul und seinen
Helden, welche manch' ein Schäfer im einsamen Gebirg noch wiederholt, die
Straßenballade. Sie ist fast ausnahmslos von einem dunkeln, verwilderten
und rohen Charakter; aber auch in ihren schlechtesten Mustern lebt noch ein
schwacher Schlummer der ursprünglich so reich begabten Dichternatur dieses
Volkes, und nickt selten springt uns ein Funke entgegen, heiß und glänzend
genug, um das Herz auf einmal zu entzünden. Es wird ein sehr bedeutendes
Geschäft mit diesen Erzeugnissen der Strahcnmuse getrieben; es lebt eine Classe
von Menschen in den Städten Irlands davon, sie zu verfassen, zu drucken und
zu verbreite"; und es ist rührend genug zu sehn, wie dieses Volk, indem es
im großen Strome der englischen Uebermacht untergeht, sich zuletzt noch an
den äußersten Zweigen des Baumes festzuhalten sucht, dessen prächtige Krone
einst, in vergangenen Tagen, sein Stolz und seine Herrlichkeit gewesen. --
Die Balladenjungcn ließen sich durch das Gespräch, das ich mit dem Fisch-
wcibe gehabt, nicht abschrecken; und Dank ihrem Eifer habe ich eine ganze


trug. Sie verfolgte mich straßenlang mit ihrem Korb und ihrem Geschrei.
Limericker Spitzen, Limericker Salme und Limericker Handschuhe sind die drei
Artikel dieser Stadt, namentlich die Handschuhe; sie sind von Ruf und Re¬
nommee durch ganz Jrrland.

Handschuhe waren aber auf dem Sonnabendmarkt der irischen Stadt nicht
Zu finden; man colportirt sie mir in den besseren Straßen der englischen Stadt,
wo die Dinge, die man anfaßt, ein Weniges reinlicher sind. Dagegen trieben
sich Knaben in ganzen Hausen herum, welche mit Liederbogen handelten. Hier
ist der Markt für die Straßenballade; hier ist das Volk, das sie kauft und
leidenschaftlich liebt. Ob sie diese Verse singen, weiß ich nicht; ich glaube es
nicht einmal. Aber kein Bauer kehrt vom Sonnabendmarkt in seine Lehm¬
hütte zurück, ohne ein neues Blatt zu den übrigen, die ihren Platz neben dem
Gesangbuch und dem Katechismus einnehmen, hinzuzufügen. Die Straßen-
ballade ist der letzte Nest und Ausläufer der irischen Volkspoesie in Irland;
sie ist, in ihrer rohen Form und in ihren gemeinen Wendungen, voll von den
letzten Ausbrüchen einer einst in ihrer Liebe und ihrem Haß leidenschaftlich schö¬
nen Natur, das Einzige, was der gemeine Mann des Westens liest, so weit
er überhaupt lesen kann. Eine traurige Literatur ist es, interessant für den
Forscher, aber von den schädlichsten Wirkungen für das Volk, dessen hoffnungs¬
losen Zorn sie nährt, anstatt zur Versöhnung hinüberzuleiten. Die Klänge von
Moore's sanften Melodieen berühren die Grenze dieses Gebietes nicht mehr;
sie leben nur in den Gegenden, wo englische Cultur im Uebergewicht ist, oder
wo englische Reisende sie durch häusigen Besuch verbreitet haben. Hier, im
ganzen Westen, durch Connaught bis nach Ulster hinauf, herrscht neben den
Ueb.erresten des süßen altirischen Volksgcsangs, welcher in manch' einer Hütte
der Haide noch lebt, und neben den Erzählungen von Fin Mac Cul und seinen
Helden, welche manch' ein Schäfer im einsamen Gebirg noch wiederholt, die
Straßenballade. Sie ist fast ausnahmslos von einem dunkeln, verwilderten
und rohen Charakter; aber auch in ihren schlechtesten Mustern lebt noch ein
schwacher Schlummer der ursprünglich so reich begabten Dichternatur dieses
Volkes, und nickt selten springt uns ein Funke entgegen, heiß und glänzend
genug, um das Herz auf einmal zu entzünden. Es wird ein sehr bedeutendes
Geschäft mit diesen Erzeugnissen der Strahcnmuse getrieben; es lebt eine Classe
von Menschen in den Städten Irlands davon, sie zu verfassen, zu drucken und
zu verbreite»; und es ist rührend genug zu sehn, wie dieses Volk, indem es
im großen Strome der englischen Uebermacht untergeht, sich zuletzt noch an
den äußersten Zweigen des Baumes festzuhalten sucht, dessen prächtige Krone
einst, in vergangenen Tagen, sein Stolz und seine Herrlichkeit gewesen. —
Die Balladenjungcn ließen sich durch das Gespräch, das ich mit dem Fisch-
wcibe gehabt, nicht abschrecken; und Dank ihrem Eifer habe ich eine ganze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/120>, abgerufen am 15.01.2025.