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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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liegen auf den Banken ausgebreitet, fettige Schaalen mit Kalbseingeweiden
und Thierfüßen stehn daneben, flockige Hasenfelle und Gänseflügcl hängen
rings umher. Eselkarren nehmen die Straßcnmitte ein, und halbnackte Men¬
schen umgeben sie. Die Grundflur fast aller Häuser haben Kleidtrtrödler inne,
-- jedes dritte Haus wird von einem Pfandverleiher bewohnt. Und -- als
ob sich selbst bis auf dieses kleinste Anzeichen die Armuth erstreckte -- wäh¬
rend diese edelste Zunft der Gewerbetreibenden sich sonst durch drei Kugeln
über der Thür ankündigt: hier hängt nur eine Kugel aus. Und was für
Sachen erblickt man nnter derselben! Röcke, deren Aermel kaum noch an einem
Faden hängen, Uniformen, in denen ganze Soldatengenerationen schon ge¬
steckt zu haben scheinen, aufgeschlitzte Hosen. Stiefeln ohne Sohlen, Kappen
voll Koth, Hemden voll Unrath. Und dabei nun die Kunden, die diese Sa¬
chen kaufen: Männer mit eingedrückten Hüten und Lumpenfracks, -- Frauen
mit nie gewaschenen Gesichtern und nie gekämmten Haaren. Die Straße
wimmelt von entsetzlichen Wesen; der ganze Jammer der Menschheit hat sich
in seinen grauenhaftesten Gestalten versammelt, und er wird noch grauenhaf¬
ter durch den Schmutz und jede denkbare Spur der Verwahrlosung, die er an
sich trägt. Hier ein Mann ohne Beine, der auf den Händen geht; dort ein
Weib, das auf Händen und Füßen, wie ein Thier, über die Straße kriecht.
Unter einem Thorweg saßen zwei Dudelsackmänner und machten wechselsweise
Musik. Eine Schaar von Lumpengesindel hatte sich versammelt und horchte
auf die bekannten Weisen; aber Niemand sang zu den Melodieen. die traurig
in der Dunkelheit des Thorbogens verhallten; und als ich mit den Uebrigen
stehn blieb, bespritzte mich ein altes Weib, das hinter einem Häringsfaß stand,
mit der unangenehmen Lauge. Ich zweifle nicht, daß sie mich für einen Eng¬
länder hielt. -- Auf einem Stein in der Nähe saß ein Mann, der seine Stie¬
feln ausgezogen hatte, und neben ihm auf einem niedrigen Holzschemel ein
Schuster, der sie flickte. Alle zehn Schritte, auf der offenen Straße, sah man
einen Schuhflicker in voller Arbeit, und um ihn herum, an der Erde, standen
die "broßuss," jene eigenthümlichen Schuhe der irischen Bauern, die mit
Lcderstreifen über den Füßen wie Sandalen, zusammengeschnürt werden. Das
Geschüft ist hier vollständig aus den Häusern ins Freie hinausgetreten; es
gewinnt dadurch den Schein des südlichen Lebens, der aber mit dem nassen
Nebel, von dem die Steine tropften, und mit den erfrorenen, armseligen Ge¬
stalten die Straße sehr jämmerlich contrastirte. Nichtsdestoweniger aber wa¬
ren allesammt im höchsten Grade darauf erpicht, Geschäfte zu machen; ich
selber wurde im Gedränge hundert Mal angehalten. Da waren Mädchen,
welche die "berühmten Spitzen von Limerick" ausriefen, und Jungen, die mir
Bänder zu Schnürleibchen verkaufen wollten. Auch eine Frau kam, die mir
einen eben gefangenen Salm, ein kleines Meerungeheuer in seiner Art, an-
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liegen auf den Banken ausgebreitet, fettige Schaalen mit Kalbseingeweiden
und Thierfüßen stehn daneben, flockige Hasenfelle und Gänseflügcl hängen
rings umher. Eselkarren nehmen die Straßcnmitte ein, und halbnackte Men¬
schen umgeben sie. Die Grundflur fast aller Häuser haben Kleidtrtrödler inne,
— jedes dritte Haus wird von einem Pfandverleiher bewohnt. Und — als
ob sich selbst bis auf dieses kleinste Anzeichen die Armuth erstreckte — wäh¬
rend diese edelste Zunft der Gewerbetreibenden sich sonst durch drei Kugeln
über der Thür ankündigt: hier hängt nur eine Kugel aus. Und was für
Sachen erblickt man nnter derselben! Röcke, deren Aermel kaum noch an einem
Faden hängen, Uniformen, in denen ganze Soldatengenerationen schon ge¬
steckt zu haben scheinen, aufgeschlitzte Hosen. Stiefeln ohne Sohlen, Kappen
voll Koth, Hemden voll Unrath. Und dabei nun die Kunden, die diese Sa¬
chen kaufen: Männer mit eingedrückten Hüten und Lumpenfracks, — Frauen
mit nie gewaschenen Gesichtern und nie gekämmten Haaren. Die Straße
wimmelt von entsetzlichen Wesen; der ganze Jammer der Menschheit hat sich
in seinen grauenhaftesten Gestalten versammelt, und er wird noch grauenhaf¬
ter durch den Schmutz und jede denkbare Spur der Verwahrlosung, die er an
sich trägt. Hier ein Mann ohne Beine, der auf den Händen geht; dort ein
Weib, das auf Händen und Füßen, wie ein Thier, über die Straße kriecht.
Unter einem Thorweg saßen zwei Dudelsackmänner und machten wechselsweise
Musik. Eine Schaar von Lumpengesindel hatte sich versammelt und horchte
auf die bekannten Weisen; aber Niemand sang zu den Melodieen. die traurig
in der Dunkelheit des Thorbogens verhallten; und als ich mit den Uebrigen
stehn blieb, bespritzte mich ein altes Weib, das hinter einem Häringsfaß stand,
mit der unangenehmen Lauge. Ich zweifle nicht, daß sie mich für einen Eng¬
länder hielt. — Auf einem Stein in der Nähe saß ein Mann, der seine Stie¬
feln ausgezogen hatte, und neben ihm auf einem niedrigen Holzschemel ein
Schuster, der sie flickte. Alle zehn Schritte, auf der offenen Straße, sah man
einen Schuhflicker in voller Arbeit, und um ihn herum, an der Erde, standen
die „broßuss," jene eigenthümlichen Schuhe der irischen Bauern, die mit
Lcderstreifen über den Füßen wie Sandalen, zusammengeschnürt werden. Das
Geschüft ist hier vollständig aus den Häusern ins Freie hinausgetreten; es
gewinnt dadurch den Schein des südlichen Lebens, der aber mit dem nassen
Nebel, von dem die Steine tropften, und mit den erfrorenen, armseligen Ge¬
stalten die Straße sehr jämmerlich contrastirte. Nichtsdestoweniger aber wa¬
ren allesammt im höchsten Grade darauf erpicht, Geschäfte zu machen; ich
selber wurde im Gedränge hundert Mal angehalten. Da waren Mädchen,
welche die „berühmten Spitzen von Limerick" ausriefen, und Jungen, die mir
Bänder zu Schnürleibchen verkaufen wollten. Auch eine Frau kam, die mir
einen eben gefangenen Salm, ein kleines Meerungeheuer in seiner Art, an-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/119>, abgerufen am 15.01.2025.