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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Und wasvon Athen galt, dürfen wir für ganz Griechenland im All¬
gemeinen als maßgebend ansehn. Die banause Thätigkeit ward von den freien
Bürgern möglichst gemieden. In Theben wurde durch ein Gesetz, nach welchem
jeder von Staatsämtern ausgeschlossen war, der sich nicht zehn Jahre aller
Gewerbe enthalten hatte, das Handwerk indirect den Unfreien und Fremden
überwiesen, und in Thespiä verlor der Freigeborne, der sich etwa damit be¬
schäftigte, die Achtung seiner Mitbürger. Die Argiver scheinen in der Stein¬
metz- und Zimmerarbeit so wenig Erfahrung besessen zu haben, daß sie zum
Bau ihrer langen Mauern Arbeiter von Athen beriefen; die weichlichen Sy-
bariten gingen sogar so weit, daß sie Schmiede und andre, deren Arbeit Ge¬
räusch verursachte, nicht innerhalb der Thore ihrer Stadt dulden wollten. In
Athen beantragte Diophantos, in Nachbildung, wie es scheint, der oben er¬
wähnten epidamnischen Einrichtung, daß der Staat zur Beschaffung aller Hand¬
werksarbeiten für öffentliche Zwecke nur Sklaven verwenden sollte, welcher
Antrag indeß als dem Geiste der solonischen Gesetzgebung gar zu sehr wider¬
strebend abgelehnt wurde, wie denn überhaupt der ätherische Fiocus, der
Sklaven genug besaß, dieselben wol als Gensdarmen oder Polizeisoldaten, als
Ausrufer, Schreiber, Büttel, Gefangenwärter, Nachrichter u. tgi., sowie im
Kriege und als Arbeiter in der Münze beschäftigte, niemals aber Handwerks¬
sklaven zu fabrikmäßigen Betriebe gehalten zu haben scheint.

Dem armen Bürger blieb nun zwar, wenn er trotz der Concurrenz in
Folge der Gewerbefreiheit und trotz des moralischen Druckes, der auf dem
Banausen ruhte, sich zu handwerksmäßiger Thätigkeit entschließen konnte, die
Möglichkeit sein Brod ehrlich zu verdienen, in den meisten Staaten offen, und
mancher, der es auf das Naserümpfen seiner Mitbürger ankommen lassen wollte
oder mußte, mag einen leidlichen Ewerb gehabt haben, zumal da freie Arbeit
in der Regel besser ist als Sklavenarbeit, der besonders, wenn sie fabrikmäßig
betrieben wird, feinere Geschicklichkeit und Erfindsamkeit. sowie Eifer und Inter¬
esse zunächst abgeht. Einem fleißigen Manne gelang es wol zuweilen, nach¬
dem er einige Zeit als Handwerker selbst thätig gewesen, sich so weit empor¬
zuarbeiten, daß er in seiner Werkstätte Sklaven beschäftigen und von jetzt an
seine Zeit dem Staatswohle widmen konnte. Allein im Allgemeinen werden
solche Fälle nicht häufige Ausnahmen gebildet haben, und auch da war, wie
aus dem Obigen erhellt, wol erst der Sohn oder Enkel eines solchen Empor¬
kömmlings vor den pikanten Witzen der Komödie sicher. Vielmehr scheinen
die freien Bürger, die ein Handwerk betrieben, den Unfreien immer näher ge¬
treten zu sein und das Proletariat in erschreckender Weise verstärkt zu haben,
bis AntiPater nach der Schlacht bei Krannon von den einundzwanzigtausend
athenischen Bürgern zwölftausend, die das erforderliche Minimum von zwei-


Grenzboten IV. 18L0. 13

Und wasvon Athen galt, dürfen wir für ganz Griechenland im All¬
gemeinen als maßgebend ansehn. Die banause Thätigkeit ward von den freien
Bürgern möglichst gemieden. In Theben wurde durch ein Gesetz, nach welchem
jeder von Staatsämtern ausgeschlossen war, der sich nicht zehn Jahre aller
Gewerbe enthalten hatte, das Handwerk indirect den Unfreien und Fremden
überwiesen, und in Thespiä verlor der Freigeborne, der sich etwa damit be¬
schäftigte, die Achtung seiner Mitbürger. Die Argiver scheinen in der Stein¬
metz- und Zimmerarbeit so wenig Erfahrung besessen zu haben, daß sie zum
Bau ihrer langen Mauern Arbeiter von Athen beriefen; die weichlichen Sy-
bariten gingen sogar so weit, daß sie Schmiede und andre, deren Arbeit Ge¬
räusch verursachte, nicht innerhalb der Thore ihrer Stadt dulden wollten. In
Athen beantragte Diophantos, in Nachbildung, wie es scheint, der oben er¬
wähnten epidamnischen Einrichtung, daß der Staat zur Beschaffung aller Hand¬
werksarbeiten für öffentliche Zwecke nur Sklaven verwenden sollte, welcher
Antrag indeß als dem Geiste der solonischen Gesetzgebung gar zu sehr wider¬
strebend abgelehnt wurde, wie denn überhaupt der ätherische Fiocus, der
Sklaven genug besaß, dieselben wol als Gensdarmen oder Polizeisoldaten, als
Ausrufer, Schreiber, Büttel, Gefangenwärter, Nachrichter u. tgi., sowie im
Kriege und als Arbeiter in der Münze beschäftigte, niemals aber Handwerks¬
sklaven zu fabrikmäßigen Betriebe gehalten zu haben scheint.

Dem armen Bürger blieb nun zwar, wenn er trotz der Concurrenz in
Folge der Gewerbefreiheit und trotz des moralischen Druckes, der auf dem
Banausen ruhte, sich zu handwerksmäßiger Thätigkeit entschließen konnte, die
Möglichkeit sein Brod ehrlich zu verdienen, in den meisten Staaten offen, und
mancher, der es auf das Naserümpfen seiner Mitbürger ankommen lassen wollte
oder mußte, mag einen leidlichen Ewerb gehabt haben, zumal da freie Arbeit
in der Regel besser ist als Sklavenarbeit, der besonders, wenn sie fabrikmäßig
betrieben wird, feinere Geschicklichkeit und Erfindsamkeit. sowie Eifer und Inter¬
esse zunächst abgeht. Einem fleißigen Manne gelang es wol zuweilen, nach¬
dem er einige Zeit als Handwerker selbst thätig gewesen, sich so weit empor¬
zuarbeiten, daß er in seiner Werkstätte Sklaven beschäftigen und von jetzt an
seine Zeit dem Staatswohle widmen konnte. Allein im Allgemeinen werden
solche Fälle nicht häufige Ausnahmen gebildet haben, und auch da war, wie
aus dem Obigen erhellt, wol erst der Sohn oder Enkel eines solchen Empor¬
kömmlings vor den pikanten Witzen der Komödie sicher. Vielmehr scheinen
die freien Bürger, die ein Handwerk betrieben, den Unfreien immer näher ge¬
treten zu sein und das Proletariat in erschreckender Weise verstärkt zu haben,
bis AntiPater nach der Schlacht bei Krannon von den einundzwanzigtausend
athenischen Bürgern zwölftausend, die das erforderliche Minimum von zwei-


Grenzboten IV. 18L0. 13
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[0109] Und wasvon Athen galt, dürfen wir für ganz Griechenland im All¬ gemeinen als maßgebend ansehn. Die banause Thätigkeit ward von den freien Bürgern möglichst gemieden. In Theben wurde durch ein Gesetz, nach welchem jeder von Staatsämtern ausgeschlossen war, der sich nicht zehn Jahre aller Gewerbe enthalten hatte, das Handwerk indirect den Unfreien und Fremden überwiesen, und in Thespiä verlor der Freigeborne, der sich etwa damit be¬ schäftigte, die Achtung seiner Mitbürger. Die Argiver scheinen in der Stein¬ metz- und Zimmerarbeit so wenig Erfahrung besessen zu haben, daß sie zum Bau ihrer langen Mauern Arbeiter von Athen beriefen; die weichlichen Sy- bariten gingen sogar so weit, daß sie Schmiede und andre, deren Arbeit Ge¬ räusch verursachte, nicht innerhalb der Thore ihrer Stadt dulden wollten. In Athen beantragte Diophantos, in Nachbildung, wie es scheint, der oben er¬ wähnten epidamnischen Einrichtung, daß der Staat zur Beschaffung aller Hand¬ werksarbeiten für öffentliche Zwecke nur Sklaven verwenden sollte, welcher Antrag indeß als dem Geiste der solonischen Gesetzgebung gar zu sehr wider¬ strebend abgelehnt wurde, wie denn überhaupt der ätherische Fiocus, der Sklaven genug besaß, dieselben wol als Gensdarmen oder Polizeisoldaten, als Ausrufer, Schreiber, Büttel, Gefangenwärter, Nachrichter u. tgi., sowie im Kriege und als Arbeiter in der Münze beschäftigte, niemals aber Handwerks¬ sklaven zu fabrikmäßigen Betriebe gehalten zu haben scheint. Dem armen Bürger blieb nun zwar, wenn er trotz der Concurrenz in Folge der Gewerbefreiheit und trotz des moralischen Druckes, der auf dem Banausen ruhte, sich zu handwerksmäßiger Thätigkeit entschließen konnte, die Möglichkeit sein Brod ehrlich zu verdienen, in den meisten Staaten offen, und mancher, der es auf das Naserümpfen seiner Mitbürger ankommen lassen wollte oder mußte, mag einen leidlichen Ewerb gehabt haben, zumal da freie Arbeit in der Regel besser ist als Sklavenarbeit, der besonders, wenn sie fabrikmäßig betrieben wird, feinere Geschicklichkeit und Erfindsamkeit. sowie Eifer und Inter¬ esse zunächst abgeht. Einem fleißigen Manne gelang es wol zuweilen, nach¬ dem er einige Zeit als Handwerker selbst thätig gewesen, sich so weit empor¬ zuarbeiten, daß er in seiner Werkstätte Sklaven beschäftigen und von jetzt an seine Zeit dem Staatswohle widmen konnte. Allein im Allgemeinen werden solche Fälle nicht häufige Ausnahmen gebildet haben, und auch da war, wie aus dem Obigen erhellt, wol erst der Sohn oder Enkel eines solchen Empor¬ kömmlings vor den pikanten Witzen der Komödie sicher. Vielmehr scheinen die freien Bürger, die ein Handwerk betrieben, den Unfreien immer näher ge¬ treten zu sein und das Proletariat in erschreckender Weise verstärkt zu haben, bis AntiPater nach der Schlacht bei Krannon von den einundzwanzigtausend athenischen Bürgern zwölftausend, die das erforderliche Minimum von zwei- Grenzboten IV. 18L0. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/109>, abgerufen am 15.01.2025.