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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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auch die nicht geringe Zahl der Freigelassenen entrichteten, nicht verlangt, und
von einer zunftmäßigen Gebundenheit des Handwerkerstandes endlich finden
wir in Griechenland nirgends sichre Spuren. Denn wenn Herr von Cassagnac
in seiner Geschichte der arbeitenden Classen die Existenz von Zünften mit be¬
stimmten Privilegien in ähnlicher Weise, wie sich im Mittelalter ein zünftiger
Gewerbebetrieb ausgebildet hatte, zu behaupten und auf die solonische Ver¬
fassung oder gar auf die mythische Zeit des Theseus zurückzuführen scheint,
so dürfte diese wie manche andre Behauptung des genannten Herrn sich schwer¬
lich tiefer begründen lassen, als auf eine lebhafte Einbildungskraft und eine
forcirte Auffassung der Verhältnisse des Alterthums. Die Hetärien sind ge-
schlossne Vereine ganz andrer Art: schon das Zusammenleben und Zusammen¬
arbeiten von Freien und Halbfreien, noch mehr aber die Beschäftigung einer
so großen Anzahl von Sklaven konnte der Entwicklung von Zünften, die be¬
kanntlich sich weder über Nacht bilden, noch auch über Nacht sich auflösen
lassen, günstig sein. Nicht einmal das Bestehn irgend welcher Handwerks-
genossenschaften, mag ihr Zusammenhang auch ein noch so loser gewesen sein,
läßt sich nachweisen; wenigstens muß, wenn in früherer Zeit solche wirklich exi-
stirten, der oft sehr großartige Fabrikbetrieb wohlhabender Sklavenbesitzer zer¬
störend auf sie gewirkt haben, wie in gleicher Weise die dreifache Gliederung
des modernen Handwerkerstandes in Meister, Gesellen und Lehrburschen durch
die Sklaverei von selbst ausgeschlossen ist.

Allein auch die ausgedehnteste Gewerbefreiheit konnte den ärmern Bürger
nicht in den Stand setzen, die Concurrenz der Schutzverwandten, die ihre ganze
Thätigkeit ihrem Handwerke widmen konnten, und der großen Fabrikherrn
auszuhalten. Sie mußte im Gegentheil, wie sie dem Interesse dieser förder¬
lich war, nachtheüige Folgen für jene haben, und wenn selbst in unsern Ta¬
gen die Vertreter deutschen Gewerbes auf einem deutschen Handwerkertage in
der Metropole deutscher Bildung mit unverholner Begeisterung von den Seg¬
nungen des Zunftzwangs gesprochen haben, so mochte dem kleinen griechischen
Bürger der Mangel innungsmäßiger Privilegien wol zuweilen einen Stoßseufzer
auspressen, wenn uns auch mit Ausnahme der obenerwähnten Klagen der
Phvker gegen Mnason weiter keine positiven Berichte hierüber erhalten sind.
Zugleich in der Werkstätte und für das Siaatswohl zu arbeiten ging nicht
gut an, und selbst wenn es ein betriebsamer Bürger ermöglicht hatte, so mußte
er erwarten, daß bei den nächsten Dionysien ihn ebenso der Spott eines Ko¬
mödiendichters traf, wie den Neiteroberst Diitrevhes, weil er früher Flaschen¬
körbe geflochten, oder den Kleon und dessen Genossen und Erben in der De¬
magogie Hyperbolos, trotzdem daß der erstere wol schwerlich jemals viel Häute
gegerbt und der letztere gewiß nicht oft bei der Fertigung von Lampen selbst
Hand angelegt hatte.


auch die nicht geringe Zahl der Freigelassenen entrichteten, nicht verlangt, und
von einer zunftmäßigen Gebundenheit des Handwerkerstandes endlich finden
wir in Griechenland nirgends sichre Spuren. Denn wenn Herr von Cassagnac
in seiner Geschichte der arbeitenden Classen die Existenz von Zünften mit be¬
stimmten Privilegien in ähnlicher Weise, wie sich im Mittelalter ein zünftiger
Gewerbebetrieb ausgebildet hatte, zu behaupten und auf die solonische Ver¬
fassung oder gar auf die mythische Zeit des Theseus zurückzuführen scheint,
so dürfte diese wie manche andre Behauptung des genannten Herrn sich schwer¬
lich tiefer begründen lassen, als auf eine lebhafte Einbildungskraft und eine
forcirte Auffassung der Verhältnisse des Alterthums. Die Hetärien sind ge-
schlossne Vereine ganz andrer Art: schon das Zusammenleben und Zusammen¬
arbeiten von Freien und Halbfreien, noch mehr aber die Beschäftigung einer
so großen Anzahl von Sklaven konnte der Entwicklung von Zünften, die be¬
kanntlich sich weder über Nacht bilden, noch auch über Nacht sich auflösen
lassen, günstig sein. Nicht einmal das Bestehn irgend welcher Handwerks-
genossenschaften, mag ihr Zusammenhang auch ein noch so loser gewesen sein,
läßt sich nachweisen; wenigstens muß, wenn in früherer Zeit solche wirklich exi-
stirten, der oft sehr großartige Fabrikbetrieb wohlhabender Sklavenbesitzer zer¬
störend auf sie gewirkt haben, wie in gleicher Weise die dreifache Gliederung
des modernen Handwerkerstandes in Meister, Gesellen und Lehrburschen durch
die Sklaverei von selbst ausgeschlossen ist.

Allein auch die ausgedehnteste Gewerbefreiheit konnte den ärmern Bürger
nicht in den Stand setzen, die Concurrenz der Schutzverwandten, die ihre ganze
Thätigkeit ihrem Handwerke widmen konnten, und der großen Fabrikherrn
auszuhalten. Sie mußte im Gegentheil, wie sie dem Interesse dieser förder¬
lich war, nachtheüige Folgen für jene haben, und wenn selbst in unsern Ta¬
gen die Vertreter deutschen Gewerbes auf einem deutschen Handwerkertage in
der Metropole deutscher Bildung mit unverholner Begeisterung von den Seg¬
nungen des Zunftzwangs gesprochen haben, so mochte dem kleinen griechischen
Bürger der Mangel innungsmäßiger Privilegien wol zuweilen einen Stoßseufzer
auspressen, wenn uns auch mit Ausnahme der obenerwähnten Klagen der
Phvker gegen Mnason weiter keine positiven Berichte hierüber erhalten sind.
Zugleich in der Werkstätte und für das Siaatswohl zu arbeiten ging nicht
gut an, und selbst wenn es ein betriebsamer Bürger ermöglicht hatte, so mußte
er erwarten, daß bei den nächsten Dionysien ihn ebenso der Spott eines Ko¬
mödiendichters traf, wie den Neiteroberst Diitrevhes, weil er früher Flaschen¬
körbe geflochten, oder den Kleon und dessen Genossen und Erben in der De¬
magogie Hyperbolos, trotzdem daß der erstere wol schwerlich jemals viel Häute
gegerbt und der letztere gewiß nicht oft bei der Fertigung von Lampen selbst
Hand angelegt hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/108>, abgerufen am 15.01.2025.