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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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offenbar darin, daß der Wohlstand einzelner Weniger (der Gutsbesitzer ze.)
mit dem allgemeinen Wohlstande des Landes identificirt und hieraus sogar
der Begriff eines mittleren Wohlstandes auf den Kopf unsrer Bevölkerung ab¬
geleitet wird. In jedem andern Lande, wo wirklich ein Mittelstand besteht,
würde dies eher thunlich sein und es geschieht zum Zwecke statistischer Ueber-
sichtlichkeit und Vergleichung. Niemandem aber wird es mit Recht einfallen
dürfen, eine solche Mittelzahl, welche nichts anderes als die Darstellung eines
abstracten Begriffes ist, als eine die Wirklichkeit darstellende zu betrachten. Um
so weniger in Mecklenburg, wo die Mittelclasse sast ganz fehlt. Hier ist vielmehr
dasjenige Vermögen, welches als Nationalvermögen in diesem Falle betrachtet
werden soll, nichts weiter als das Vermögen vol, 623 Gutsbesitzern; der Zins¬
fuß, von welchem die Rede ist, ist derjenige, welcher eben jenen 623 Guts¬
besitzern als solchen zu Theil wird, während es mehr als bekannt ist, daß die
Industriellen des Landes nicht nur, sondern auch die Besitzer kleiner Landstellen,
namentlich die kleineren Erbpächter, selbst auf mittelgute Hypothek nur sehr
schwer und nur gegen hohen Zins Credit zu beschaffen vermögen. In der
Wirklichkeit stellt sich diese Sache nicht nur nicht so dar, wie man sie schildern
möchte, sondern grade umgekehrt: Je größer das Vermögen und der Credit
jener 623 Personen, desto geringer sind das Vermögen und der Credit aller
übrigen Landesbewohner. Vergegenwärtigen wir uns den wirklichen Zustand.
Jene 623 Gutsbesitzer sind im Besitze eines Areals, welches nach jetzigen
Preisen einen Werth von ca. 118 Mill. Thlrn, repräsentirt. Darauf ruhen
etwa (kaum!) 55 Mill. Thlr. hypothekarischer Schulden, so daß ihr gesäumtes
Neinvermögen ca. 63 Mill. Thlr, beträgt oder im Durchschnitte jeder Guts¬
besitzer ein Rcinvermögen von 100.000 Thlrn. repräsentirt. Daß solche Leute,
zumal bei der ausgezeichneten hiesigen Hypothekenverwaltung und ferner deshalb,
weil die Besitzungen augenscheinlich noch nicht die letzte Stufe ihres wahren Wer¬
thes erreicht haben -- daß solche Leute Credit haben müssen und Geld gegen nied-
drigen Zinfuß reichlich erlangen können, ist eine selbstverständliche Sache. Ebenso
erkennbar ist aber auch, daß jener Credit und jener Zinsfuß nichts auf die All¬
gemeinheit Bezügliches sein können in einem Lande, wo 620 reichen Gutsbesitzer-
62,000 arme Tagelöhnerfamilien ohne alles und jedes Vermögen und ohne allen
Credit gegenüberstehn. Es ist sogar eine bekannte Erscheinung, daß bei
sinkendem Zinsfuß für Landgüterhypothek hier zu Lande der Zinfuß für städtische
Grundstücke zu steigen pflegt (ein Umstand, welcher jetzt grade stattfindet).
Was man zum Lobe der bestehenden Verhältnisse gern denjenigen, welche
die hiesigen' Verhältnisse nicht genauer kennen, plausibel machen möchte, ist
demnach nicht stichhaltig. Es geht in Mecklenburg grade wie in andern Län¬
dern, und es kann getrost behauptet werden: Wäre durch eine größere Thei¬
lung von Grund und Boden die Zahl mittelgroßer Besitzungen vermehrt, eine


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offenbar darin, daß der Wohlstand einzelner Weniger (der Gutsbesitzer ze.)
mit dem allgemeinen Wohlstande des Landes identificirt und hieraus sogar
der Begriff eines mittleren Wohlstandes auf den Kopf unsrer Bevölkerung ab¬
geleitet wird. In jedem andern Lande, wo wirklich ein Mittelstand besteht,
würde dies eher thunlich sein und es geschieht zum Zwecke statistischer Ueber-
sichtlichkeit und Vergleichung. Niemandem aber wird es mit Recht einfallen
dürfen, eine solche Mittelzahl, welche nichts anderes als die Darstellung eines
abstracten Begriffes ist, als eine die Wirklichkeit darstellende zu betrachten. Um
so weniger in Mecklenburg, wo die Mittelclasse sast ganz fehlt. Hier ist vielmehr
dasjenige Vermögen, welches als Nationalvermögen in diesem Falle betrachtet
werden soll, nichts weiter als das Vermögen vol, 623 Gutsbesitzern; der Zins¬
fuß, von welchem die Rede ist, ist derjenige, welcher eben jenen 623 Guts¬
besitzern als solchen zu Theil wird, während es mehr als bekannt ist, daß die
Industriellen des Landes nicht nur, sondern auch die Besitzer kleiner Landstellen,
namentlich die kleineren Erbpächter, selbst auf mittelgute Hypothek nur sehr
schwer und nur gegen hohen Zins Credit zu beschaffen vermögen. In der
Wirklichkeit stellt sich diese Sache nicht nur nicht so dar, wie man sie schildern
möchte, sondern grade umgekehrt: Je größer das Vermögen und der Credit
jener 623 Personen, desto geringer sind das Vermögen und der Credit aller
übrigen Landesbewohner. Vergegenwärtigen wir uns den wirklichen Zustand.
Jene 623 Gutsbesitzer sind im Besitze eines Areals, welches nach jetzigen
Preisen einen Werth von ca. 118 Mill. Thlrn, repräsentirt. Darauf ruhen
etwa (kaum!) 55 Mill. Thlr. hypothekarischer Schulden, so daß ihr gesäumtes
Neinvermögen ca. 63 Mill. Thlr, beträgt oder im Durchschnitte jeder Guts¬
besitzer ein Rcinvermögen von 100.000 Thlrn. repräsentirt. Daß solche Leute,
zumal bei der ausgezeichneten hiesigen Hypothekenverwaltung und ferner deshalb,
weil die Besitzungen augenscheinlich noch nicht die letzte Stufe ihres wahren Wer¬
thes erreicht haben — daß solche Leute Credit haben müssen und Geld gegen nied-
drigen Zinfuß reichlich erlangen können, ist eine selbstverständliche Sache. Ebenso
erkennbar ist aber auch, daß jener Credit und jener Zinsfuß nichts auf die All¬
gemeinheit Bezügliches sein können in einem Lande, wo 620 reichen Gutsbesitzer-
62,000 arme Tagelöhnerfamilien ohne alles und jedes Vermögen und ohne allen
Credit gegenüberstehn. Es ist sogar eine bekannte Erscheinung, daß bei
sinkendem Zinsfuß für Landgüterhypothek hier zu Lande der Zinfuß für städtische
Grundstücke zu steigen pflegt (ein Umstand, welcher jetzt grade stattfindet).
Was man zum Lobe der bestehenden Verhältnisse gern denjenigen, welche
die hiesigen' Verhältnisse nicht genauer kennen, plausibel machen möchte, ist
demnach nicht stichhaltig. Es geht in Mecklenburg grade wie in andern Län¬
dern, und es kann getrost behauptet werden: Wäre durch eine größere Thei¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/103>, abgerufen am 15.01.2025.