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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Domcunum ca. 30.000 Tagelöhnerfamilien wohnen. Bezüglich der übrigen
Bewohner dieser Landestheile bilden die Tagelöhner in der Ritterschaft aber
92,s, im Klostergebiete 86,7, im Domanium 65,3 Procent, im Ganzen 76,s
Procent der Gesammtbevölkerung. Die ländliche Mittelclasse beträgt ferner
in der Ritterschaft 5,s, im Klostergebiete 11.n und im Domanium 34,1 Procent,
im Ganzen 22, v Procent der ländlichen Bevölkerung überhaupt.

Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß der Fortschritt und die Ver¬
mehrung derjenigen mittleren und kleinen Industrie, auf welche unsere Land-
städte angewiesen sind, ganz besonders von dem Stande und der Zahl der
ländlichen Mittelclasse abhängig sind. Die größere Wohlhabenheit, welche
letztere durchweg in der neueren Zeit -- namentlich durch höhere Kornpreise --
errungen, würde im höchsten Grade wohlthätig auf die städtische Industrie
zurückgewirkt haben, wenn nur die Zahl der zur ländlichen Mittelclasse Gehö¬
rigen einigermaßen im richtigen Verhältnisse zur Zahl der Industriellen sich
vermehrt hätte. Da dies aber wegen des ständischen Widerstrebens in keiner
Weise geschehn ist, so ist theils ein bedauerlicher Rückschritt in einzelnen Ge¬
werben, theils in anderen ein bedenklicher Stillstand eingetreten, welcher
beim Fortbestehn der augenblicklichen Verhältnisse gleichfalls nur zu einem
Rückschritte führen kann. -- Vielleicht würde es dem Lande zum Vortheil
gereichen, wenn sich größere, industrielle Unternehmungen in ihm eröffneten,
seien diese private oder öffentliche. Erstere sind aber bei dem herrschenden
Steuersystem fast unmöglich, letztere auch auf längere Dauer hinausgeschoben,
falls sich nicht für die Ausführung des Güstrow-Stettiner Eisenbahnprojectes
bald günstigere Aussichten eröffnen.

Auf das Tiefste greisen die bestehenden Verhältnisse mit ihrer hemmenden
und drückenden Einwirkung in alle Lebensrichtungen der Bevölkerung ein. Wie
aber die stritte Unteilbarkeit des Grundes und Bodens die Unterlage ersterer
ist, so geht aus ihr auch folgerichtig eine große Zahl von Uebelständen als
aus erster Quelle hervor. Durch sie wird die so wünschenswerthe wie noth¬
wendige Vermehrung des verhältnißmäßig äußerst geringfügigen, ländlichen
Mittelstandes theils gehemmt, theils unmöglich gemacht, und in Folge davon
wird durch sie ein unverhältnißmäßiges Anwachsen derjenigen Classen der Be¬
völkerung hervorgerufen, welche als Tagelöhner, Knechte u. s. w. in einer
höchst abhängigen Stellung leben, welche hinsichtlich ihrer Niederlassung und
Verehelichung an den Willen einzelner Weniger gebunden sind und bei ihrer
anwachsenden Zahl nothwendig in dieser Hinsicht einer immer größern Be¬
schränkung unterliegen müssen.

Muß man dies, wie wir nicht zweifeln, unbedingt zugeben, so muß man
auch andrerseits gern oder ungern zugestehn, daß die Folgen namentlich dieser
Niederlassungsbeschränkung, überhaupt aber der socialen Abhängigkeit in jeder


Grenzboten IV. 1860. 12

Domcunum ca. 30.000 Tagelöhnerfamilien wohnen. Bezüglich der übrigen
Bewohner dieser Landestheile bilden die Tagelöhner in der Ritterschaft aber
92,s, im Klostergebiete 86,7, im Domanium 65,3 Procent, im Ganzen 76,s
Procent der Gesammtbevölkerung. Die ländliche Mittelclasse beträgt ferner
in der Ritterschaft 5,s, im Klostergebiete 11.n und im Domanium 34,1 Procent,
im Ganzen 22, v Procent der ländlichen Bevölkerung überhaupt.

Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß der Fortschritt und die Ver¬
mehrung derjenigen mittleren und kleinen Industrie, auf welche unsere Land-
städte angewiesen sind, ganz besonders von dem Stande und der Zahl der
ländlichen Mittelclasse abhängig sind. Die größere Wohlhabenheit, welche
letztere durchweg in der neueren Zeit — namentlich durch höhere Kornpreise —
errungen, würde im höchsten Grade wohlthätig auf die städtische Industrie
zurückgewirkt haben, wenn nur die Zahl der zur ländlichen Mittelclasse Gehö¬
rigen einigermaßen im richtigen Verhältnisse zur Zahl der Industriellen sich
vermehrt hätte. Da dies aber wegen des ständischen Widerstrebens in keiner
Weise geschehn ist, so ist theils ein bedauerlicher Rückschritt in einzelnen Ge¬
werben, theils in anderen ein bedenklicher Stillstand eingetreten, welcher
beim Fortbestehn der augenblicklichen Verhältnisse gleichfalls nur zu einem
Rückschritte führen kann. — Vielleicht würde es dem Lande zum Vortheil
gereichen, wenn sich größere, industrielle Unternehmungen in ihm eröffneten,
seien diese private oder öffentliche. Erstere sind aber bei dem herrschenden
Steuersystem fast unmöglich, letztere auch auf längere Dauer hinausgeschoben,
falls sich nicht für die Ausführung des Güstrow-Stettiner Eisenbahnprojectes
bald günstigere Aussichten eröffnen.

Auf das Tiefste greisen die bestehenden Verhältnisse mit ihrer hemmenden
und drückenden Einwirkung in alle Lebensrichtungen der Bevölkerung ein. Wie
aber die stritte Unteilbarkeit des Grundes und Bodens die Unterlage ersterer
ist, so geht aus ihr auch folgerichtig eine große Zahl von Uebelständen als
aus erster Quelle hervor. Durch sie wird die so wünschenswerthe wie noth¬
wendige Vermehrung des verhältnißmäßig äußerst geringfügigen, ländlichen
Mittelstandes theils gehemmt, theils unmöglich gemacht, und in Folge davon
wird durch sie ein unverhältnißmäßiges Anwachsen derjenigen Classen der Be¬
völkerung hervorgerufen, welche als Tagelöhner, Knechte u. s. w. in einer
höchst abhängigen Stellung leben, welche hinsichtlich ihrer Niederlassung und
Verehelichung an den Willen einzelner Weniger gebunden sind und bei ihrer
anwachsenden Zahl nothwendig in dieser Hinsicht einer immer größern Be¬
schränkung unterliegen müssen.

Muß man dies, wie wir nicht zweifeln, unbedingt zugeben, so muß man
auch andrerseits gern oder ungern zugestehn, daß die Folgen namentlich dieser
Niederlassungsbeschränkung, überhaupt aber der socialen Abhängigkeit in jeder


Grenzboten IV. 1860. 12
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[0101] Domcunum ca. 30.000 Tagelöhnerfamilien wohnen. Bezüglich der übrigen Bewohner dieser Landestheile bilden die Tagelöhner in der Ritterschaft aber 92,s, im Klostergebiete 86,7, im Domanium 65,3 Procent, im Ganzen 76,s Procent der Gesammtbevölkerung. Die ländliche Mittelclasse beträgt ferner in der Ritterschaft 5,s, im Klostergebiete 11.n und im Domanium 34,1 Procent, im Ganzen 22, v Procent der ländlichen Bevölkerung überhaupt. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß der Fortschritt und die Ver¬ mehrung derjenigen mittleren und kleinen Industrie, auf welche unsere Land- städte angewiesen sind, ganz besonders von dem Stande und der Zahl der ländlichen Mittelclasse abhängig sind. Die größere Wohlhabenheit, welche letztere durchweg in der neueren Zeit — namentlich durch höhere Kornpreise — errungen, würde im höchsten Grade wohlthätig auf die städtische Industrie zurückgewirkt haben, wenn nur die Zahl der zur ländlichen Mittelclasse Gehö¬ rigen einigermaßen im richtigen Verhältnisse zur Zahl der Industriellen sich vermehrt hätte. Da dies aber wegen des ständischen Widerstrebens in keiner Weise geschehn ist, so ist theils ein bedauerlicher Rückschritt in einzelnen Ge¬ werben, theils in anderen ein bedenklicher Stillstand eingetreten, welcher beim Fortbestehn der augenblicklichen Verhältnisse gleichfalls nur zu einem Rückschritte führen kann. — Vielleicht würde es dem Lande zum Vortheil gereichen, wenn sich größere, industrielle Unternehmungen in ihm eröffneten, seien diese private oder öffentliche. Erstere sind aber bei dem herrschenden Steuersystem fast unmöglich, letztere auch auf längere Dauer hinausgeschoben, falls sich nicht für die Ausführung des Güstrow-Stettiner Eisenbahnprojectes bald günstigere Aussichten eröffnen. Auf das Tiefste greisen die bestehenden Verhältnisse mit ihrer hemmenden und drückenden Einwirkung in alle Lebensrichtungen der Bevölkerung ein. Wie aber die stritte Unteilbarkeit des Grundes und Bodens die Unterlage ersterer ist, so geht aus ihr auch folgerichtig eine große Zahl von Uebelständen als aus erster Quelle hervor. Durch sie wird die so wünschenswerthe wie noth¬ wendige Vermehrung des verhältnißmäßig äußerst geringfügigen, ländlichen Mittelstandes theils gehemmt, theils unmöglich gemacht, und in Folge davon wird durch sie ein unverhältnißmäßiges Anwachsen derjenigen Classen der Be¬ völkerung hervorgerufen, welche als Tagelöhner, Knechte u. s. w. in einer höchst abhängigen Stellung leben, welche hinsichtlich ihrer Niederlassung und Verehelichung an den Willen einzelner Weniger gebunden sind und bei ihrer anwachsenden Zahl nothwendig in dieser Hinsicht einer immer größern Be¬ schränkung unterliegen müssen. Muß man dies, wie wir nicht zweifeln, unbedingt zugeben, so muß man auch andrerseits gern oder ungern zugestehn, daß die Folgen namentlich dieser Niederlassungsbeschränkung, überhaupt aber der socialen Abhängigkeit in jeder Grenzboten IV. 1860. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/101>, abgerufen am 15.01.2025.