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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Menge der übrigen Bevölkerung in diesem Landestheile besteht, wenn man
noch die Prediger, Forstbeamten, Schullehrer. Küster u. s. w. abrechnet, aus
Tagelöhnern und deren Familien. Die auf ritterschaftlichen Areale lebenden
Bauern sind von den Grundherren dergestalt abhängig, daß sie von ihrem
Acker entfernt werden können, indem ihnen entweder derselbe ganz genommen
wird, oder indem sie an einer andern Stelle des Gutsbezirkes neu angebaut
werden. In dieser und jener Weise sind viele Bauerstellen ge- und verlegt.
Noch im Jahre 1805 bestanden auf dem Gebiete der Ritterschaft 1658, im
Jahre 1819 noch 1502, im Jahre 1847 nur noch 1272 Bauerstellen und von
diesen sind im Laufe der letzten zwölf Jahre 85 Stellen ganzlich niedergelegt.
Die Zahl der Verlegungen ist gewiß nicht geringer, obwol nicht erforschbar,
da es unseres Wissens bisher Niemand versucht hat, solchen Kleinigkeiten sta¬
tistisch nachzuspüren. -- Die Tagelöhner der Ritterschaft haben zwar für sich
und ihre Familien, wenn sie arbeiten wollen und können, ein verhältnißmäßig
gutes Auskommen. Aber sie sind von dem Belieben ihrer Gutshcrern factisch
ganz abhängig, namentlich hinsichtlich ihrer Niederlassung und der Armen¬
versorgung. Erstere ist ihnen nur möglich, wenn eine nachhaltige Vermeh¬
rung der Arbeitskraft auf dem Gute, wo sie geboren wurden, zweckdienlich
erscheint, überhaupt nur aus persönlichen Rücksichten des Gutsbesitzers allein,
welcher darin jeder Verantwortung oder Controle enthoben ist. Deshalb steht ihm
zwar auch die Armenversorgung mit Recht allein zu; aber eben dieser Umstand
wird zurückwirkend natürlich wieder ein großes Hinderniß der Niederlassung,
deren Beschränkung dann die bedauerlichen Folgen einer unverhältnißmößig
großen Zahl unehelicher Geburten nach sich zieht. In dem 7,04 Quadratur,
umfassenden Klostergebiete verhält es sich in allem, wie in der Ritterschaft;
die klösterlichen Konvente adliger Jungfrauen sind die Besitzer des Areals unter
Aufsicht und Verwaltung der adligen Landstände. Es befinden sich auf jener
Fläche 31 große Güter, 236 Baucrstellcn. deren Niederlegung jedoch sehr selten
geschieht, einige Prediger, Förster u. s. w. -- Das Domauium umfaßt 97,2"
Quadraten. In ihm gibt es keine Gutsbesitzer, aber 254 große Pachtgüter,
5443 Bauern und Erbpächter, 9682 Büdner. Häusler ze.; daneben Prediger und
Förster mit oft bedeutenden Ackerwerken, Küster, Schullehrer, einzelne Handwerker
u. f. w. Der übrige Theil gehört auch hier zur Classe der Tagelöhner, ist aber,
unter der geregelten Verwaltung landesherrlicher Beamten stehend, jeder persön¬
lichen Willkür entzogen und betreffs der Niederlassung und Armenpflege insofern
besser gestellt, als diese nicht auf jeden einzelnen Ort beschränkt, sondern auf
den größern Bezirk des Amtes ausgedehnt sind.

Zieht man aus dem eben Gesagten, mit Rücksicht auf die ganze Bevöl¬
kerung der einzelnen Landestheile in Mecklenburg-Schwerin die Summe, so
ergibt sich, daß in der Ritterschaft ca. 30,000, im Klostergebiete ca. 1800. im


Menge der übrigen Bevölkerung in diesem Landestheile besteht, wenn man
noch die Prediger, Forstbeamten, Schullehrer. Küster u. s. w. abrechnet, aus
Tagelöhnern und deren Familien. Die auf ritterschaftlichen Areale lebenden
Bauern sind von den Grundherren dergestalt abhängig, daß sie von ihrem
Acker entfernt werden können, indem ihnen entweder derselbe ganz genommen
wird, oder indem sie an einer andern Stelle des Gutsbezirkes neu angebaut
werden. In dieser und jener Weise sind viele Bauerstellen ge- und verlegt.
Noch im Jahre 1805 bestanden auf dem Gebiete der Ritterschaft 1658, im
Jahre 1819 noch 1502, im Jahre 1847 nur noch 1272 Bauerstellen und von
diesen sind im Laufe der letzten zwölf Jahre 85 Stellen ganzlich niedergelegt.
Die Zahl der Verlegungen ist gewiß nicht geringer, obwol nicht erforschbar,
da es unseres Wissens bisher Niemand versucht hat, solchen Kleinigkeiten sta¬
tistisch nachzuspüren. — Die Tagelöhner der Ritterschaft haben zwar für sich
und ihre Familien, wenn sie arbeiten wollen und können, ein verhältnißmäßig
gutes Auskommen. Aber sie sind von dem Belieben ihrer Gutshcrern factisch
ganz abhängig, namentlich hinsichtlich ihrer Niederlassung und der Armen¬
versorgung. Erstere ist ihnen nur möglich, wenn eine nachhaltige Vermeh¬
rung der Arbeitskraft auf dem Gute, wo sie geboren wurden, zweckdienlich
erscheint, überhaupt nur aus persönlichen Rücksichten des Gutsbesitzers allein,
welcher darin jeder Verantwortung oder Controle enthoben ist. Deshalb steht ihm
zwar auch die Armenversorgung mit Recht allein zu; aber eben dieser Umstand
wird zurückwirkend natürlich wieder ein großes Hinderniß der Niederlassung,
deren Beschränkung dann die bedauerlichen Folgen einer unverhältnißmößig
großen Zahl unehelicher Geburten nach sich zieht. In dem 7,04 Quadratur,
umfassenden Klostergebiete verhält es sich in allem, wie in der Ritterschaft;
die klösterlichen Konvente adliger Jungfrauen sind die Besitzer des Areals unter
Aufsicht und Verwaltung der adligen Landstände. Es befinden sich auf jener
Fläche 31 große Güter, 236 Baucrstellcn. deren Niederlegung jedoch sehr selten
geschieht, einige Prediger, Förster u. s. w. — Das Domauium umfaßt 97,2»
Quadraten. In ihm gibt es keine Gutsbesitzer, aber 254 große Pachtgüter,
5443 Bauern und Erbpächter, 9682 Büdner. Häusler ze.; daneben Prediger und
Förster mit oft bedeutenden Ackerwerken, Küster, Schullehrer, einzelne Handwerker
u. f. w. Der übrige Theil gehört auch hier zur Classe der Tagelöhner, ist aber,
unter der geregelten Verwaltung landesherrlicher Beamten stehend, jeder persön¬
lichen Willkür entzogen und betreffs der Niederlassung und Armenpflege insofern
besser gestellt, als diese nicht auf jeden einzelnen Ort beschränkt, sondern auf
den größern Bezirk des Amtes ausgedehnt sind.

Zieht man aus dem eben Gesagten, mit Rücksicht auf die ganze Bevöl¬
kerung der einzelnen Landestheile in Mecklenburg-Schwerin die Summe, so
ergibt sich, daß in der Ritterschaft ca. 30,000, im Klostergebiete ca. 1800. im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/100>, abgerufen am 15.01.2025.