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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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so ungeschickt, wie als Verleumder. In demselben Augenblicke, da er sich er¬
niedrigte, beleidigte er den Papst aufs Gröblichste. Clemens war nämlich ein
ausgezeichneter Civiljurist und hatte als solcher seine Carriöre gemacht. Ob
Bacon das nicht wußte, oder in seinem Eifer eine solche Kleinigkeit übersah, er
erzählte dem heiligen Vater zu wiederholten Malen, daß die Juristen des Civil¬
rechts eine Pest der menschlichen Gesellschaft seien, und daß der Verfall der
Kirche daher komme, daß sie zu hohen Würden befördert würden. Wäre das
Betragen von Bacon dem Papste gegenüber das eures Mannes gewesen, so
könnten wir seine Ansicht vielleicht mißbilligen, ihn aber wegen seiner Frei-
müthigkeit achten. Wenn er dagegen seine Schmähungen aus dem Staube
heraufwinselt, so fügt er unseres Erachtens nur eine Thorheit zu einer Niedrig¬
keit hinzu.

Die Liebe von Bacon zur Wissenschaft war jedenfalls echt und tief gefühlt,
wenn sie auch nicht immer rein war. Er hatte sein ganzes, nicht unbedeu¬
tendes Vermögen und seine ganze Zeit dem Studiren und Forschen geopfert.
Er sah sich als einen Märtyrer des Wissens an. Dessen ungeachtet hören wir
ihn dem Papste sagen, daß "Seine Hoheit der unbeschränkte Herr aller Länder
und Könige" sei, "daß Seine Macht den Himmel durchdringe, das Fegefeuer
öffne, die Hölle in den Abgrund trete und das Universum umfasse," daß es
daher um ihm sei, alles Unrecht zu rechten. Wenn Bacon unmittelbar nach
solcher Sprache auf seine Gegner in der Wissenschaft als die Urheber alles
Uebels hinweiset, so können wir uns des Verdachtes nicht enthalten, daß er
trotz seiner Liebe zur Forschung den Papst zu wissenschaftlichen Verfolgungen
aufforderte.

Aber auch abgesehen hiervon konnte Clemens keine hohe Meinung von
den Neuerungen Rvgev Bacons haben. Wenn wir uns nicht mit Hörensagen
begnügen, sondern wirklich seine Werke lesen, so gehen mir gewöhnlich mit
dem VoruriheUe heran, daß im dreizehnten Jahrhundert nichts als Aberglauben
und Unwissenheit zu erwarten ist. Wir sind daher überrascht, so viel Licht
zu finden, als die Schriften von Bacon ohne Zweifel enthalten. Die Folge
davon ist, daß wir ihn für einen überlegenen Geist halten und ihm seine Be¬
hauptungen aufs Wort glauben. Clemens befand sich aber in einer ganz
andern Lage. Clemens konnte nicht so unvollkommen mit der Literatur seiner
Zeit bekannt sein, wie wir es sind. Er mußte Vincent von Beauvais, Jacob
von Vitry, Campanus, Bonaventura, Albertus, Thomas ab Aquino, Wilhelm
von Tocco und eine Menge anderer Gelehrten kennen und daher sehen, daß
viele Behauptungen von Bacon nichts als Verleumdungen waren. Wenn wir
z. B. lesen, daß alle Gelehrten der damaligen Zeit mit Ausnahme von Bacon
selbst den Magnetismus einem mystischen Einflüsse des Sterns Nautica zu¬
schreiben, so mögen wir das glauben. Nicht so Clemens. Wir wollen nicht


so ungeschickt, wie als Verleumder. In demselben Augenblicke, da er sich er¬
niedrigte, beleidigte er den Papst aufs Gröblichste. Clemens war nämlich ein
ausgezeichneter Civiljurist und hatte als solcher seine Carriöre gemacht. Ob
Bacon das nicht wußte, oder in seinem Eifer eine solche Kleinigkeit übersah, er
erzählte dem heiligen Vater zu wiederholten Malen, daß die Juristen des Civil¬
rechts eine Pest der menschlichen Gesellschaft seien, und daß der Verfall der
Kirche daher komme, daß sie zu hohen Würden befördert würden. Wäre das
Betragen von Bacon dem Papste gegenüber das eures Mannes gewesen, so
könnten wir seine Ansicht vielleicht mißbilligen, ihn aber wegen seiner Frei-
müthigkeit achten. Wenn er dagegen seine Schmähungen aus dem Staube
heraufwinselt, so fügt er unseres Erachtens nur eine Thorheit zu einer Niedrig¬
keit hinzu.

Die Liebe von Bacon zur Wissenschaft war jedenfalls echt und tief gefühlt,
wenn sie auch nicht immer rein war. Er hatte sein ganzes, nicht unbedeu¬
tendes Vermögen und seine ganze Zeit dem Studiren und Forschen geopfert.
Er sah sich als einen Märtyrer des Wissens an. Dessen ungeachtet hören wir
ihn dem Papste sagen, daß „Seine Hoheit der unbeschränkte Herr aller Länder
und Könige" sei, „daß Seine Macht den Himmel durchdringe, das Fegefeuer
öffne, die Hölle in den Abgrund trete und das Universum umfasse," daß es
daher um ihm sei, alles Unrecht zu rechten. Wenn Bacon unmittelbar nach
solcher Sprache auf seine Gegner in der Wissenschaft als die Urheber alles
Uebels hinweiset, so können wir uns des Verdachtes nicht enthalten, daß er
trotz seiner Liebe zur Forschung den Papst zu wissenschaftlichen Verfolgungen
aufforderte.

Aber auch abgesehen hiervon konnte Clemens keine hohe Meinung von
den Neuerungen Rvgev Bacons haben. Wenn wir uns nicht mit Hörensagen
begnügen, sondern wirklich seine Werke lesen, so gehen mir gewöhnlich mit
dem VoruriheUe heran, daß im dreizehnten Jahrhundert nichts als Aberglauben
und Unwissenheit zu erwarten ist. Wir sind daher überrascht, so viel Licht
zu finden, als die Schriften von Bacon ohne Zweifel enthalten. Die Folge
davon ist, daß wir ihn für einen überlegenen Geist halten und ihm seine Be¬
hauptungen aufs Wort glauben. Clemens befand sich aber in einer ganz
andern Lage. Clemens konnte nicht so unvollkommen mit der Literatur seiner
Zeit bekannt sein, wie wir es sind. Er mußte Vincent von Beauvais, Jacob
von Vitry, Campanus, Bonaventura, Albertus, Thomas ab Aquino, Wilhelm
von Tocco und eine Menge anderer Gelehrten kennen und daher sehen, daß
viele Behauptungen von Bacon nichts als Verleumdungen waren. Wenn wir
z. B. lesen, daß alle Gelehrten der damaligen Zeit mit Ausnahme von Bacon
selbst den Magnetismus einem mystischen Einflüsse des Sterns Nautica zu¬
schreiben, so mögen wir das glauben. Nicht so Clemens. Wir wollen nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/98>, abgerufen am 24.07.2024.