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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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tels gefährdete Ansehn des päpstlichen Hofes in England zu befestigen. Der
Papst, der sich so getäuscht sah, nahm van Bacon keine weitere Notiz. Er
antwortete ihm nicht einmal. Bacon glaubte aber, Clemens habe ihn nicht
gehörig verstanden. Er arbeitete daher sogleich ein zweites, erklärendes Werk,
das Opus Minus aus, welches wir nur als Fragment besitzen. Der Papst
war natürlich vom Opus Minus nicht mehr erbaut als vom Opus Majus.
Ein gewöhnlicher Mensch hätte sich wahrscheinlich bei dem zweimaligen Ver¬
unglücken seines Versuches, den Papst zu überzeugen, beruhigt. Bacon war
aber so fest davon überzeugt, daß er dem heiligen Vater pures Gold geboten,
während alle übrigen Gelehrten nichts als elende Schlacken zu geben hatten,
daß er sich damit noch nicht zufrieden geben konnte. Ehe achtzehn Monate
abgelaufen waren, hatte er bereits sein drittes Werk, das Opus Tertium, ver¬
faßt und nach Nom gesandt. Seine Verirrungen, die im Opus Majus in mil¬
der Form erscheinen, treten hier in grellem Lichte zu Tage. Sie werden nur
von einigen Stellen im Compendium Philosophiae übertroffen, das Bacon
später schrieb, als er selbst den Papst oder wenigstens die römische Curie auf¬
gegeben hatte.

Im Leben von Roger Bacon sind, wie wir gesehen, zwei Perioden strenge
geschieden. Die erste, die bis ungefähr zu seinem 3S. Jahre reicht, war mit
ernsten Studien im gemeinen schlichten Sinn oder sensu vulgi, wie er es nannte,
angefüllt. Der Gewinn davon war bedeutend und dauernd. Die zweite Periode
beginnt mit seiner fluchtlosen Opposition gegen Albertus, die Herz und Kopf
mit böser Krankheit erfüllte. Dem Ursprünge nach verschiedenen Zeiten an¬
gehörend, erscheint Weisheit und Thorheit, Güte und Schlechtigkeit in den
Schriften von Bacon dicht nebeneinander in denselben Kapiteln und auf den¬
selben Seiten.

Der Grundzug von Bacons Charakter war zweifelsohne ein großes, sogar
ein zu großes Selbstgefühl. Wenn wir indessen das Opus Tertium öffnen, finden
wir ihn gleich im Anfange wie einen niedrigen Sklaven, im Staube liegen. "Wo
gibt es solche Beredtsamkeit. wo solche Tiefe des Gedankens" u. s. w., um
die Herablassung des Papstes zu beschreiben? Er nennt sich die "Sohle am
Fuße des Papstes", "kaum ein Atom im Universum" u. s. w. Nachdem Bacon
sich in solchen Bildern erschöpft, veisichert er, daß "seine Zunge gelähmt" sei,
"seine Hand zittert." "seine Sinne ihm schwinden bei dem Mirakel," daß der
Papst ihn hören wolle, und das; er daher keine Worte für seine Dankbarkeit
finden könne. Das war nicht die Sprache des Jahrhunderts. Die Gelehrten
waren damals viel zu vornehm, um servil zu sein. Albertus Magnus gab
sein Bisthum aus, um als unabhängiger Gelehrter seine ganze Zeit der Wissen¬
schaft zu widmen und Thomas ab Aquino konnte nicht beredet werden, ein
Erzbisthum anzunehmen. Sonderbar genug, Bacon war als Schmeichler eben


tels gefährdete Ansehn des päpstlichen Hofes in England zu befestigen. Der
Papst, der sich so getäuscht sah, nahm van Bacon keine weitere Notiz. Er
antwortete ihm nicht einmal. Bacon glaubte aber, Clemens habe ihn nicht
gehörig verstanden. Er arbeitete daher sogleich ein zweites, erklärendes Werk,
das Opus Minus aus, welches wir nur als Fragment besitzen. Der Papst
war natürlich vom Opus Minus nicht mehr erbaut als vom Opus Majus.
Ein gewöhnlicher Mensch hätte sich wahrscheinlich bei dem zweimaligen Ver¬
unglücken seines Versuches, den Papst zu überzeugen, beruhigt. Bacon war
aber so fest davon überzeugt, daß er dem heiligen Vater pures Gold geboten,
während alle übrigen Gelehrten nichts als elende Schlacken zu geben hatten,
daß er sich damit noch nicht zufrieden geben konnte. Ehe achtzehn Monate
abgelaufen waren, hatte er bereits sein drittes Werk, das Opus Tertium, ver¬
faßt und nach Nom gesandt. Seine Verirrungen, die im Opus Majus in mil¬
der Form erscheinen, treten hier in grellem Lichte zu Tage. Sie werden nur
von einigen Stellen im Compendium Philosophiae übertroffen, das Bacon
später schrieb, als er selbst den Papst oder wenigstens die römische Curie auf¬
gegeben hatte.

Im Leben von Roger Bacon sind, wie wir gesehen, zwei Perioden strenge
geschieden. Die erste, die bis ungefähr zu seinem 3S. Jahre reicht, war mit
ernsten Studien im gemeinen schlichten Sinn oder sensu vulgi, wie er es nannte,
angefüllt. Der Gewinn davon war bedeutend und dauernd. Die zweite Periode
beginnt mit seiner fluchtlosen Opposition gegen Albertus, die Herz und Kopf
mit böser Krankheit erfüllte. Dem Ursprünge nach verschiedenen Zeiten an¬
gehörend, erscheint Weisheit und Thorheit, Güte und Schlechtigkeit in den
Schriften von Bacon dicht nebeneinander in denselben Kapiteln und auf den¬
selben Seiten.

Der Grundzug von Bacons Charakter war zweifelsohne ein großes, sogar
ein zu großes Selbstgefühl. Wenn wir indessen das Opus Tertium öffnen, finden
wir ihn gleich im Anfange wie einen niedrigen Sklaven, im Staube liegen. „Wo
gibt es solche Beredtsamkeit. wo solche Tiefe des Gedankens" u. s. w., um
die Herablassung des Papstes zu beschreiben? Er nennt sich die „Sohle am
Fuße des Papstes", „kaum ein Atom im Universum" u. s. w. Nachdem Bacon
sich in solchen Bildern erschöpft, veisichert er, daß „seine Zunge gelähmt" sei,
„seine Hand zittert." „seine Sinne ihm schwinden bei dem Mirakel," daß der
Papst ihn hören wolle, und das; er daher keine Worte für seine Dankbarkeit
finden könne. Das war nicht die Sprache des Jahrhunderts. Die Gelehrten
waren damals viel zu vornehm, um servil zu sein. Albertus Magnus gab
sein Bisthum aus, um als unabhängiger Gelehrter seine ganze Zeit der Wissen¬
schaft zu widmen und Thomas ab Aquino konnte nicht beredet werden, ein
Erzbisthum anzunehmen. Sonderbar genug, Bacon war als Schmeichler eben


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[0097] tels gefährdete Ansehn des päpstlichen Hofes in England zu befestigen. Der Papst, der sich so getäuscht sah, nahm van Bacon keine weitere Notiz. Er antwortete ihm nicht einmal. Bacon glaubte aber, Clemens habe ihn nicht gehörig verstanden. Er arbeitete daher sogleich ein zweites, erklärendes Werk, das Opus Minus aus, welches wir nur als Fragment besitzen. Der Papst war natürlich vom Opus Minus nicht mehr erbaut als vom Opus Majus. Ein gewöhnlicher Mensch hätte sich wahrscheinlich bei dem zweimaligen Ver¬ unglücken seines Versuches, den Papst zu überzeugen, beruhigt. Bacon war aber so fest davon überzeugt, daß er dem heiligen Vater pures Gold geboten, während alle übrigen Gelehrten nichts als elende Schlacken zu geben hatten, daß er sich damit noch nicht zufrieden geben konnte. Ehe achtzehn Monate abgelaufen waren, hatte er bereits sein drittes Werk, das Opus Tertium, ver¬ faßt und nach Nom gesandt. Seine Verirrungen, die im Opus Majus in mil¬ der Form erscheinen, treten hier in grellem Lichte zu Tage. Sie werden nur von einigen Stellen im Compendium Philosophiae übertroffen, das Bacon später schrieb, als er selbst den Papst oder wenigstens die römische Curie auf¬ gegeben hatte. Im Leben von Roger Bacon sind, wie wir gesehen, zwei Perioden strenge geschieden. Die erste, die bis ungefähr zu seinem 3S. Jahre reicht, war mit ernsten Studien im gemeinen schlichten Sinn oder sensu vulgi, wie er es nannte, angefüllt. Der Gewinn davon war bedeutend und dauernd. Die zweite Periode beginnt mit seiner fluchtlosen Opposition gegen Albertus, die Herz und Kopf mit böser Krankheit erfüllte. Dem Ursprünge nach verschiedenen Zeiten an¬ gehörend, erscheint Weisheit und Thorheit, Güte und Schlechtigkeit in den Schriften von Bacon dicht nebeneinander in denselben Kapiteln und auf den¬ selben Seiten. Der Grundzug von Bacons Charakter war zweifelsohne ein großes, sogar ein zu großes Selbstgefühl. Wenn wir indessen das Opus Tertium öffnen, finden wir ihn gleich im Anfange wie einen niedrigen Sklaven, im Staube liegen. „Wo gibt es solche Beredtsamkeit. wo solche Tiefe des Gedankens" u. s. w., um die Herablassung des Papstes zu beschreiben? Er nennt sich die „Sohle am Fuße des Papstes", „kaum ein Atom im Universum" u. s. w. Nachdem Bacon sich in solchen Bildern erschöpft, veisichert er, daß „seine Zunge gelähmt" sei, „seine Hand zittert." „seine Sinne ihm schwinden bei dem Mirakel," daß der Papst ihn hören wolle, und das; er daher keine Worte für seine Dankbarkeit finden könne. Das war nicht die Sprache des Jahrhunderts. Die Gelehrten waren damals viel zu vornehm, um servil zu sein. Albertus Magnus gab sein Bisthum aus, um als unabhängiger Gelehrter seine ganze Zeit der Wissen¬ schaft zu widmen und Thomas ab Aquino konnte nicht beredet werden, ein Erzbisthum anzunehmen. Sonderbar genug, Bacon war als Schmeichler eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/97>, abgerufen am 24.07.2024.