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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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und Andern lästig wurde, sperrten ihn Sulbalterne ohne Weiteres, wie einen
Schulknaben, bei Brod und Wasser ein, während der englische Provincial
John Bentham und der General des Ordens Bonaventura zu den größesten
Gelehrten und zu den eifrigsten Förderern von Wissenschaft gehörten.

Nie war Ehrgeiz härter bestraft worden. Dieselbe Halsstarrigkeit, die
Bacon ins Unglück geführt, gab ihm aber auch die Kraft es zu tragen. Wenn
die Welt ihn verachtete, so verachtete er seinerseits die Welt noch weit mehr.
Seit vierzig Jahren, das war seine fixe Idee, war das ganze Menschengeschlecht,
degenerirt. verderbt und verdummt, und die Verderbtesten und Verdummtesten
von Allen waren grade die Geehrtester, nämlich die Magistn Parisii mit Albertus
Magnus an der Spitze. Er, Bacon war das einzige Licht, das übrig geblieben.
Er war im alleinigen Besitze aller Mittel, die Wunden der kranken Menschheit
zu heilen -- wenn sie ihn nur als Arzt anerkennen wollte. (Siehe z. B. S. 84)
Er und nur er konnte Staat und Kirche vom Untergange retten. Während
Bacon seine Weisheit so einem ungläubigen Publikum anpries, schickte Urban IV.
den Cardinal von Sabina nach England, um zwischen der Partei von Simon
von Montfort und Heinrich III. einen Vergleich zu Stande zu bringen. Der
Vergleich scheiterte. Der Cardina! hörte bei dieser Gelegenheit aber von Ba¬
con als einem guten Royalisten und einem Mann, der sich rühme, am besten
zu wissen, wie die Verwirrungen gelöst werden könnten. Der Cardinal von
Sabina wurde einige Jahre später selbst Papst Clemens IV. Er hatte Bacon
nicht vergessen, und da die Schwierigkeiten der Kirche zahlreich und groß waren,
hielt er es für gut, auch die Ansichten des englischen Franciscanerbruders zu
hören. Er trug ihm auf, seine Verbesserungsvorschläge niederzuschreiben und
nach Rom zu schicken, ohne das Manuscript jedoch jemand zu zeigen.

Bacon nahm sich keine Zeit, ruhig zu erwägen, was der Papst eigentlich
von ihm verlangte. Er eilte nach Paris und schrieb da sein Opus Majus.
Die wenigen Monate, die er darauf verwendet, sind gewiß die glücklichsten
seines Lebens gewesen. Welcher Schriftsteller verspricht sich nicht überschwü'ng-
lichen Erfolg von seinem ersten Buche? Und Bacon, so lauge verhöhnt, schrieb
jetzt für die höchste Person in der Christenheit. Sollte er nicht hoffen, aus
dem Letzten plötzlich der Erste zu werden? Glück übt nur auf gemeine Menschen
einen verderblichen Einfluß aus. Edlere Naturen werden dadurch besser. Die
Härten und Ungerechtigkeiten von Bacon wurden gemildert, sein Urtheil ruhiger
und das Opus Majus, obgleich durchaus nicht frei von Uebertreibungen und
falschen Behauptungen, ist im Ganzen ein interessantes Werk über scholastische
Philosophie ganz -- nur etwas anderes, als was der Papst erwartet hatte.
Mathematik und alte Sprachen waren gewiß sehr empfehlungswerth, aber sie
schienen Clemens nicht grade die wirksamsten Mittel zu sein, Manfred aus
Italien zu treiben, Carl von Anjou im Gehorsam der Kirche zu erhalten und


und Andern lästig wurde, sperrten ihn Sulbalterne ohne Weiteres, wie einen
Schulknaben, bei Brod und Wasser ein, während der englische Provincial
John Bentham und der General des Ordens Bonaventura zu den größesten
Gelehrten und zu den eifrigsten Förderern von Wissenschaft gehörten.

Nie war Ehrgeiz härter bestraft worden. Dieselbe Halsstarrigkeit, die
Bacon ins Unglück geführt, gab ihm aber auch die Kraft es zu tragen. Wenn
die Welt ihn verachtete, so verachtete er seinerseits die Welt noch weit mehr.
Seit vierzig Jahren, das war seine fixe Idee, war das ganze Menschengeschlecht,
degenerirt. verderbt und verdummt, und die Verderbtesten und Verdummtesten
von Allen waren grade die Geehrtester, nämlich die Magistn Parisii mit Albertus
Magnus an der Spitze. Er, Bacon war das einzige Licht, das übrig geblieben.
Er war im alleinigen Besitze aller Mittel, die Wunden der kranken Menschheit
zu heilen — wenn sie ihn nur als Arzt anerkennen wollte. (Siehe z. B. S. 84)
Er und nur er konnte Staat und Kirche vom Untergange retten. Während
Bacon seine Weisheit so einem ungläubigen Publikum anpries, schickte Urban IV.
den Cardinal von Sabina nach England, um zwischen der Partei von Simon
von Montfort und Heinrich III. einen Vergleich zu Stande zu bringen. Der
Vergleich scheiterte. Der Cardina! hörte bei dieser Gelegenheit aber von Ba¬
con als einem guten Royalisten und einem Mann, der sich rühme, am besten
zu wissen, wie die Verwirrungen gelöst werden könnten. Der Cardinal von
Sabina wurde einige Jahre später selbst Papst Clemens IV. Er hatte Bacon
nicht vergessen, und da die Schwierigkeiten der Kirche zahlreich und groß waren,
hielt er es für gut, auch die Ansichten des englischen Franciscanerbruders zu
hören. Er trug ihm auf, seine Verbesserungsvorschläge niederzuschreiben und
nach Rom zu schicken, ohne das Manuscript jedoch jemand zu zeigen.

Bacon nahm sich keine Zeit, ruhig zu erwägen, was der Papst eigentlich
von ihm verlangte. Er eilte nach Paris und schrieb da sein Opus Majus.
Die wenigen Monate, die er darauf verwendet, sind gewiß die glücklichsten
seines Lebens gewesen. Welcher Schriftsteller verspricht sich nicht überschwü'ng-
lichen Erfolg von seinem ersten Buche? Und Bacon, so lauge verhöhnt, schrieb
jetzt für die höchste Person in der Christenheit. Sollte er nicht hoffen, aus
dem Letzten plötzlich der Erste zu werden? Glück übt nur auf gemeine Menschen
einen verderblichen Einfluß aus. Edlere Naturen werden dadurch besser. Die
Härten und Ungerechtigkeiten von Bacon wurden gemildert, sein Urtheil ruhiger
und das Opus Majus, obgleich durchaus nicht frei von Uebertreibungen und
falschen Behauptungen, ist im Ganzen ein interessantes Werk über scholastische
Philosophie ganz — nur etwas anderes, als was der Papst erwartet hatte.
Mathematik und alte Sprachen waren gewiß sehr empfehlungswerth, aber sie
schienen Clemens nicht grade die wirksamsten Mittel zu sein, Manfred aus
Italien zu treiben, Carl von Anjou im Gehorsam der Kirche zu erhalten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/96>, abgerufen am 24.07.2024.