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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Lehre zu seinen Lebzeiten nicht geachtet wurde," (S. 30) Alt und Jung,
Lehrer und Lernende versammelten sich um Albert, um aus seinem Munde
Weisheit zu lernen. Sein Wort war Gesetz. Die größesten Hallen konnten
seine Zuhörer nicht fassen. Er war genöthigt, aus den öffentlichen Platz
hinauszuziehen, der noch. jelZ nach ihm in der Zusammenziehung und Corrup-
tion Place Maubert genannt wird. Das war nicht mehr Albert Bollstädt,
nicht mehr Magister Albertus, sondern bereits Albertus Magnus oder wie er
von seinen Schülern genannt wurde. Dipus Albertus Magnus, der Große
und der Göttliche.

Bacon muß es bald eingesehen haben, daß er neben Albert keine andere
Wahl hatte, als sich entweder dazu zu entschließen, im besten Falle der zweite
zu sein, oder um jeden Preis etwas Neues zu erfinden, denn in den bekann¬
ten Reichen der Wissenschaft konnte er nicht hoffen, gegen die Popularität
seines Rivalen Stand zu halten. Hätte er sich wenigstens zeitweise Alberten
unterordnen können, so möchte er immer noch eine so ruhmvolle Laufbahn
wie Thomas ab Aquino gehabt haben. Er wollte aber nicht der Zweite
sein und machte es sich eben dadurch unmöglich, je der Erste zu werden. Im
Jahre 1267 schrieb er, daß er vor zwanzig Jahren, also grade zur Zeit.
von der wir sprechen, ,.den Weg der Gewöhnlichkeit verlassen" (voglseto
LLNLu vulgi, S. 59). Neue Wege führen indessen selten zum Glück. Neu¬
erungen sind fast nie Verbesserungen, wenn sie aus persönlicher Rivalität ge¬
sucht werden und nicht aus tieser Ueberzeugung und aus der Nothwendigkeit
in der Sache selbst fließen. Bacon verfiel seit dieser Zeit in eine Reihe von
Irrthümern und in eine krankhafte Reizbarkeit, die es ihm oft unmöglich
machte, die einfachsten Dinge richtig zu erfassen. Er sank schnell in der Ach¬
tung seiner Zeitgenossen. Wenn er zu seinen Freunden von neuen Entdeck¬
ungen sprach, lächelten diese mitleidig und antworteten, "das Alles sei ent¬
weder längst bekannt oder völlig werthlos." Wenn er in seinen Vorlesungen
zu Oxford seine neuen Theorien vorbrachte, lachten ihm seine Hörer ins Ge¬
sicht. Bald blieben die Schüler ganz aus und er mußte seine Vortrüge ein¬
stellen. Von der Zeit, die darauf folgte, sagt er: "Ich bin nun seit zehn
Jahren allen Ruhmes verlustig. Niemand fragt nach mir und Niemand spricht
von mir. Ich bin begraben in Vergessenheit und selbst mein Name ist aus
der Welt verschwunden." (S. 7) Abälard war verfolgt worden, weil er für
gefährlich gehalten. Bacon, im Gegentheile, wurde nicht gefürchtet, sondern
verachtet. Während seiner Zeit sah er drei Magistri Parisii auf den päpst¬
lichen Thron steigen, andere Magistri wurden Cardinäle, Erzbischöfe und
Bischöfe. Er blieb Franziscanerbruder bis zu seinem Ende, nicht weil
man ihn als Gelehrten verfolgte, sondern weil man ihn nicht als Gelehrten
anerkannte. Wenn er, wie es die Mönche seines Klosters nannten, sich selbst


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Lehre zu seinen Lebzeiten nicht geachtet wurde," (S. 30) Alt und Jung,
Lehrer und Lernende versammelten sich um Albert, um aus seinem Munde
Weisheit zu lernen. Sein Wort war Gesetz. Die größesten Hallen konnten
seine Zuhörer nicht fassen. Er war genöthigt, aus den öffentlichen Platz
hinauszuziehen, der noch. jelZ nach ihm in der Zusammenziehung und Corrup-
tion Place Maubert genannt wird. Das war nicht mehr Albert Bollstädt,
nicht mehr Magister Albertus, sondern bereits Albertus Magnus oder wie er
von seinen Schülern genannt wurde. Dipus Albertus Magnus, der Große
und der Göttliche.

Bacon muß es bald eingesehen haben, daß er neben Albert keine andere
Wahl hatte, als sich entweder dazu zu entschließen, im besten Falle der zweite
zu sein, oder um jeden Preis etwas Neues zu erfinden, denn in den bekann¬
ten Reichen der Wissenschaft konnte er nicht hoffen, gegen die Popularität
seines Rivalen Stand zu halten. Hätte er sich wenigstens zeitweise Alberten
unterordnen können, so möchte er immer noch eine so ruhmvolle Laufbahn
wie Thomas ab Aquino gehabt haben. Er wollte aber nicht der Zweite
sein und machte es sich eben dadurch unmöglich, je der Erste zu werden. Im
Jahre 1267 schrieb er, daß er vor zwanzig Jahren, also grade zur Zeit.
von der wir sprechen, ,.den Weg der Gewöhnlichkeit verlassen" (voglseto
LLNLu vulgi, S. 59). Neue Wege führen indessen selten zum Glück. Neu¬
erungen sind fast nie Verbesserungen, wenn sie aus persönlicher Rivalität ge¬
sucht werden und nicht aus tieser Ueberzeugung und aus der Nothwendigkeit
in der Sache selbst fließen. Bacon verfiel seit dieser Zeit in eine Reihe von
Irrthümern und in eine krankhafte Reizbarkeit, die es ihm oft unmöglich
machte, die einfachsten Dinge richtig zu erfassen. Er sank schnell in der Ach¬
tung seiner Zeitgenossen. Wenn er zu seinen Freunden von neuen Entdeck¬
ungen sprach, lächelten diese mitleidig und antworteten, „das Alles sei ent¬
weder längst bekannt oder völlig werthlos." Wenn er in seinen Vorlesungen
zu Oxford seine neuen Theorien vorbrachte, lachten ihm seine Hörer ins Ge¬
sicht. Bald blieben die Schüler ganz aus und er mußte seine Vortrüge ein¬
stellen. Von der Zeit, die darauf folgte, sagt er: „Ich bin nun seit zehn
Jahren allen Ruhmes verlustig. Niemand fragt nach mir und Niemand spricht
von mir. Ich bin begraben in Vergessenheit und selbst mein Name ist aus
der Welt verschwunden." (S. 7) Abälard war verfolgt worden, weil er für
gefährlich gehalten. Bacon, im Gegentheile, wurde nicht gefürchtet, sondern
verachtet. Während seiner Zeit sah er drei Magistri Parisii auf den päpst¬
lichen Thron steigen, andere Magistri wurden Cardinäle, Erzbischöfe und
Bischöfe. Er blieb Franziscanerbruder bis zu seinem Ende, nicht weil
man ihn als Gelehrten verfolgte, sondern weil man ihn nicht als Gelehrten
anerkannte. Wenn er, wie es die Mönche seines Klosters nannten, sich selbst


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[0095] Lehre zu seinen Lebzeiten nicht geachtet wurde," (S. 30) Alt und Jung, Lehrer und Lernende versammelten sich um Albert, um aus seinem Munde Weisheit zu lernen. Sein Wort war Gesetz. Die größesten Hallen konnten seine Zuhörer nicht fassen. Er war genöthigt, aus den öffentlichen Platz hinauszuziehen, der noch. jelZ nach ihm in der Zusammenziehung und Corrup- tion Place Maubert genannt wird. Das war nicht mehr Albert Bollstädt, nicht mehr Magister Albertus, sondern bereits Albertus Magnus oder wie er von seinen Schülern genannt wurde. Dipus Albertus Magnus, der Große und der Göttliche. Bacon muß es bald eingesehen haben, daß er neben Albert keine andere Wahl hatte, als sich entweder dazu zu entschließen, im besten Falle der zweite zu sein, oder um jeden Preis etwas Neues zu erfinden, denn in den bekann¬ ten Reichen der Wissenschaft konnte er nicht hoffen, gegen die Popularität seines Rivalen Stand zu halten. Hätte er sich wenigstens zeitweise Alberten unterordnen können, so möchte er immer noch eine so ruhmvolle Laufbahn wie Thomas ab Aquino gehabt haben. Er wollte aber nicht der Zweite sein und machte es sich eben dadurch unmöglich, je der Erste zu werden. Im Jahre 1267 schrieb er, daß er vor zwanzig Jahren, also grade zur Zeit. von der wir sprechen, ,.den Weg der Gewöhnlichkeit verlassen" (voglseto LLNLu vulgi, S. 59). Neue Wege führen indessen selten zum Glück. Neu¬ erungen sind fast nie Verbesserungen, wenn sie aus persönlicher Rivalität ge¬ sucht werden und nicht aus tieser Ueberzeugung und aus der Nothwendigkeit in der Sache selbst fließen. Bacon verfiel seit dieser Zeit in eine Reihe von Irrthümern und in eine krankhafte Reizbarkeit, die es ihm oft unmöglich machte, die einfachsten Dinge richtig zu erfassen. Er sank schnell in der Ach¬ tung seiner Zeitgenossen. Wenn er zu seinen Freunden von neuen Entdeck¬ ungen sprach, lächelten diese mitleidig und antworteten, „das Alles sei ent¬ weder längst bekannt oder völlig werthlos." Wenn er in seinen Vorlesungen zu Oxford seine neuen Theorien vorbrachte, lachten ihm seine Hörer ins Ge¬ sicht. Bald blieben die Schüler ganz aus und er mußte seine Vortrüge ein¬ stellen. Von der Zeit, die darauf folgte, sagt er: „Ich bin nun seit zehn Jahren allen Ruhmes verlustig. Niemand fragt nach mir und Niemand spricht von mir. Ich bin begraben in Vergessenheit und selbst mein Name ist aus der Welt verschwunden." (S. 7) Abälard war verfolgt worden, weil er für gefährlich gehalten. Bacon, im Gegentheile, wurde nicht gefürchtet, sondern verachtet. Während seiner Zeit sah er drei Magistri Parisii auf den päpst¬ lichen Thron steigen, andere Magistri wurden Cardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Er blieb Franziscanerbruder bis zu seinem Ende, nicht weil man ihn als Gelehrten verfolgte, sondern weil man ihn nicht als Gelehrten anerkannte. Wenn er, wie es die Mönche seines Klosters nannten, sich selbst 11 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/95>, abgerufen am 24.07.2024.