Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zahl erziehen konnte, wurde leicht "eich. Schon Abülard war von 4000
Studirenden umgeben gewesen und seine Reichthümer verleiteten ihn, wie er
es eingesteht, anfangs zu Ausschweifungen. Zur Zeit Bacons waren die
Aussichten noch besser. Die Vorliebe für Wissenschaft war in stetem Wachsen.
Friedrich der Zweite war, wie bekannt, einer der größesten Förderer von Ge¬
lehrsamkeit, die je gelebt. Dasselbe war Papst Urban de>' Vierte. Ludwig
der Heilige, der mit der einen Hand Reliquien an fromme Bischöfe sandte,
schützte mit der andern Philosophen, die wenig Respect vor Kirchenauctorität
zeigten. Alfons der Weise war so unweise, daß er sich wie Prospero fast
ausschließlich mit Astronomen und Mathematikern umgab, Bücher^ schrieb und
d<n Lauf der Gestirne berechnete. Er verlor, ebenfalls wie Prospero. darüber
seine Krone und sein Land. Wie die großen Könige, so wnrcn viele kleinere
Fürsten. Theobald von Vasconie z. B. trieb die Priester aus seinem Reiche,
die sich der freien Entwickelung der Wissenschaft widersetzen wollten und küm¬
merte sich wenig um die Ezcoinmunicationen von Rom. Bacon erzählt uns,
daß zu seiner Zeit Doctoren und namentlich Doctoren der Theologie "in
jeder Stadt, in jedem Schlosse, in jedem Burgflecken" zu finden waren. (S. 398)

Bei dieser seltenen Vereinigung günstiger Umstände hätte Bacon wahr¬
scheinlich eine glänzende Zukunft gehabt, wenn nicht neun Jahre vor seiner
Geburt die Frau des Grafen Bollstädt zu Lauingen in Schwatzen einen Sohn
geboren hätte, der so zwergartig klein blieb, daß keine Rede davon sein
konnte, einen Soldaten aus ihm zu macheu. Albert Bollstädt mußte Gelehr¬
ter werden und folglich früher oder später mit Roger Bacon als Nebenbuhler
zusammentreffen. Ein Ausweichen war unmöglich. Denn im dreizehnten
Jahrhunderte gabs nur eine gelehrte Sprache im Abendlande, die lateinische,
und nur eine Wissenschaft, die scholastische Philosophie. Sie umfaßte alle
Zweige des menschlichen Erkennens von Theologie und Methaphysik bis zur
Musik, zum Tanzen und zum Ackerbau. Der hiernach schon unvermeidliche
Wettstreit wurde dadurch uoch persönlicher gemacht, daß Paris den Mittel-
Punkt für alle Gelehrten bildete. Jeder, der den höchsten Ruhm beanspruchte,
mußte sich wenigstens zeitweise dort hören lassen. Dieselben Richter entschieden
in denselben Sälen über den Ehrenpreis.

Roger Bacon scheint vor Albert Bollstädt nach Paris gekommen zu
sein. Er war mit seinem Empfange nicht unzufrieden Wenigstens liebte er
es, in späterer Zeit von dem Ruhme zu sprechen, den er in jüngeren Jahren
genossen. Aber schon 1245 erschien Albert auf dem Mont Se. Geniviöve.
Der Ruhm, der ihm voranging, war außerordentlich, seine neuen Erfolge
ohne Beispiel. Roger Bacon schrieb von ihm zwanzig Jahre später mit
Bitterkeit: "Er übte einen größeren Einfluß aus die Geister aus, denn je
ein Mensch vor ihm. Selbst Christ ist nicht so erfolgreich gewesen, da seine


Zahl erziehen konnte, wurde leicht »eich. Schon Abülard war von 4000
Studirenden umgeben gewesen und seine Reichthümer verleiteten ihn, wie er
es eingesteht, anfangs zu Ausschweifungen. Zur Zeit Bacons waren die
Aussichten noch besser. Die Vorliebe für Wissenschaft war in stetem Wachsen.
Friedrich der Zweite war, wie bekannt, einer der größesten Förderer von Ge¬
lehrsamkeit, die je gelebt. Dasselbe war Papst Urban de>' Vierte. Ludwig
der Heilige, der mit der einen Hand Reliquien an fromme Bischöfe sandte,
schützte mit der andern Philosophen, die wenig Respect vor Kirchenauctorität
zeigten. Alfons der Weise war so unweise, daß er sich wie Prospero fast
ausschließlich mit Astronomen und Mathematikern umgab, Bücher^ schrieb und
d<n Lauf der Gestirne berechnete. Er verlor, ebenfalls wie Prospero. darüber
seine Krone und sein Land. Wie die großen Könige, so wnrcn viele kleinere
Fürsten. Theobald von Vasconie z. B. trieb die Priester aus seinem Reiche,
die sich der freien Entwickelung der Wissenschaft widersetzen wollten und küm¬
merte sich wenig um die Ezcoinmunicationen von Rom. Bacon erzählt uns,
daß zu seiner Zeit Doctoren und namentlich Doctoren der Theologie „in
jeder Stadt, in jedem Schlosse, in jedem Burgflecken" zu finden waren. (S. 398)

Bei dieser seltenen Vereinigung günstiger Umstände hätte Bacon wahr¬
scheinlich eine glänzende Zukunft gehabt, wenn nicht neun Jahre vor seiner
Geburt die Frau des Grafen Bollstädt zu Lauingen in Schwatzen einen Sohn
geboren hätte, der so zwergartig klein blieb, daß keine Rede davon sein
konnte, einen Soldaten aus ihm zu macheu. Albert Bollstädt mußte Gelehr¬
ter werden und folglich früher oder später mit Roger Bacon als Nebenbuhler
zusammentreffen. Ein Ausweichen war unmöglich. Denn im dreizehnten
Jahrhunderte gabs nur eine gelehrte Sprache im Abendlande, die lateinische,
und nur eine Wissenschaft, die scholastische Philosophie. Sie umfaßte alle
Zweige des menschlichen Erkennens von Theologie und Methaphysik bis zur
Musik, zum Tanzen und zum Ackerbau. Der hiernach schon unvermeidliche
Wettstreit wurde dadurch uoch persönlicher gemacht, daß Paris den Mittel-
Punkt für alle Gelehrten bildete. Jeder, der den höchsten Ruhm beanspruchte,
mußte sich wenigstens zeitweise dort hören lassen. Dieselben Richter entschieden
in denselben Sälen über den Ehrenpreis.

Roger Bacon scheint vor Albert Bollstädt nach Paris gekommen zu
sein. Er war mit seinem Empfange nicht unzufrieden Wenigstens liebte er
es, in späterer Zeit von dem Ruhme zu sprechen, den er in jüngeren Jahren
genossen. Aber schon 1245 erschien Albert auf dem Mont Se. Geniviöve.
Der Ruhm, der ihm voranging, war außerordentlich, seine neuen Erfolge
ohne Beispiel. Roger Bacon schrieb von ihm zwanzig Jahre später mit
Bitterkeit: „Er übte einen größeren Einfluß aus die Geister aus, denn je
ein Mensch vor ihm. Selbst Christ ist nicht so erfolgreich gewesen, da seine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109900"/>
          <p xml:id="ID_242" prev="#ID_241"> Zahl erziehen konnte, wurde leicht »eich. Schon Abülard war von 4000<lb/>
Studirenden umgeben gewesen und seine Reichthümer verleiteten ihn, wie er<lb/>
es eingesteht, anfangs zu Ausschweifungen. Zur Zeit Bacons waren die<lb/>
Aussichten noch besser. Die Vorliebe für Wissenschaft war in stetem Wachsen.<lb/>
Friedrich der Zweite war, wie bekannt, einer der größesten Förderer von Ge¬<lb/>
lehrsamkeit, die je gelebt. Dasselbe war Papst Urban de&gt;' Vierte. Ludwig<lb/>
der Heilige, der mit der einen Hand Reliquien an fromme Bischöfe sandte,<lb/>
schützte mit der andern Philosophen, die wenig Respect vor Kirchenauctorität<lb/>
zeigten. Alfons der Weise war so unweise, daß er sich wie Prospero fast<lb/>
ausschließlich mit Astronomen und Mathematikern umgab, Bücher^ schrieb und<lb/>
d&lt;n Lauf der Gestirne berechnete. Er verlor, ebenfalls wie Prospero. darüber<lb/>
seine Krone und sein Land. Wie die großen Könige, so wnrcn viele kleinere<lb/>
Fürsten. Theobald von Vasconie z. B. trieb die Priester aus seinem Reiche,<lb/>
die sich der freien Entwickelung der Wissenschaft widersetzen wollten und küm¬<lb/>
merte sich wenig um die Ezcoinmunicationen von Rom. Bacon erzählt uns,<lb/>
daß zu seiner Zeit Doctoren und namentlich Doctoren der Theologie &#x201E;in<lb/>
jeder Stadt, in jedem Schlosse, in jedem Burgflecken" zu finden waren. (S. 398)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_243"> Bei dieser seltenen Vereinigung günstiger Umstände hätte Bacon wahr¬<lb/>
scheinlich eine glänzende Zukunft gehabt, wenn nicht neun Jahre vor seiner<lb/>
Geburt die Frau des Grafen Bollstädt zu Lauingen in Schwatzen einen Sohn<lb/>
geboren hätte, der so zwergartig klein blieb, daß keine Rede davon sein<lb/>
konnte, einen Soldaten aus ihm zu macheu. Albert Bollstädt mußte Gelehr¬<lb/>
ter werden und folglich früher oder später mit Roger Bacon als Nebenbuhler<lb/>
zusammentreffen. Ein Ausweichen war unmöglich. Denn im dreizehnten<lb/>
Jahrhunderte gabs nur eine gelehrte Sprache im Abendlande, die lateinische,<lb/>
und nur eine Wissenschaft, die scholastische Philosophie. Sie umfaßte alle<lb/>
Zweige des menschlichen Erkennens von Theologie und Methaphysik bis zur<lb/>
Musik, zum Tanzen und zum Ackerbau. Der hiernach schon unvermeidliche<lb/>
Wettstreit wurde dadurch uoch persönlicher gemacht, daß Paris den Mittel-<lb/>
Punkt für alle Gelehrten bildete. Jeder, der den höchsten Ruhm beanspruchte,<lb/>
mußte sich wenigstens zeitweise dort hören lassen. Dieselben Richter entschieden<lb/>
in denselben Sälen über den Ehrenpreis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244" next="#ID_245"> Roger Bacon scheint vor Albert Bollstädt nach Paris gekommen zu<lb/>
sein. Er war mit seinem Empfange nicht unzufrieden Wenigstens liebte er<lb/>
es, in späterer Zeit von dem Ruhme zu sprechen, den er in jüngeren Jahren<lb/>
genossen. Aber schon 1245 erschien Albert auf dem Mont Se. Geniviöve.<lb/>
Der Ruhm, der ihm voranging, war außerordentlich, seine neuen Erfolge<lb/>
ohne Beispiel. Roger Bacon schrieb von ihm zwanzig Jahre später mit<lb/>
Bitterkeit: &#x201E;Er übte einen größeren Einfluß aus die Geister aus, denn je<lb/>
ein Mensch vor ihm.  Selbst Christ ist nicht so erfolgreich gewesen, da seine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Zahl erziehen konnte, wurde leicht »eich. Schon Abülard war von 4000 Studirenden umgeben gewesen und seine Reichthümer verleiteten ihn, wie er es eingesteht, anfangs zu Ausschweifungen. Zur Zeit Bacons waren die Aussichten noch besser. Die Vorliebe für Wissenschaft war in stetem Wachsen. Friedrich der Zweite war, wie bekannt, einer der größesten Förderer von Ge¬ lehrsamkeit, die je gelebt. Dasselbe war Papst Urban de>' Vierte. Ludwig der Heilige, der mit der einen Hand Reliquien an fromme Bischöfe sandte, schützte mit der andern Philosophen, die wenig Respect vor Kirchenauctorität zeigten. Alfons der Weise war so unweise, daß er sich wie Prospero fast ausschließlich mit Astronomen und Mathematikern umgab, Bücher^ schrieb und d<n Lauf der Gestirne berechnete. Er verlor, ebenfalls wie Prospero. darüber seine Krone und sein Land. Wie die großen Könige, so wnrcn viele kleinere Fürsten. Theobald von Vasconie z. B. trieb die Priester aus seinem Reiche, die sich der freien Entwickelung der Wissenschaft widersetzen wollten und küm¬ merte sich wenig um die Ezcoinmunicationen von Rom. Bacon erzählt uns, daß zu seiner Zeit Doctoren und namentlich Doctoren der Theologie „in jeder Stadt, in jedem Schlosse, in jedem Burgflecken" zu finden waren. (S. 398) Bei dieser seltenen Vereinigung günstiger Umstände hätte Bacon wahr¬ scheinlich eine glänzende Zukunft gehabt, wenn nicht neun Jahre vor seiner Geburt die Frau des Grafen Bollstädt zu Lauingen in Schwatzen einen Sohn geboren hätte, der so zwergartig klein blieb, daß keine Rede davon sein konnte, einen Soldaten aus ihm zu macheu. Albert Bollstädt mußte Gelehr¬ ter werden und folglich früher oder später mit Roger Bacon als Nebenbuhler zusammentreffen. Ein Ausweichen war unmöglich. Denn im dreizehnten Jahrhunderte gabs nur eine gelehrte Sprache im Abendlande, die lateinische, und nur eine Wissenschaft, die scholastische Philosophie. Sie umfaßte alle Zweige des menschlichen Erkennens von Theologie und Methaphysik bis zur Musik, zum Tanzen und zum Ackerbau. Der hiernach schon unvermeidliche Wettstreit wurde dadurch uoch persönlicher gemacht, daß Paris den Mittel- Punkt für alle Gelehrten bildete. Jeder, der den höchsten Ruhm beanspruchte, mußte sich wenigstens zeitweise dort hören lassen. Dieselben Richter entschieden in denselben Sälen über den Ehrenpreis. Roger Bacon scheint vor Albert Bollstädt nach Paris gekommen zu sein. Er war mit seinem Empfange nicht unzufrieden Wenigstens liebte er es, in späterer Zeit von dem Ruhme zu sprechen, den er in jüngeren Jahren genossen. Aber schon 1245 erschien Albert auf dem Mont Se. Geniviöve. Der Ruhm, der ihm voranging, war außerordentlich, seine neuen Erfolge ohne Beispiel. Roger Bacon schrieb von ihm zwanzig Jahre später mit Bitterkeit: „Er übte einen größeren Einfluß aus die Geister aus, denn je ein Mensch vor ihm. Selbst Christ ist nicht so erfolgreich gewesen, da seine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/94>, abgerufen am 24.07.2024.