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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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spräche, was würde es bei dem durchaus verstockten und zur Lästerung ganz
verkauften Menschen fruchten! Ich überlasse ihn demnach dem gerechten Ge¬
richt Gottes, dem noch kein Lästerer entronnen ist." -- Am ausführlichsten
widerlegte ihn der Propst Hardenberg in der Schrift ..die gerettete Religion";
ihm antwortete Edelmann im "Evangelium Se. Hardenbergs" 7. April und
in der "ersten Epistel Se. Hardenbergs" 31. Juli 1747: beides glän¬
zende Variationen des spinozistischen Systems und Angriffe gegen das
christliche Sündenbewußtsein. Wir wollen den stärksten Satz, den Edel¬
mann nach dieser Seite geschrieben, hier mittheilen. ,,Alle bekannte Religio¬
nen ließen der menschlichen Natur noch ein Vermögen etwas Gutes zu thun;
aber wie das Christenthum oder besser zu reden der paulinische Glaube auf¬
kam, so mußte sich ein jeder, der sich dazu bekennen wollte, als einen Sklaven
der Sünde betrachten. Dadurch wurde aller Same der Tugend in den Men¬
schen erstickt, zumal ihnen weih gemacht wurde, sie könnten ohne Verdienst
gerecht werden, wenn sie nur glaubten, daß ein todter Mensch das an ihrer
Statt gethan hätte, was sie von rechtswegen hätten selber thun sollen."

Der Aufenthalt in Altona wurde Edelmann doch verleidet, obgleich er kühn
genug war, die Kirchen, wo man gegen ihn predigte, selber zu besuchen. Den 23.
Jan. 1747 wurde in Hamburg sein'Glaubensbekenntniß confiscire, 13. März den
Zeitungen verboten, derartige Schriften anzuzrigen und bald darauf gegen seine
Anhänger Untersuchungen angestellt. Ende October finden wir ihn in Berlin, wo
unmittelbar darauf der Propst Süßmilch öffentlich gegen ihn predigte. "Ich ge¬
stehe, daß meine Geduld ein Ende hat. wenn ich an dieses Kind des Verderbens,
an diesen abtrünnigen und falschen Judas gedenke. Ich bin bisher still gewesen,
ob mir schon nicht unbewußt war, daß er durch seine hiesigen Anhänger
seine Schandschriftcn ausstreuen ließ. Da aber dieser Feind aller göttlichen
und vernünftigen Wahrheiten sich auch persönlich hier eingefunden hat, da er
in dieser Gemeinde wohnt, da er hier Sicherheit sucht, nachdem er im gan¬
zen römischen Reich fast nicht mehr sicher gewesen ist und von dem Neichs-
fiscal überall soll aufgesucht sein: so muß ich euch öffentlich davor warnen und
euch um Gottes und eurer eignen Seele Heil willen bitten und flehen, sowol
seinen als seiner Anhänger schleichenden Umgang zu meiden und euch auch
des Lesens seiner Schrift zu enthalten. Ich bezeuge vor Gott, daß ich Seines¬
gleichen noch nie gesehn oder gehört! ich kenne alle Feinde alter und neuer
Zeiten, ich habe alle ihre Schriften gelesen, aber noch nie habe ich ein solch
Ungeheuer lästerlicher Meinungen bemerkt." Vielleicht das am meisten charak¬
teristische in dieser gleich darauf gedruckten Predigt ist folgendes. Edelmann
hatte eine gemeine Schmeichelei Voltaires gegen Friedrich den Großen gerügt;
darauf anspielend fahle Eüßmilch fort: "wie kann ein solcher Lästerer in einer
Republik geduldet werden? Ein Mensch, der so viel Dreistigkeit oder vielmehr


spräche, was würde es bei dem durchaus verstockten und zur Lästerung ganz
verkauften Menschen fruchten! Ich überlasse ihn demnach dem gerechten Ge¬
richt Gottes, dem noch kein Lästerer entronnen ist." — Am ausführlichsten
widerlegte ihn der Propst Hardenberg in der Schrift ..die gerettete Religion";
ihm antwortete Edelmann im „Evangelium Se. Hardenbergs" 7. April und
in der „ersten Epistel Se. Hardenbergs" 31. Juli 1747: beides glän¬
zende Variationen des spinozistischen Systems und Angriffe gegen das
christliche Sündenbewußtsein. Wir wollen den stärksten Satz, den Edel¬
mann nach dieser Seite geschrieben, hier mittheilen. ,,Alle bekannte Religio¬
nen ließen der menschlichen Natur noch ein Vermögen etwas Gutes zu thun;
aber wie das Christenthum oder besser zu reden der paulinische Glaube auf¬
kam, so mußte sich ein jeder, der sich dazu bekennen wollte, als einen Sklaven
der Sünde betrachten. Dadurch wurde aller Same der Tugend in den Men¬
schen erstickt, zumal ihnen weih gemacht wurde, sie könnten ohne Verdienst
gerecht werden, wenn sie nur glaubten, daß ein todter Mensch das an ihrer
Statt gethan hätte, was sie von rechtswegen hätten selber thun sollen."

Der Aufenthalt in Altona wurde Edelmann doch verleidet, obgleich er kühn
genug war, die Kirchen, wo man gegen ihn predigte, selber zu besuchen. Den 23.
Jan. 1747 wurde in Hamburg sein'Glaubensbekenntniß confiscire, 13. März den
Zeitungen verboten, derartige Schriften anzuzrigen und bald darauf gegen seine
Anhänger Untersuchungen angestellt. Ende October finden wir ihn in Berlin, wo
unmittelbar darauf der Propst Süßmilch öffentlich gegen ihn predigte. „Ich ge¬
stehe, daß meine Geduld ein Ende hat. wenn ich an dieses Kind des Verderbens,
an diesen abtrünnigen und falschen Judas gedenke. Ich bin bisher still gewesen,
ob mir schon nicht unbewußt war, daß er durch seine hiesigen Anhänger
seine Schandschriftcn ausstreuen ließ. Da aber dieser Feind aller göttlichen
und vernünftigen Wahrheiten sich auch persönlich hier eingefunden hat, da er
in dieser Gemeinde wohnt, da er hier Sicherheit sucht, nachdem er im gan¬
zen römischen Reich fast nicht mehr sicher gewesen ist und von dem Neichs-
fiscal überall soll aufgesucht sein: so muß ich euch öffentlich davor warnen und
euch um Gottes und eurer eignen Seele Heil willen bitten und flehen, sowol
seinen als seiner Anhänger schleichenden Umgang zu meiden und euch auch
des Lesens seiner Schrift zu enthalten. Ich bezeuge vor Gott, daß ich Seines¬
gleichen noch nie gesehn oder gehört! ich kenne alle Feinde alter und neuer
Zeiten, ich habe alle ihre Schriften gelesen, aber noch nie habe ich ein solch
Ungeheuer lästerlicher Meinungen bemerkt." Vielleicht das am meisten charak¬
teristische in dieser gleich darauf gedruckten Predigt ist folgendes. Edelmann
hatte eine gemeine Schmeichelei Voltaires gegen Friedrich den Großen gerügt;
darauf anspielend fahle Eüßmilch fort: „wie kann ein solcher Lästerer in einer
Republik geduldet werden? Ein Mensch, der so viel Dreistigkeit oder vielmehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/512>, abgerufen am 24.07.2024.