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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ter abzugeben. Mir war das Sprichwort nicht unbekannt, daß man denen,
die die Wahrheit geigen, deu Fidelbogen um den Kopf zu schlagen pflegt.
Allein weil man die Wahrheit von mir wissen wollte, mußte ich's darauf
ankommen lassen und meiner gerechten Sache traun."

Das Glaubensbekenntnis) enthält folgende Punkte. Gott sei das in allen
Dingen gegenwärtige, einige, unveränderliche Wesen. Was in den Creaturen
Reales und Gutes sei, das sei Gott selbst in ihnen; Gottes Wesen könne
Keiner in seiner gegenwärtigen Unvollkommenheit ganz übersehn, daher sei jede
Erkenntniß von ihm Stückwerk; zu diesen Stückwerken der Erkenntniß gehöre
auch die Bibel. Der Gehorsam gegen die Stimme Gottes im Gewissen gibt
uns den Himmel, die Widerspenstigkeit die Hölle. Die Welt ist von Ewigkeit
her und ewig geschaffen, sie ist Gottes Schatten, Gottes Sohn, Gottes Leib
"ut wird, wenn auch mannigfach verändert, nie zerstört werden. Die Selig¬
keit fängt schon in diesem Leben an durch die Einsicht, daß Gott Alles sei
in Allem, wird nach dem Tode fortgesetzt und höher getrieben (Seelenwan¬
derung). Christus war ein wahrer Mensch; seine Hnuptabsicht ist gewesen, die
durch vielerlei thörige Meinungen von Gott getrennten Gemüther wieder zu
vereinigen, er wollte keine neue Religion errichten, sondern den Grund aller
vorhergehenden einreihen, nämlich den, daß die Menschen einen über ihre
Sünden erzürnten Gott auf eine oder die andere Weise wieder begütigen mü߬
ten. Der Mensch ist noch in derselben Vollkommenheit, in der er erschaffen
worden ist. Christus wollte ihnen zeigen, daß sie zwar unter einander sich
selbst, aber nimmermehr die nnverlcizlichc Majestät ihres Schöpfers beleidigen
könnten: insofern hat er die Sünde gegen Gott auf ewig aufgehoben und die Men¬
schen erlöst. Christus ist nicht nur unter den Todten, unter denen er damals lebte,
dem Geist nach wieder aufgestanden, sondern kommt noch täglich in Tausen¬
den seiner Zeugen wieder.

Wegen der Veröffentlichung dieses Buches wurde Edelmann aus Neuwied
vertrieben, er hielt sich an verschiedenen Orten, unter andern im Braunschwei¬
gischen verborgen auf. Gegen Ende des Jahrs 1746 finden wir ihn in Al-
tona. Die Hamburger Pastoren singen nun an leidenschaftlich gegen ihn zu
Predigen. Einige dieser Predigten gab Neumeister heraus, der Edelmann
Persönlich kannte und mit seinen Eltern befreundet gewesen war. In der Vor¬
rede 12. Mai 1747 setzte Neumeister hinzu: "Ich habe Dippel aus billigem
Eifer den Erstgebornen des Satans genannt: im Vergleich mit diesem einge-
fleischter Teufel könnte er wol ein Engel heißen. Da ich dieses schreibe, ist
mein Vorsatz gar nicht, den unseligen Edelmann zu widerlegen. Es würde
auch vergebliche Arbeit sein, da er die Göttlichkeit der Schrift schlechterdings
leugnet. Denn womit könnte ihm sonst das Maul gestopft werden? Und ob
Man ihn gleich überzeugte, welcher Gestalt er ihm selber vielfältig wider-


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ter abzugeben. Mir war das Sprichwort nicht unbekannt, daß man denen,
die die Wahrheit geigen, deu Fidelbogen um den Kopf zu schlagen pflegt.
Allein weil man die Wahrheit von mir wissen wollte, mußte ich's darauf
ankommen lassen und meiner gerechten Sache traun."

Das Glaubensbekenntnis) enthält folgende Punkte. Gott sei das in allen
Dingen gegenwärtige, einige, unveränderliche Wesen. Was in den Creaturen
Reales und Gutes sei, das sei Gott selbst in ihnen; Gottes Wesen könne
Keiner in seiner gegenwärtigen Unvollkommenheit ganz übersehn, daher sei jede
Erkenntniß von ihm Stückwerk; zu diesen Stückwerken der Erkenntniß gehöre
auch die Bibel. Der Gehorsam gegen die Stimme Gottes im Gewissen gibt
uns den Himmel, die Widerspenstigkeit die Hölle. Die Welt ist von Ewigkeit
her und ewig geschaffen, sie ist Gottes Schatten, Gottes Sohn, Gottes Leib
»ut wird, wenn auch mannigfach verändert, nie zerstört werden. Die Selig¬
keit fängt schon in diesem Leben an durch die Einsicht, daß Gott Alles sei
in Allem, wird nach dem Tode fortgesetzt und höher getrieben (Seelenwan¬
derung). Christus war ein wahrer Mensch; seine Hnuptabsicht ist gewesen, die
durch vielerlei thörige Meinungen von Gott getrennten Gemüther wieder zu
vereinigen, er wollte keine neue Religion errichten, sondern den Grund aller
vorhergehenden einreihen, nämlich den, daß die Menschen einen über ihre
Sünden erzürnten Gott auf eine oder die andere Weise wieder begütigen mü߬
ten. Der Mensch ist noch in derselben Vollkommenheit, in der er erschaffen
worden ist. Christus wollte ihnen zeigen, daß sie zwar unter einander sich
selbst, aber nimmermehr die nnverlcizlichc Majestät ihres Schöpfers beleidigen
könnten: insofern hat er die Sünde gegen Gott auf ewig aufgehoben und die Men¬
schen erlöst. Christus ist nicht nur unter den Todten, unter denen er damals lebte,
dem Geist nach wieder aufgestanden, sondern kommt noch täglich in Tausen¬
den seiner Zeugen wieder.

Wegen der Veröffentlichung dieses Buches wurde Edelmann aus Neuwied
vertrieben, er hielt sich an verschiedenen Orten, unter andern im Braunschwei¬
gischen verborgen auf. Gegen Ende des Jahrs 1746 finden wir ihn in Al-
tona. Die Hamburger Pastoren singen nun an leidenschaftlich gegen ihn zu
Predigen. Einige dieser Predigten gab Neumeister heraus, der Edelmann
Persönlich kannte und mit seinen Eltern befreundet gewesen war. In der Vor¬
rede 12. Mai 1747 setzte Neumeister hinzu: „Ich habe Dippel aus billigem
Eifer den Erstgebornen des Satans genannt: im Vergleich mit diesem einge-
fleischter Teufel könnte er wol ein Engel heißen. Da ich dieses schreibe, ist
mein Vorsatz gar nicht, den unseligen Edelmann zu widerlegen. Es würde
auch vergebliche Arbeit sein, da er die Göttlichkeit der Schrift schlechterdings
leugnet. Denn womit könnte ihm sonst das Maul gestopft werden? Und ob
Man ihn gleich überzeugte, welcher Gestalt er ihm selber vielfältig wider-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/511>, abgerufen am 24.07.2024.