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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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dies schien ihm mit 1. Johannes".?, 9. nicht zu stimmen. Indem er so
mehr und mehr auf den Verdacht gerieth. es habe mit dem orthodoxen
System doch nicht ganz seine- Nichtigkeit, ging er an das Studium von
Arnold's Kirchengeschichte. Das Buch war in dem ersten Anlauf des Pie¬
tismus gegen die zunstmäßige Theologie geschrieben worden und der fromme
Verfasser hatte aus der Fülle seines Gemüths nachzuweisen gesucht, daß die
unsichtbare Kirche Christi von der privilegirten sehr verschieden sei, daß die
letztere gegen jede echte Regung des göttlichen Geistes sich aufgelehnt und sie als
Ketzerei gebrandmarkt habe. Ein neues Licht ging Edelmann auf und als
er kurze Zeit nachher als Hofmeister zum Grafen Calenberg nach Dresden
kam, war seine erste Sorge, sich alle ketzerischen Schriften anzuschaffen, die er
irgend austreiben konnte, aber nur diejenigen, die tiefer in die Mystik des
Christenthums einzudringen strebten als die Kirche selbst.- denn gegen die
Freidenker und Naturalisten hatte er noch den alten Absehen, und so ver¬
dammte er namentlich das damals eben erscheinende Werthheuner Bibelwerk
als Erzeugniß der Hölle.

In seinen Grübeleien über das Verdienst Christi und wie es mit der
Menschlichen Seele zusammenhänge, versäumte er keins der üblichen Gnaden-
Mittel, er ging eifrig zum Gottesdienst und zur Beichte, fastete und betete
ohne Unterlaß.

Fest überzeugt, daß das echte ursprüngliche Christenthum irgendwo eine
Wahrheit sein müsse, aber nicht in der Landeskirche, sah er unablässig umher,
wo es etwa zu finden sei. In Dresden lebte die stille Gemeinde der Gichtc-
lianer, eine schwärmerische Sekte, die auf die Lehren I. Böhme's gegründet,
ihre Heiligkeit unter anderen darin suchte, daß sie nicht freite: übrigens
harmlose wohlwollende Leute, von denen Edelmann nur Liebes und Gutes
empfing. Gleichzeitig aber hörte er von den Herrnhutcrn. und was ihm auch
von den Gegnern darüber mitgetheilt wurde, erregte ihm die lebhafte Hoff¬
nung hier das Gesuchte zu finden. Er wandte sich brieflich an den Grafen
Zinzendorf; die Antwort war, begleitet von dem nöthigen Reisegeld: komm
und sieh zu! Pfingsten 17 35 reiste er nach Herrnhut ab. Die Gemeinde,
auch der Graf imponirten ihm sehr und Zinzendorf konnte die ziemlich be¬
stimmte Hoffnung fassen, daß Edelmann, nachdem er seine dresdener Beziehungen
abgelöst, zu ihm zurückkehren und sich zum Missionair ausbilden werde, Edel¬
mann war eine sanguinische Natur, die einem starken gegenwärtigen Ein¬
druck schwer widerstand; auch seinen Zweifel über die Kindertaufe und über
die Wirkung der Wiedergeburt hatte Zinzendorf in seiner Weise vorläufig zu
beschwichtigen gewußt. Erst nach der Trennung trat die Reflexion ein. Es
fiel ihm aus, daß bei aller vermeintlichen Gleichheit der Graf doch seinen Stand
sehr stark hervortreten ließ, daß er sich orthodoxer aussprach, als er eigentlich


Grenzboten III, 1860. 59

dies schien ihm mit 1. Johannes".?, 9. nicht zu stimmen. Indem er so
mehr und mehr auf den Verdacht gerieth. es habe mit dem orthodoxen
System doch nicht ganz seine- Nichtigkeit, ging er an das Studium von
Arnold's Kirchengeschichte. Das Buch war in dem ersten Anlauf des Pie¬
tismus gegen die zunstmäßige Theologie geschrieben worden und der fromme
Verfasser hatte aus der Fülle seines Gemüths nachzuweisen gesucht, daß die
unsichtbare Kirche Christi von der privilegirten sehr verschieden sei, daß die
letztere gegen jede echte Regung des göttlichen Geistes sich aufgelehnt und sie als
Ketzerei gebrandmarkt habe. Ein neues Licht ging Edelmann auf und als
er kurze Zeit nachher als Hofmeister zum Grafen Calenberg nach Dresden
kam, war seine erste Sorge, sich alle ketzerischen Schriften anzuschaffen, die er
irgend austreiben konnte, aber nur diejenigen, die tiefer in die Mystik des
Christenthums einzudringen strebten als die Kirche selbst.- denn gegen die
Freidenker und Naturalisten hatte er noch den alten Absehen, und so ver¬
dammte er namentlich das damals eben erscheinende Werthheuner Bibelwerk
als Erzeugniß der Hölle.

In seinen Grübeleien über das Verdienst Christi und wie es mit der
Menschlichen Seele zusammenhänge, versäumte er keins der üblichen Gnaden-
Mittel, er ging eifrig zum Gottesdienst und zur Beichte, fastete und betete
ohne Unterlaß.

Fest überzeugt, daß das echte ursprüngliche Christenthum irgendwo eine
Wahrheit sein müsse, aber nicht in der Landeskirche, sah er unablässig umher,
wo es etwa zu finden sei. In Dresden lebte die stille Gemeinde der Gichtc-
lianer, eine schwärmerische Sekte, die auf die Lehren I. Böhme's gegründet,
ihre Heiligkeit unter anderen darin suchte, daß sie nicht freite: übrigens
harmlose wohlwollende Leute, von denen Edelmann nur Liebes und Gutes
empfing. Gleichzeitig aber hörte er von den Herrnhutcrn. und was ihm auch
von den Gegnern darüber mitgetheilt wurde, erregte ihm die lebhafte Hoff¬
nung hier das Gesuchte zu finden. Er wandte sich brieflich an den Grafen
Zinzendorf; die Antwort war, begleitet von dem nöthigen Reisegeld: komm
und sieh zu! Pfingsten 17 35 reiste er nach Herrnhut ab. Die Gemeinde,
auch der Graf imponirten ihm sehr und Zinzendorf konnte die ziemlich be¬
stimmte Hoffnung fassen, daß Edelmann, nachdem er seine dresdener Beziehungen
abgelöst, zu ihm zurückkehren und sich zum Missionair ausbilden werde, Edel¬
mann war eine sanguinische Natur, die einem starken gegenwärtigen Ein¬
druck schwer widerstand; auch seinen Zweifel über die Kindertaufe und über
die Wirkung der Wiedergeburt hatte Zinzendorf in seiner Weise vorläufig zu
beschwichtigen gewußt. Erst nach der Trennung trat die Reflexion ein. Es
fiel ihm aus, daß bei aller vermeintlichen Gleichheit der Graf doch seinen Stand
sehr stark hervortreten ließ, daß er sich orthodoxer aussprach, als er eigentlich


Grenzboten III, 1860. 59
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[0477] dies schien ihm mit 1. Johannes".?, 9. nicht zu stimmen. Indem er so mehr und mehr auf den Verdacht gerieth. es habe mit dem orthodoxen System doch nicht ganz seine- Nichtigkeit, ging er an das Studium von Arnold's Kirchengeschichte. Das Buch war in dem ersten Anlauf des Pie¬ tismus gegen die zunstmäßige Theologie geschrieben worden und der fromme Verfasser hatte aus der Fülle seines Gemüths nachzuweisen gesucht, daß die unsichtbare Kirche Christi von der privilegirten sehr verschieden sei, daß die letztere gegen jede echte Regung des göttlichen Geistes sich aufgelehnt und sie als Ketzerei gebrandmarkt habe. Ein neues Licht ging Edelmann auf und als er kurze Zeit nachher als Hofmeister zum Grafen Calenberg nach Dresden kam, war seine erste Sorge, sich alle ketzerischen Schriften anzuschaffen, die er irgend austreiben konnte, aber nur diejenigen, die tiefer in die Mystik des Christenthums einzudringen strebten als die Kirche selbst.- denn gegen die Freidenker und Naturalisten hatte er noch den alten Absehen, und so ver¬ dammte er namentlich das damals eben erscheinende Werthheuner Bibelwerk als Erzeugniß der Hölle. In seinen Grübeleien über das Verdienst Christi und wie es mit der Menschlichen Seele zusammenhänge, versäumte er keins der üblichen Gnaden- Mittel, er ging eifrig zum Gottesdienst und zur Beichte, fastete und betete ohne Unterlaß. Fest überzeugt, daß das echte ursprüngliche Christenthum irgendwo eine Wahrheit sein müsse, aber nicht in der Landeskirche, sah er unablässig umher, wo es etwa zu finden sei. In Dresden lebte die stille Gemeinde der Gichtc- lianer, eine schwärmerische Sekte, die auf die Lehren I. Böhme's gegründet, ihre Heiligkeit unter anderen darin suchte, daß sie nicht freite: übrigens harmlose wohlwollende Leute, von denen Edelmann nur Liebes und Gutes empfing. Gleichzeitig aber hörte er von den Herrnhutcrn. und was ihm auch von den Gegnern darüber mitgetheilt wurde, erregte ihm die lebhafte Hoff¬ nung hier das Gesuchte zu finden. Er wandte sich brieflich an den Grafen Zinzendorf; die Antwort war, begleitet von dem nöthigen Reisegeld: komm und sieh zu! Pfingsten 17 35 reiste er nach Herrnhut ab. Die Gemeinde, auch der Graf imponirten ihm sehr und Zinzendorf konnte die ziemlich be¬ stimmte Hoffnung fassen, daß Edelmann, nachdem er seine dresdener Beziehungen abgelöst, zu ihm zurückkehren und sich zum Missionair ausbilden werde, Edel¬ mann war eine sanguinische Natur, die einem starken gegenwärtigen Ein¬ druck schwer widerstand; auch seinen Zweifel über die Kindertaufe und über die Wirkung der Wiedergeburt hatte Zinzendorf in seiner Weise vorläufig zu beschwichtigen gewußt. Erst nach der Trennung trat die Reflexion ein. Es fiel ihm aus, daß bei aller vermeintlichen Gleichheit der Graf doch seinen Stand sehr stark hervortreten ließ, daß er sich orthodoxer aussprach, als er eigentlich Grenzboten III, 1860. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/477>, abgerufen am 25.07.2024.