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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ihm den Zorn Gottes recht groß und die Hölle recht heiß machen konnte, der
war ihm recht ...

Ich mußte selbst einer solchen Gebetsmarterstunde beiwohnen... Ich
durste es nicht abschlagen, allein ich kann in Wahrheit sagen, daß mir in
meinem Leben nicht so bänglich ums Herz gewesen. Nicht daß ich durch das
kalte Geplapper dieser heiligen Schwätzer wäre gerührt worden, sondern mir
war nur bange, die Reihe zu beten möchte endlich auch an mich kommen.
-- Zwar dachte ich noch an nichts weniger, als daß das Gebet nicht ein dem
Höchsten angenehmer Dienst sein sollte. 'Zielmehr sahe ich mich für einen
großen Sünder an. wenn ich betrachtete, daß ich die Gabe des Gebets nicht
in dem Maß meiner Brüder hatte. Denn es ging nicht anders, als wenn
sie die Worte alle auswendig gelernt hätten. Allein es regte sich doch schon
ein heimliches Mißfallen über diesen selbsterwählten Gottesdienst bei mir."

Endlich konnte er es in Wien nicht länger aushalten, weil er durch das
viele Stubensitzen hypochondrisch wurde. Er kehrte um September 1728 nach
Niederöstreich zu einem Schwager des Grafen Kornfeil zurück und führte wie¬
der das alte lustige Leben, wie denn überhaupt die gastfreien Oestreicher ihm
unter allen deutschen Stämmen am meisten zugesagt haben. Leider wurde er
einmal genöthigt, als Candidat,, des göttlichen Worts bei einer frommen
Gräfin die Rotte eines Teufelsbanners zu führen. In dieser Zeit las er
Blockes' "irdisches Vergnügen in Gott", das auf ihn einen mächtigen Ein¬
druck machte und ihn zu einem begeisterten poetischen Schreiben an den
Dichter veranlaßte, wie denn überhaupt die Wirkung jenes Buchs, das so
ganz mit der Wolf'schen Philosophie übereinstimmte, für jene Zeit nicht hoch
genug angeschlagen werden kann.

Im Juni 1731 verließ er Oestreich und nahm eine Insormatorstelle bei
einem Landprediger in der Nähe von Chemnitz an. Noch immer hielt er sich
für einen vollkommen Rechtgläubigen, noch immer war er bereit jedes Wort
der Bibel zu beschwören. In einem Brief an den Consistorialrath Löscher,
1. Januar 1732, dem er sich als Neiseprcdiger für eine Expedition nach Ost¬
indien anbietet, spricht er sich noch ganz in diesem Sinne aus. Den ersten
Anstoß gab ihm das unheilige Leben seines Principals, den er doch die Sa¬
kramente austheilen sah. Dann siel ihm eine Schrift in die Hände, in
welcher aus biblischen Gründen die Berechtigung der Kindertaufe angezweifelt
wurde. Die Sache ist nicht unwichtig: denn wenn im Uebrigen nach den
Lehren der lutherischen Kirche jede göttliche Gnadenwirkung durch ein vorbe¬
reitetes und gläubiges Gemüth empfangen werden muß und ohne dieselbe
wirkungslos bleibt, so macht die Taufe davon eine entschiedene Ausnahme.
Indem er noch mit diesem Zweisel kämpfte, stieß er auf die Behauptung
Löschers, daß auch ein Wiedergebvrner das Sündigen nicht lassen könne:


ihm den Zorn Gottes recht groß und die Hölle recht heiß machen konnte, der
war ihm recht ...

Ich mußte selbst einer solchen Gebetsmarterstunde beiwohnen... Ich
durste es nicht abschlagen, allein ich kann in Wahrheit sagen, daß mir in
meinem Leben nicht so bänglich ums Herz gewesen. Nicht daß ich durch das
kalte Geplapper dieser heiligen Schwätzer wäre gerührt worden, sondern mir
war nur bange, die Reihe zu beten möchte endlich auch an mich kommen.
— Zwar dachte ich noch an nichts weniger, als daß das Gebet nicht ein dem
Höchsten angenehmer Dienst sein sollte. 'Zielmehr sahe ich mich für einen
großen Sünder an. wenn ich betrachtete, daß ich die Gabe des Gebets nicht
in dem Maß meiner Brüder hatte. Denn es ging nicht anders, als wenn
sie die Worte alle auswendig gelernt hätten. Allein es regte sich doch schon
ein heimliches Mißfallen über diesen selbsterwählten Gottesdienst bei mir."

Endlich konnte er es in Wien nicht länger aushalten, weil er durch das
viele Stubensitzen hypochondrisch wurde. Er kehrte um September 1728 nach
Niederöstreich zu einem Schwager des Grafen Kornfeil zurück und führte wie¬
der das alte lustige Leben, wie denn überhaupt die gastfreien Oestreicher ihm
unter allen deutschen Stämmen am meisten zugesagt haben. Leider wurde er
einmal genöthigt, als Candidat,, des göttlichen Worts bei einer frommen
Gräfin die Rotte eines Teufelsbanners zu führen. In dieser Zeit las er
Blockes' „irdisches Vergnügen in Gott", das auf ihn einen mächtigen Ein¬
druck machte und ihn zu einem begeisterten poetischen Schreiben an den
Dichter veranlaßte, wie denn überhaupt die Wirkung jenes Buchs, das so
ganz mit der Wolf'schen Philosophie übereinstimmte, für jene Zeit nicht hoch
genug angeschlagen werden kann.

Im Juni 1731 verließ er Oestreich und nahm eine Insormatorstelle bei
einem Landprediger in der Nähe von Chemnitz an. Noch immer hielt er sich
für einen vollkommen Rechtgläubigen, noch immer war er bereit jedes Wort
der Bibel zu beschwören. In einem Brief an den Consistorialrath Löscher,
1. Januar 1732, dem er sich als Neiseprcdiger für eine Expedition nach Ost¬
indien anbietet, spricht er sich noch ganz in diesem Sinne aus. Den ersten
Anstoß gab ihm das unheilige Leben seines Principals, den er doch die Sa¬
kramente austheilen sah. Dann siel ihm eine Schrift in die Hände, in
welcher aus biblischen Gründen die Berechtigung der Kindertaufe angezweifelt
wurde. Die Sache ist nicht unwichtig: denn wenn im Uebrigen nach den
Lehren der lutherischen Kirche jede göttliche Gnadenwirkung durch ein vorbe¬
reitetes und gläubiges Gemüth empfangen werden muß und ohne dieselbe
wirkungslos bleibt, so macht die Taufe davon eine entschiedene Ausnahme.
Indem er noch mit diesem Zweisel kämpfte, stieß er auf die Behauptung
Löschers, daß auch ein Wiedergebvrner das Sündigen nicht lassen könne:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/476>, abgerufen am 25.07.2024.