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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die dänische Regierung hat in den Friedensverhandlungen von 1851 und
1852 Preußen und Oestreich als Vertretern Deutschlands gewisse Zusage"
gemacht. Diese Zusagen waren im Wesentlichen: i) Nichteinverlcibung Schles¬
wigs in Dänemark; 2) Anerkennung der Selbständigkeit und Gleichberechtigung
der verschiedenen Theile der Monarchie, also auch Schleswigs; 3) Gleiche
Berücksichtigung der deutschen und der dänischen Nationalität in dem genann¬
ten Herzogthum. Keine der damit übernommenen Verpflichtungen ist gehalten
worden. Schon in dem Patent vom 28. Januar 1852 sing das kvpenhagncr
Cabinet an, sich in Winkelzügen und Zweideutigkeiten von jenen Versprechungen
hinwegzuschleichen, und später fragte es von Jahr zu Jahr weniger danach.
Alle seine Maßregeln zielten auf eine factische Einverleibung Schleswigs, und
um sich in diesem Streben nicht behindern zu lassen, befragte es bei Ardas^
mung der in jenem Patent angekündigten Gesammtstaatsverfassung, allem Rechte
zuwider, ebensowenig die schleswigschen als die holsteinischen Stände, sondern
lediglich den dänischen Reichstag. So entstand das Vcrfassungsgcsetz vom
2. October 1855, welches, von seinem Inhalt ganz abgesehn, für die deutschen
Herzogthümer schon aus dem formellen Grunde nicht rechtegiltig sein konnte,
weil es der Zustimmung ihrer Landesvertretungen ermangelte.

Preußen hatte bis dahin stillschweigend zugeschaut. Als es endlich, vor
nunmehr vier Jahren, Einspruch erhob, war sein Protest nur ein halber. Aus
formellen wie aus sachlichen Gründen, in Bezug auf Schleswig ebensowol ore
in Bezug auf Holstein mußte es offen und ungescheut die Rechtsbeständigkeit
der Gesammtstaatsverfassung von 1855 in Abrede stellen und unter Bezug¬
nahme auf die Vereinbarungen, welche dem Patent vorausgingen, die sofor¬
tige Aufhebung dieser Verfassung und die Einsetzung der Stände beider Herzog¬
thümer in die ihnen gebührenden Rechte fordern. Statt dessen wurde in den
berliner Noten ebenso wie in den zu gleicher Zeit von Wien abgesandten die
Erwähnung Schleswigs durchweg unterlassen und nur von Holstein und Lauen¬
burg gesprochen. Ein stichhaltiger Grund für diese Uebergehung eines Landes,
um deßwillen grade der Krieg einst geführt worden, war nicht zu entdecken.
Die nichtdeutschen Großmächte würden durch eine Berücksichtigung Schleswigs
in jenen Noten schwerlich stärker aufgeregt worden sein, als durch die Befür¬
wortung der Rechte Holstein-Lauenburgs, und was die Rücksicht auf den Bundes¬
tag betrifft, dem die beiden Cabinette vorarbeiten wollten, so hätte dieser in
seinen Verhandlungen mit Dänemark die nothwendige Unterscheidung zwischen
der Sache des Bundeslandes Holstein und der Sache des nicht zum Bunde
gehörigen Schleswig recht wohl machen können: er brauchte keineswegs das
eine Herzogthum aufzugeben, um das andere vertheidigen zu können.

Der Bundestag hat nach langem Hinüber- und Herüberreden und erst nach
Eintritt des Systemwechsels in Preußen endlich die dänische Regierung zur


Die dänische Regierung hat in den Friedensverhandlungen von 1851 und
1852 Preußen und Oestreich als Vertretern Deutschlands gewisse Zusage»
gemacht. Diese Zusagen waren im Wesentlichen: i) Nichteinverlcibung Schles¬
wigs in Dänemark; 2) Anerkennung der Selbständigkeit und Gleichberechtigung
der verschiedenen Theile der Monarchie, also auch Schleswigs; 3) Gleiche
Berücksichtigung der deutschen und der dänischen Nationalität in dem genann¬
ten Herzogthum. Keine der damit übernommenen Verpflichtungen ist gehalten
worden. Schon in dem Patent vom 28. Januar 1852 sing das kvpenhagncr
Cabinet an, sich in Winkelzügen und Zweideutigkeiten von jenen Versprechungen
hinwegzuschleichen, und später fragte es von Jahr zu Jahr weniger danach.
Alle seine Maßregeln zielten auf eine factische Einverleibung Schleswigs, und
um sich in diesem Streben nicht behindern zu lassen, befragte es bei Ardas^
mung der in jenem Patent angekündigten Gesammtstaatsverfassung, allem Rechte
zuwider, ebensowenig die schleswigschen als die holsteinischen Stände, sondern
lediglich den dänischen Reichstag. So entstand das Vcrfassungsgcsetz vom
2. October 1855, welches, von seinem Inhalt ganz abgesehn, für die deutschen
Herzogthümer schon aus dem formellen Grunde nicht rechtegiltig sein konnte,
weil es der Zustimmung ihrer Landesvertretungen ermangelte.

Preußen hatte bis dahin stillschweigend zugeschaut. Als es endlich, vor
nunmehr vier Jahren, Einspruch erhob, war sein Protest nur ein halber. Aus
formellen wie aus sachlichen Gründen, in Bezug auf Schleswig ebensowol ore
in Bezug auf Holstein mußte es offen und ungescheut die Rechtsbeständigkeit
der Gesammtstaatsverfassung von 1855 in Abrede stellen und unter Bezug¬
nahme auf die Vereinbarungen, welche dem Patent vorausgingen, die sofor¬
tige Aufhebung dieser Verfassung und die Einsetzung der Stände beider Herzog¬
thümer in die ihnen gebührenden Rechte fordern. Statt dessen wurde in den
berliner Noten ebenso wie in den zu gleicher Zeit von Wien abgesandten die
Erwähnung Schleswigs durchweg unterlassen und nur von Holstein und Lauen¬
burg gesprochen. Ein stichhaltiger Grund für diese Uebergehung eines Landes,
um deßwillen grade der Krieg einst geführt worden, war nicht zu entdecken.
Die nichtdeutschen Großmächte würden durch eine Berücksichtigung Schleswigs
in jenen Noten schwerlich stärker aufgeregt worden sein, als durch die Befür¬
wortung der Rechte Holstein-Lauenburgs, und was die Rücksicht auf den Bundes¬
tag betrifft, dem die beiden Cabinette vorarbeiten wollten, so hätte dieser in
seinen Verhandlungen mit Dänemark die nothwendige Unterscheidung zwischen
der Sache des Bundeslandes Holstein und der Sache des nicht zum Bunde
gehörigen Schleswig recht wohl machen können: er brauchte keineswegs das
eine Herzogthum aufzugeben, um das andere vertheidigen zu können.

Der Bundestag hat nach langem Hinüber- und Herüberreden und erst nach
Eintritt des Systemwechsels in Preußen endlich die dänische Regierung zur


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[0457] Die dänische Regierung hat in den Friedensverhandlungen von 1851 und 1852 Preußen und Oestreich als Vertretern Deutschlands gewisse Zusage» gemacht. Diese Zusagen waren im Wesentlichen: i) Nichteinverlcibung Schles¬ wigs in Dänemark; 2) Anerkennung der Selbständigkeit und Gleichberechtigung der verschiedenen Theile der Monarchie, also auch Schleswigs; 3) Gleiche Berücksichtigung der deutschen und der dänischen Nationalität in dem genann¬ ten Herzogthum. Keine der damit übernommenen Verpflichtungen ist gehalten worden. Schon in dem Patent vom 28. Januar 1852 sing das kvpenhagncr Cabinet an, sich in Winkelzügen und Zweideutigkeiten von jenen Versprechungen hinwegzuschleichen, und später fragte es von Jahr zu Jahr weniger danach. Alle seine Maßregeln zielten auf eine factische Einverleibung Schleswigs, und um sich in diesem Streben nicht behindern zu lassen, befragte es bei Ardas^ mung der in jenem Patent angekündigten Gesammtstaatsverfassung, allem Rechte zuwider, ebensowenig die schleswigschen als die holsteinischen Stände, sondern lediglich den dänischen Reichstag. So entstand das Vcrfassungsgcsetz vom 2. October 1855, welches, von seinem Inhalt ganz abgesehn, für die deutschen Herzogthümer schon aus dem formellen Grunde nicht rechtegiltig sein konnte, weil es der Zustimmung ihrer Landesvertretungen ermangelte. Preußen hatte bis dahin stillschweigend zugeschaut. Als es endlich, vor nunmehr vier Jahren, Einspruch erhob, war sein Protest nur ein halber. Aus formellen wie aus sachlichen Gründen, in Bezug auf Schleswig ebensowol ore in Bezug auf Holstein mußte es offen und ungescheut die Rechtsbeständigkeit der Gesammtstaatsverfassung von 1855 in Abrede stellen und unter Bezug¬ nahme auf die Vereinbarungen, welche dem Patent vorausgingen, die sofor¬ tige Aufhebung dieser Verfassung und die Einsetzung der Stände beider Herzog¬ thümer in die ihnen gebührenden Rechte fordern. Statt dessen wurde in den berliner Noten ebenso wie in den zu gleicher Zeit von Wien abgesandten die Erwähnung Schleswigs durchweg unterlassen und nur von Holstein und Lauen¬ burg gesprochen. Ein stichhaltiger Grund für diese Uebergehung eines Landes, um deßwillen grade der Krieg einst geführt worden, war nicht zu entdecken. Die nichtdeutschen Großmächte würden durch eine Berücksichtigung Schleswigs in jenen Noten schwerlich stärker aufgeregt worden sein, als durch die Befür¬ wortung der Rechte Holstein-Lauenburgs, und was die Rücksicht auf den Bundes¬ tag betrifft, dem die beiden Cabinette vorarbeiten wollten, so hätte dieser in seinen Verhandlungen mit Dänemark die nothwendige Unterscheidung zwischen der Sache des Bundeslandes Holstein und der Sache des nicht zum Bunde gehörigen Schleswig recht wohl machen können: er brauchte keineswegs das eine Herzogthum aufzugeben, um das andere vertheidigen zu können. Der Bundestag hat nach langem Hinüber- und Herüberreden und erst nach Eintritt des Systemwechsels in Preußen endlich die dänische Regierung zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/457>, abgerufen am 25.07.2024.