Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufhebung der Gesammtstaatsverfassung für Holstein-Lauenburg vermocht, und
es besteht für diese beiden Herzogthümer gegenwärtig ein Provisorium. Für
Schleswig ist nichts geschehn, und über das, was überhaupt weiter zu thun
sei, gehn auf deutscher Seite die Ansichten auseinander. Nach den Einen wäre
zunächst zu bewirken, daß die Verfassung von 1855 auch sür Schleswig außer
Wirksamkeit gesetzt, und dann, daß auf Grund des Patents von 1852
eine andere, den Interessen der Schleswig-Holsteiner besser entsprechende ge¬
schaffen würde. Die Andern wollen weder von dieser, noch überhaupt von
irgend einer Gesnmmtstaatsverfassung mehr etwas wissen, betrachten das Patent
von 1852 mit seinen Doppelsinnigkeiten als keine Bürgschaft dafür, daß den
Uebergriffen der Dänen in den transalbingischen Landen ein Ziel gesetzt werde,
und fordern das unverkürzte alte Schleswig-holsteinische Recht zurück. Sie
sagen, der Vertrag, welcher dieses Recht schmälerte, ist von den Dänen nicht
eingehalten worden, sie sind folglich nicht berechtigt, sich auf denselben zu be¬
rufen, und wir unsrerseits dürfen uns nicht damit begnügen, sie zur Erfüllung
der vertragsmäßigen Verpflichtungen anzuhalten, sondern müssen handeln, als
ob der Verirag überhaupt nicht mehr vorhanden, als ob jenes alte Recht
wieder an seine Stelle getreten wäre.

Wir haben eine Zeit lang, mit den Vertretern Holsteins selbst, an die
Möglichkeit geglaubt, auf dem erstem Wege zum Ziel zu kommen. Wenn wir
uns jetzt der Ansicht der Weitergehenden anschließen, so bestimmen uns dazu
einerseits die Erfahrungen, welche die holsteinischen Stände mit dem Versuch
machten, auf Grund des Patents einen den Interessen des Landes entsprechen¬
den Zustand herzustellen, andrerseits die geringen Erfolge, die der Bundes¬
tag bei den Verhandlungen mit Dünemark erreichte, als er sich auf das Pa¬
tent stützte. Das Patent ist ein vieldeutiges Actenstück, es läßt sich sehr
Verschiedncs aus ihm herauslesen, aber nur mit Mühe die Freiheit und
Selbständigkeit der deutschen Herzogthümer. Sehen wir von der Domänenfrage
und der Nichtbefragung der Stände bei der Schöpfung der Gcsammtstaats-
verfassung ab, hinsichtlich deren entschieden gegen das Patent verstoßen wor¬
den ist, so kann man sich bei dem Verlangen nach einer ausreichenden Ver¬
besserung des jetzigen Zustandes auf das Patent nicht berufen. Die holsteinische
Ständeversammlung suchte in ihrer letzten Diät innerhalb der Grenzen dieser
Proklamation eine befriedigende Ordnung der Verfafsungsverhnltnisse herzu¬
stellen. Mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Scharfsinn bestrebte sie sich,
dem Wortlaut des Patents eine andere als die bisherige Deutung zu geben,
und glaubte sich so berechtigt, die Gesnmmtstaatsverfassung mit ihrer Spitze,
dem Reichsrath, wegfallen zu lassen und die ganze Staatsverwaltung, soweit
sie der Volksvertretung anheimfällt, vier selbständigen örtlich getrennten Ver¬
sammlungen zu übertragen, deren jede die Staatsmaschine hemmen konnte.


Aufhebung der Gesammtstaatsverfassung für Holstein-Lauenburg vermocht, und
es besteht für diese beiden Herzogthümer gegenwärtig ein Provisorium. Für
Schleswig ist nichts geschehn, und über das, was überhaupt weiter zu thun
sei, gehn auf deutscher Seite die Ansichten auseinander. Nach den Einen wäre
zunächst zu bewirken, daß die Verfassung von 1855 auch sür Schleswig außer
Wirksamkeit gesetzt, und dann, daß auf Grund des Patents von 1852
eine andere, den Interessen der Schleswig-Holsteiner besser entsprechende ge¬
schaffen würde. Die Andern wollen weder von dieser, noch überhaupt von
irgend einer Gesnmmtstaatsverfassung mehr etwas wissen, betrachten das Patent
von 1852 mit seinen Doppelsinnigkeiten als keine Bürgschaft dafür, daß den
Uebergriffen der Dänen in den transalbingischen Landen ein Ziel gesetzt werde,
und fordern das unverkürzte alte Schleswig-holsteinische Recht zurück. Sie
sagen, der Vertrag, welcher dieses Recht schmälerte, ist von den Dänen nicht
eingehalten worden, sie sind folglich nicht berechtigt, sich auf denselben zu be¬
rufen, und wir unsrerseits dürfen uns nicht damit begnügen, sie zur Erfüllung
der vertragsmäßigen Verpflichtungen anzuhalten, sondern müssen handeln, als
ob der Verirag überhaupt nicht mehr vorhanden, als ob jenes alte Recht
wieder an seine Stelle getreten wäre.

Wir haben eine Zeit lang, mit den Vertretern Holsteins selbst, an die
Möglichkeit geglaubt, auf dem erstem Wege zum Ziel zu kommen. Wenn wir
uns jetzt der Ansicht der Weitergehenden anschließen, so bestimmen uns dazu
einerseits die Erfahrungen, welche die holsteinischen Stände mit dem Versuch
machten, auf Grund des Patents einen den Interessen des Landes entsprechen¬
den Zustand herzustellen, andrerseits die geringen Erfolge, die der Bundes¬
tag bei den Verhandlungen mit Dünemark erreichte, als er sich auf das Pa¬
tent stützte. Das Patent ist ein vieldeutiges Actenstück, es läßt sich sehr
Verschiedncs aus ihm herauslesen, aber nur mit Mühe die Freiheit und
Selbständigkeit der deutschen Herzogthümer. Sehen wir von der Domänenfrage
und der Nichtbefragung der Stände bei der Schöpfung der Gcsammtstaats-
verfassung ab, hinsichtlich deren entschieden gegen das Patent verstoßen wor¬
den ist, so kann man sich bei dem Verlangen nach einer ausreichenden Ver¬
besserung des jetzigen Zustandes auf das Patent nicht berufen. Die holsteinische
Ständeversammlung suchte in ihrer letzten Diät innerhalb der Grenzen dieser
Proklamation eine befriedigende Ordnung der Verfafsungsverhnltnisse herzu¬
stellen. Mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Scharfsinn bestrebte sie sich,
dem Wortlaut des Patents eine andere als die bisherige Deutung zu geben,
und glaubte sich so berechtigt, die Gesnmmtstaatsverfassung mit ihrer Spitze,
dem Reichsrath, wegfallen zu lassen und die ganze Staatsverwaltung, soweit
sie der Volksvertretung anheimfällt, vier selbständigen örtlich getrennten Ver¬
sammlungen zu übertragen, deren jede die Staatsmaschine hemmen konnte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110264"/>
          <p xml:id="ID_1379" prev="#ID_1378"> Aufhebung der Gesammtstaatsverfassung für Holstein-Lauenburg vermocht, und<lb/>
es besteht für diese beiden Herzogthümer gegenwärtig ein Provisorium. Für<lb/>
Schleswig ist nichts geschehn, und über das, was überhaupt weiter zu thun<lb/>
sei, gehn auf deutscher Seite die Ansichten auseinander. Nach den Einen wäre<lb/>
zunächst zu bewirken, daß die Verfassung von 1855 auch sür Schleswig außer<lb/>
Wirksamkeit gesetzt, und dann, daß auf Grund des Patents von 1852<lb/>
eine andere, den Interessen der Schleswig-Holsteiner besser entsprechende ge¬<lb/>
schaffen würde. Die Andern wollen weder von dieser, noch überhaupt von<lb/>
irgend einer Gesnmmtstaatsverfassung mehr etwas wissen, betrachten das Patent<lb/>
von 1852 mit seinen Doppelsinnigkeiten als keine Bürgschaft dafür, daß den<lb/>
Uebergriffen der Dänen in den transalbingischen Landen ein Ziel gesetzt werde,<lb/>
und fordern das unverkürzte alte Schleswig-holsteinische Recht zurück. Sie<lb/>
sagen, der Vertrag, welcher dieses Recht schmälerte, ist von den Dänen nicht<lb/>
eingehalten worden, sie sind folglich nicht berechtigt, sich auf denselben zu be¬<lb/>
rufen, und wir unsrerseits dürfen uns nicht damit begnügen, sie zur Erfüllung<lb/>
der vertragsmäßigen Verpflichtungen anzuhalten, sondern müssen handeln, als<lb/>
ob der Verirag überhaupt nicht mehr vorhanden, als ob jenes alte Recht<lb/>
wieder an seine Stelle getreten wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Wir haben eine Zeit lang, mit den Vertretern Holsteins selbst, an die<lb/>
Möglichkeit geglaubt, auf dem erstem Wege zum Ziel zu kommen. Wenn wir<lb/>
uns jetzt der Ansicht der Weitergehenden anschließen, so bestimmen uns dazu<lb/>
einerseits die Erfahrungen, welche die holsteinischen Stände mit dem Versuch<lb/>
machten, auf Grund des Patents einen den Interessen des Landes entsprechen¬<lb/>
den Zustand herzustellen, andrerseits die geringen Erfolge, die der Bundes¬<lb/>
tag bei den Verhandlungen mit Dünemark erreichte, als er sich auf das Pa¬<lb/>
tent stützte. Das Patent ist ein vieldeutiges Actenstück, es läßt sich sehr<lb/>
Verschiedncs aus ihm herauslesen, aber nur mit Mühe die Freiheit und<lb/>
Selbständigkeit der deutschen Herzogthümer. Sehen wir von der Domänenfrage<lb/>
und der Nichtbefragung der Stände bei der Schöpfung der Gcsammtstaats-<lb/>
verfassung ab, hinsichtlich deren entschieden gegen das Patent verstoßen wor¬<lb/>
den ist, so kann man sich bei dem Verlangen nach einer ausreichenden Ver¬<lb/>
besserung des jetzigen Zustandes auf das Patent nicht berufen. Die holsteinische<lb/>
Ständeversammlung suchte in ihrer letzten Diät innerhalb der Grenzen dieser<lb/>
Proklamation eine befriedigende Ordnung der Verfafsungsverhnltnisse herzu¬<lb/>
stellen. Mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Scharfsinn bestrebte sie sich,<lb/>
dem Wortlaut des Patents eine andere als die bisherige Deutung zu geben,<lb/>
und glaubte sich so berechtigt, die Gesnmmtstaatsverfassung mit ihrer Spitze,<lb/>
dem Reichsrath, wegfallen zu lassen und die ganze Staatsverwaltung, soweit<lb/>
sie der Volksvertretung anheimfällt, vier selbständigen örtlich getrennten Ver¬<lb/>
sammlungen zu übertragen, deren jede die Staatsmaschine hemmen konnte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] Aufhebung der Gesammtstaatsverfassung für Holstein-Lauenburg vermocht, und es besteht für diese beiden Herzogthümer gegenwärtig ein Provisorium. Für Schleswig ist nichts geschehn, und über das, was überhaupt weiter zu thun sei, gehn auf deutscher Seite die Ansichten auseinander. Nach den Einen wäre zunächst zu bewirken, daß die Verfassung von 1855 auch sür Schleswig außer Wirksamkeit gesetzt, und dann, daß auf Grund des Patents von 1852 eine andere, den Interessen der Schleswig-Holsteiner besser entsprechende ge¬ schaffen würde. Die Andern wollen weder von dieser, noch überhaupt von irgend einer Gesnmmtstaatsverfassung mehr etwas wissen, betrachten das Patent von 1852 mit seinen Doppelsinnigkeiten als keine Bürgschaft dafür, daß den Uebergriffen der Dänen in den transalbingischen Landen ein Ziel gesetzt werde, und fordern das unverkürzte alte Schleswig-holsteinische Recht zurück. Sie sagen, der Vertrag, welcher dieses Recht schmälerte, ist von den Dänen nicht eingehalten worden, sie sind folglich nicht berechtigt, sich auf denselben zu be¬ rufen, und wir unsrerseits dürfen uns nicht damit begnügen, sie zur Erfüllung der vertragsmäßigen Verpflichtungen anzuhalten, sondern müssen handeln, als ob der Verirag überhaupt nicht mehr vorhanden, als ob jenes alte Recht wieder an seine Stelle getreten wäre. Wir haben eine Zeit lang, mit den Vertretern Holsteins selbst, an die Möglichkeit geglaubt, auf dem erstem Wege zum Ziel zu kommen. Wenn wir uns jetzt der Ansicht der Weitergehenden anschließen, so bestimmen uns dazu einerseits die Erfahrungen, welche die holsteinischen Stände mit dem Versuch machten, auf Grund des Patents einen den Interessen des Landes entsprechen¬ den Zustand herzustellen, andrerseits die geringen Erfolge, die der Bundes¬ tag bei den Verhandlungen mit Dünemark erreichte, als er sich auf das Pa¬ tent stützte. Das Patent ist ein vieldeutiges Actenstück, es läßt sich sehr Verschiedncs aus ihm herauslesen, aber nur mit Mühe die Freiheit und Selbständigkeit der deutschen Herzogthümer. Sehen wir von der Domänenfrage und der Nichtbefragung der Stände bei der Schöpfung der Gcsammtstaats- verfassung ab, hinsichtlich deren entschieden gegen das Patent verstoßen wor¬ den ist, so kann man sich bei dem Verlangen nach einer ausreichenden Ver¬ besserung des jetzigen Zustandes auf das Patent nicht berufen. Die holsteinische Ständeversammlung suchte in ihrer letzten Diät innerhalb der Grenzen dieser Proklamation eine befriedigende Ordnung der Verfafsungsverhnltnisse herzu¬ stellen. Mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Scharfsinn bestrebte sie sich, dem Wortlaut des Patents eine andere als die bisherige Deutung zu geben, und glaubte sich so berechtigt, die Gesnmmtstaatsverfassung mit ihrer Spitze, dem Reichsrath, wegfallen zu lassen und die ganze Staatsverwaltung, soweit sie der Volksvertretung anheimfällt, vier selbständigen örtlich getrennten Ver¬ sammlungen zu übertragen, deren jede die Staatsmaschine hemmen konnte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/458>, abgerufen am 25.07.2024.