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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Man wird nicht behaupten tonnen, wie die Polizei Napoleons von dem
Buch der Stael über Deutschland behauptete, daß diese Gedanken nicht fran¬
zösisch seien. In dem daran stoßenden Schlafzimmer fällt uns zunächst em
Kamin aus Marmor, das Bett seines frühern Bewohners und ein Schach¬
brett in die Augen. Aber weit interessanter sind die zahlreichen Bilder, die
hier die Wände bedecken, theils in Oel gemalt theils kleine vergilbte Kupfer¬
stiche. In diesen Bildern tritt uns wirklich ein Stück aus Voltaires Leben
und, da Voltaire, man mag ihn beurthcrlen wie man will, jedenfalls der Re¬
präsentant einer ganzen Gruppe und Richtung seiner Zeit war, ein Stück Cultur¬
geschichte des achtzehnten Jahrhunderts entgegen. Da ist vor allem Friedrichs
des Großen Bild, vortrefflich gemalt und in den frischesten Farben, das uns
mit den Falkenaugen entgegenblitzt. Ob es dem Verfasser der Nsmoires xour
svrvir ü. ig. vie as N. as Voltaire nicht manchmal unheimlich geworden ist,
wenn er seiner Persidien eingedenk zu diesem Antlitz seine Augen erhob?
Kurze Zeit vor der Schlacht von Roßbach. erzählt Voltaire in jener Selbst¬
biographie, dachte der König, an seinem Glück verzweifelnd an Selbstmord
und sprach diesen Entschluß in einer poetischen Epistel an den Marquis von
Argens aus. Das ganze Gedicht mitzutheilen scheint Voltaire unthunlich,
"lave it 7 g, ne rspötitions": einiges wählt er aus. denn "on 7 trouve "Meines
woreeimx assöü bien tourrM xour un roi du, Ksorü". Ist diese französische
Unverschämtheit nicht wie eine Nemesis für die von Friedrich verachtete deutsche
Muse, die den großen König vergötterte? Auch Katharinas von Nußland
Porträt findet sich, Katharinas, welche Voltaires Biograph, der Marquis
von Condorcet, zu den Souveränen zählt, die ,,s' intvroLsaiöirt a ses travaux,
lisaicmt "es ouvrages, enoreliÄiont a uiSritsr ses slogss". Da ist serner
Voltaires eignes Faunengesicht in Bild und Relief; aber kein anderes Bild
erreicht den lebendigen Ausdruck, welchen seine Statue im Theatre francais
u> Paris an sich trügt. Da ist ein kleiner Kupferstich von Milton, ein an¬
derer von Franklin. Bei seinem letzten Aufenthalte in Paris traf Voltaire
Mit Franklin zusammen und beide führten, wenn man seinem Biographen
trauen darf, der die Geschichte andächtig gerührt erzählt, eine artige Komödie
auf. Voltaire machte einen Anlauf englisch zu radebrechen, gab aber diesen
unglücklichen Versuch bald auf: "^0 ir' cri xu rWister an ctösir as Mrler un
womviit Jer Icurgue ä" Ur. ?iÄirKUn," sagte er. Franklin war nicht unem¬
pfindlich für diese Anstrengung, die sich Voltaire auferlegt. Er stellte dem¬
selben seinen Enkel vor und bat für denselben um -- Voltaires Segen!
"Hock inn I^ibortF," sagte Voltaire, das ist der einzige Segen, der sich für
den Enkel Franklins schickt! Und als sich die beide" in einer Sitzung der
Akademie umarmten, "orr er alle, yue e' statt Lotor <mi emdrassait Loxlroelo."
Der Marquis von Condorcet findet diesen Vergleich nur insofern unpassend,


^renzi'vier III, Is60, 55

Man wird nicht behaupten tonnen, wie die Polizei Napoleons von dem
Buch der Stael über Deutschland behauptete, daß diese Gedanken nicht fran¬
zösisch seien. In dem daran stoßenden Schlafzimmer fällt uns zunächst em
Kamin aus Marmor, das Bett seines frühern Bewohners und ein Schach¬
brett in die Augen. Aber weit interessanter sind die zahlreichen Bilder, die
hier die Wände bedecken, theils in Oel gemalt theils kleine vergilbte Kupfer¬
stiche. In diesen Bildern tritt uns wirklich ein Stück aus Voltaires Leben
und, da Voltaire, man mag ihn beurthcrlen wie man will, jedenfalls der Re¬
präsentant einer ganzen Gruppe und Richtung seiner Zeit war, ein Stück Cultur¬
geschichte des achtzehnten Jahrhunderts entgegen. Da ist vor allem Friedrichs
des Großen Bild, vortrefflich gemalt und in den frischesten Farben, das uns
mit den Falkenaugen entgegenblitzt. Ob es dem Verfasser der Nsmoires xour
svrvir ü. ig. vie as N. as Voltaire nicht manchmal unheimlich geworden ist,
wenn er seiner Persidien eingedenk zu diesem Antlitz seine Augen erhob?
Kurze Zeit vor der Schlacht von Roßbach. erzählt Voltaire in jener Selbst¬
biographie, dachte der König, an seinem Glück verzweifelnd an Selbstmord
und sprach diesen Entschluß in einer poetischen Epistel an den Marquis von
Argens aus. Das ganze Gedicht mitzutheilen scheint Voltaire unthunlich,
„lave it 7 g, ne rspötitions": einiges wählt er aus. denn „on 7 trouve «Meines
woreeimx assöü bien tourrM xour un roi du, Ksorü". Ist diese französische
Unverschämtheit nicht wie eine Nemesis für die von Friedrich verachtete deutsche
Muse, die den großen König vergötterte? Auch Katharinas von Nußland
Porträt findet sich, Katharinas, welche Voltaires Biograph, der Marquis
von Condorcet, zu den Souveränen zählt, die ,,s' intvroLsaiöirt a ses travaux,
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Voltaires eignes Faunengesicht in Bild und Relief; aber kein anderes Bild
erreicht den lebendigen Ausdruck, welchen seine Statue im Theatre francais
u> Paris an sich trügt. Da ist ein kleiner Kupferstich von Milton, ein an¬
derer von Franklin. Bei seinem letzten Aufenthalte in Paris traf Voltaire
Mit Franklin zusammen und beide führten, wenn man seinem Biographen
trauen darf, der die Geschichte andächtig gerührt erzählt, eine artige Komödie
auf. Voltaire machte einen Anlauf englisch zu radebrechen, gab aber diesen
unglücklichen Versuch bald auf: „^0 ir' cri xu rWister an ctösir as Mrler un
womviit Jer Icurgue ä« Ur. ?iÄirKUn," sagte er. Franklin war nicht unem¬
pfindlich für diese Anstrengung, die sich Voltaire auferlegt. Er stellte dem¬
selben seinen Enkel vor und bat für denselben um — Voltaires Segen!
»Hock inn I^ibortF," sagte Voltaire, das ist der einzige Segen, der sich für
den Enkel Franklins schickt! Und als sich die beide» in einer Sitzung der
Akademie umarmten, „orr er alle, yue e' statt Lotor <mi emdrassait Loxlroelo."
Der Marquis von Condorcet findet diesen Vergleich nur insofern unpassend,


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[0445] Man wird nicht behaupten tonnen, wie die Polizei Napoleons von dem Buch der Stael über Deutschland behauptete, daß diese Gedanken nicht fran¬ zösisch seien. In dem daran stoßenden Schlafzimmer fällt uns zunächst em Kamin aus Marmor, das Bett seines frühern Bewohners und ein Schach¬ brett in die Augen. Aber weit interessanter sind die zahlreichen Bilder, die hier die Wände bedecken, theils in Oel gemalt theils kleine vergilbte Kupfer¬ stiche. In diesen Bildern tritt uns wirklich ein Stück aus Voltaires Leben und, da Voltaire, man mag ihn beurthcrlen wie man will, jedenfalls der Re¬ präsentant einer ganzen Gruppe und Richtung seiner Zeit war, ein Stück Cultur¬ geschichte des achtzehnten Jahrhunderts entgegen. Da ist vor allem Friedrichs des Großen Bild, vortrefflich gemalt und in den frischesten Farben, das uns mit den Falkenaugen entgegenblitzt. Ob es dem Verfasser der Nsmoires xour svrvir ü. ig. vie as N. as Voltaire nicht manchmal unheimlich geworden ist, wenn er seiner Persidien eingedenk zu diesem Antlitz seine Augen erhob? Kurze Zeit vor der Schlacht von Roßbach. erzählt Voltaire in jener Selbst¬ biographie, dachte der König, an seinem Glück verzweifelnd an Selbstmord und sprach diesen Entschluß in einer poetischen Epistel an den Marquis von Argens aus. Das ganze Gedicht mitzutheilen scheint Voltaire unthunlich, „lave it 7 g, ne rspötitions": einiges wählt er aus. denn „on 7 trouve «Meines woreeimx assöü bien tourrM xour un roi du, Ksorü". Ist diese französische Unverschämtheit nicht wie eine Nemesis für die von Friedrich verachtete deutsche Muse, die den großen König vergötterte? Auch Katharinas von Nußland Porträt findet sich, Katharinas, welche Voltaires Biograph, der Marquis von Condorcet, zu den Souveränen zählt, die ,,s' intvroLsaiöirt a ses travaux, lisaicmt «es ouvrages, enoreliÄiont a uiSritsr ses slogss". Da ist serner Voltaires eignes Faunengesicht in Bild und Relief; aber kein anderes Bild erreicht den lebendigen Ausdruck, welchen seine Statue im Theatre francais u> Paris an sich trügt. Da ist ein kleiner Kupferstich von Milton, ein an¬ derer von Franklin. Bei seinem letzten Aufenthalte in Paris traf Voltaire Mit Franklin zusammen und beide führten, wenn man seinem Biographen trauen darf, der die Geschichte andächtig gerührt erzählt, eine artige Komödie auf. Voltaire machte einen Anlauf englisch zu radebrechen, gab aber diesen unglücklichen Versuch bald auf: „^0 ir' cri xu rWister an ctösir as Mrler un womviit Jer Icurgue ä« Ur. ?iÄirKUn," sagte er. Franklin war nicht unem¬ pfindlich für diese Anstrengung, die sich Voltaire auferlegt. Er stellte dem¬ selben seinen Enkel vor und bat für denselben um — Voltaires Segen! »Hock inn I^ibortF," sagte Voltaire, das ist der einzige Segen, der sich für den Enkel Franklins schickt! Und als sich die beide» in einer Sitzung der Akademie umarmten, „orr er alle, yue e' statt Lotor <mi emdrassait Loxlroelo." Der Marquis von Condorcet findet diesen Vergleich nur insofern unpassend, ^renzi'vier III, Is60, 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/445>, abgerufen am 04.07.2024.