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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Deutschlands Kräfte aber zu ihren individuellen Zwecken auszunutzen. Es lag
im Interesse der Habsburger Kaiser, in Deutschland soviel Kräfte zu lassen,
um Soldaten für ihre italienischen und türkischen Feldzüge zu haben, aber
nicht mehr; im Gegentheil hat Oestreich alles aufgeboten, die deutschen Staaten
möglichst klein zu erhalten und jede selbständige Lebensfähigkeit zu unterdrücken.

Man klage deshalb die östreichischen Kaiser nicht an! sie folgten nur der Noth¬
wendigkeit ihrer Lage, wenn sie ein Reichsland nach dem andern an Frank¬
reich preisgaben, um ihre italienischen Besitzungen zu erhalten. Man versetze
sich nur in die Lage des Kaisers von Oestreich! Es bricht ein großer Krieg
aus, der Krieg wird unglücklich geführt; es ist ein Opfer nöthig, und man
hat die Wahl zwischen der Abtretung Venedigs oder der Rheinprovinz: -- wird
hier auch nur der Schatten eines Zweifels obwalten? Der Verlust Venedigs
ist für Oestreich ein Selbstmord, denn er hat zur nächsten Folge den Verlust
alles Landes bis zu den Alpen, und weiter den Verlust des adriatischen Mee¬
res, den Verlust Ungarns u. s, w. Man klage nicht diesen oder jenen Fürsten an!
wenn der edelste aller denkbaren Monarchen die Krone Oestreichs trägt, er kann
nicht anders denken, --Ferner: unsre Hoffnungen in Deutschland sind zunächst
auf wahrhaft constitutionelle Entwicklung der einzelnen Staaten, weiterhin auf
constitutionelle Centralisation des Ganzen gerichtet. Und wenn der freifinnigste
aller denkbaren Monarchen auf Oestreichs Thron sitzt, er kann diese Bestrebungen
nicht begünstigen, er muß ihnen nach Kräften entgegenwirken. Aufnahme
Deutsch-Oestreichs in ein deutsch parlamentarisches Leben heißt so viel als
völlige Zerstörung der östreichischen Monarchie.--So gefährlich die Gründung
eines engern Bundesstaats für Oestreich ist, weil damit jenes Abhängigkeits¬
verhältniß aufhört: Oestreich kann noch eher darein willigen, als in die Be¬
theiligung seiner Provinzen an dem allgemeinen deutschen Leben. -- Was uns
in der auswärtigen Politik am meisten am Herzen liegt, die Befreiung Schles¬
wig-Holsteins vom dänischen Joch, wird Oestreich nie ernstlich wollen, weil
damit zu gleicher Zeit Preußen eine viel freiere Lage bekäme; und der beste
Monarch Oestreichs wird in einer größern Freiheit Preußens stets eine Gefahr
für seinen Staat sehen.

Die Fortdauer dieses Verhältnisses ist für das deutsche Leben geradezu
crtödrcnd und für Oestreich in seiner halb verzweifelten Lage auch keine Rettung.
Wenn wir also Deutschland vom östreichischen Einfluß lösen wollen, so meinen
wir damit nicht eine völlige Auflösung des alten Bundesverhältnisses: wir
wollen nur, daß Deutschland mit Oestreich offen und ehrlich rechne. Wir wollen
dem alten Bundesoerwandten Hilfe leisten in seinen Gefahren, aber nur unter
der Bedingung, daß er aufhört, sich in unsre Angelegenheiten zu mischen, die
er doch nur verwirren kann. -- Dieser Gedanke scheint in Teplitz nicht strenge
genug festgehalten zu sein. ,


Deutschlands Kräfte aber zu ihren individuellen Zwecken auszunutzen. Es lag
im Interesse der Habsburger Kaiser, in Deutschland soviel Kräfte zu lassen,
um Soldaten für ihre italienischen und türkischen Feldzüge zu haben, aber
nicht mehr; im Gegentheil hat Oestreich alles aufgeboten, die deutschen Staaten
möglichst klein zu erhalten und jede selbständige Lebensfähigkeit zu unterdrücken.

Man klage deshalb die östreichischen Kaiser nicht an! sie folgten nur der Noth¬
wendigkeit ihrer Lage, wenn sie ein Reichsland nach dem andern an Frank¬
reich preisgaben, um ihre italienischen Besitzungen zu erhalten. Man versetze
sich nur in die Lage des Kaisers von Oestreich! Es bricht ein großer Krieg
aus, der Krieg wird unglücklich geführt; es ist ein Opfer nöthig, und man
hat die Wahl zwischen der Abtretung Venedigs oder der Rheinprovinz: — wird
hier auch nur der Schatten eines Zweifels obwalten? Der Verlust Venedigs
ist für Oestreich ein Selbstmord, denn er hat zur nächsten Folge den Verlust
alles Landes bis zu den Alpen, und weiter den Verlust des adriatischen Mee¬
res, den Verlust Ungarns u. s, w. Man klage nicht diesen oder jenen Fürsten an!
wenn der edelste aller denkbaren Monarchen die Krone Oestreichs trägt, er kann
nicht anders denken, —Ferner: unsre Hoffnungen in Deutschland sind zunächst
auf wahrhaft constitutionelle Entwicklung der einzelnen Staaten, weiterhin auf
constitutionelle Centralisation des Ganzen gerichtet. Und wenn der freifinnigste
aller denkbaren Monarchen auf Oestreichs Thron sitzt, er kann diese Bestrebungen
nicht begünstigen, er muß ihnen nach Kräften entgegenwirken. Aufnahme
Deutsch-Oestreichs in ein deutsch parlamentarisches Leben heißt so viel als
völlige Zerstörung der östreichischen Monarchie.—So gefährlich die Gründung
eines engern Bundesstaats für Oestreich ist, weil damit jenes Abhängigkeits¬
verhältniß aufhört: Oestreich kann noch eher darein willigen, als in die Be¬
theiligung seiner Provinzen an dem allgemeinen deutschen Leben. — Was uns
in der auswärtigen Politik am meisten am Herzen liegt, die Befreiung Schles¬
wig-Holsteins vom dänischen Joch, wird Oestreich nie ernstlich wollen, weil
damit zu gleicher Zeit Preußen eine viel freiere Lage bekäme; und der beste
Monarch Oestreichs wird in einer größern Freiheit Preußens stets eine Gefahr
für seinen Staat sehen.

Die Fortdauer dieses Verhältnisses ist für das deutsche Leben geradezu
crtödrcnd und für Oestreich in seiner halb verzweifelten Lage auch keine Rettung.
Wenn wir also Deutschland vom östreichischen Einfluß lösen wollen, so meinen
wir damit nicht eine völlige Auflösung des alten Bundesverhältnisses: wir
wollen nur, daß Deutschland mit Oestreich offen und ehrlich rechne. Wir wollen
dem alten Bundesoerwandten Hilfe leisten in seinen Gefahren, aber nur unter
der Bedingung, daß er aufhört, sich in unsre Angelegenheiten zu mischen, die
er doch nur verwirren kann. — Dieser Gedanke scheint in Teplitz nicht strenge
genug festgehalten zu sein. ,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/416>, abgerufen am 26.06.2024.