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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Noch weniger wollen wir die geistige Gemeinschaft mit den Deutsch-
Oestreichcrn aufgeben. Oestreich bleibt ja immer ein überwiegend deutscher
Staat, und unser Verkehr mit dem Volk wird um so inniger werden, je freier
wir dem Staat gegenüberstehn, Dauert doch sogar der geistige Verkehr mit
den Deutsch-Amerikanern fort, ohne daß Cincinnati Deputirte in unser Par¬
lament schickt.

Dies ist die Hauptsache, gegen die alles übrige zurücktritt. Es hat durch¬
aus keine Noth, daß wir uns jetzt über die zweckmäßigste Verfassung des
engern Bundes in nutzlose Grübeleien vertiefen. Sobald der Gedanke überall
zur Klarheit gekommen ist, daß Deutschland selbständig sein muß, so finden
sich die Formen von selbst, Es wäre sogar sehr wenig zu ändern. Von ent¬
scheidender Wichtigkeit ist die Mlitärvcrfassung; alles andere kann der weitern
allmäligen Entwicklung überlassen bleiben.

Ueberall kann der Nationalverein nur eine vorbereitende Thätigkeit aus¬
üben. Vorurtheile beseitigen, Wünsche formuliren u. f. w,: das Hauptwerk
muß den Regierungen überlassen bleiben. Wenn Preußen dem Programm
seiner Regierung treu bleibt; wenn es seine innern Zustände so ordnet, daß
sie den andern Staaten als Vorbild dienen; wenn es jede Verlockung von sich
weist, den bundesverwandten Fürsten oder Völkern zu nahe zu treten; wenn es
die nöthige Energie entfaltet, überall den deutschen Namen gegen das Ausland
zu vertreten: dann hat die Einigung, und zwar die friedliche Einigung viel ge¬
ringere Schwierigkeiten als man gewöhnlich glaubt; hat doch eine Mißregic-
rung von acht schlimmen Jahren nicht so diese Spuren hinterlassen, daß sie
nicht dnrch einen hochherzigen Entschluß wieder ausgelöscht werden konnten.

Den Versuch Oestreichs, sich seinerseits zweckmüßiger zu organisiren, werden
wir mit Theilnahme, aber ohne phantastische Hoffnungen verfolgen. Die
Hauptschwierigkeit, mit der Oestreich zu kämpfen hat, ist ferne Zusammensetz¬
ung aus verschiedenen Nationalitäten, die sich ungefähr gewachsen sind, und
von denen keine die völlige Vertretung ihrer individuellen Interessen im Ge-
sammtstaat findet. Es ist leichter, die Schwierigkeit auszuweisen, als eine Lö¬
sung zu finden. Schon vor einigen Wochen bemerkten wir, daß jenes kaiser¬
liche Edict, welches dem verstärkten Reichsrath die Aufsicht über die Finanzen
in die Hände gibt, der erste Schritt zu einer durchgreifenden Veränderung
wäre. Bereits jetzt sehen wir ihn, wenn auch in den bescheidensten Formen,
den Weg einer constituirenden Versammlung betreten. Es ist nothwendig;
denn in ganz Oestreich täuscht sich Niemand mehr darüber, daß der bisherige
Weg zum Verderben führt. Aber welchen andern Weg einschlagen? Der
Reichsrath selbst hat sich in zwei scharf gesonderte Fractionen getrennt, die
ungefähr den Gegensatz ausdrücken, der im Volk überhaupt besteht. Dort
verlangt man die Rückkehr zur Selbständigkeit der alten Kronlande, die Aus-


Noch weniger wollen wir die geistige Gemeinschaft mit den Deutsch-
Oestreichcrn aufgeben. Oestreich bleibt ja immer ein überwiegend deutscher
Staat, und unser Verkehr mit dem Volk wird um so inniger werden, je freier
wir dem Staat gegenüberstehn, Dauert doch sogar der geistige Verkehr mit
den Deutsch-Amerikanern fort, ohne daß Cincinnati Deputirte in unser Par¬
lament schickt.

Dies ist die Hauptsache, gegen die alles übrige zurücktritt. Es hat durch¬
aus keine Noth, daß wir uns jetzt über die zweckmäßigste Verfassung des
engern Bundes in nutzlose Grübeleien vertiefen. Sobald der Gedanke überall
zur Klarheit gekommen ist, daß Deutschland selbständig sein muß, so finden
sich die Formen von selbst, Es wäre sogar sehr wenig zu ändern. Von ent¬
scheidender Wichtigkeit ist die Mlitärvcrfassung; alles andere kann der weitern
allmäligen Entwicklung überlassen bleiben.

Ueberall kann der Nationalverein nur eine vorbereitende Thätigkeit aus¬
üben. Vorurtheile beseitigen, Wünsche formuliren u. f. w,: das Hauptwerk
muß den Regierungen überlassen bleiben. Wenn Preußen dem Programm
seiner Regierung treu bleibt; wenn es seine innern Zustände so ordnet, daß
sie den andern Staaten als Vorbild dienen; wenn es jede Verlockung von sich
weist, den bundesverwandten Fürsten oder Völkern zu nahe zu treten; wenn es
die nöthige Energie entfaltet, überall den deutschen Namen gegen das Ausland
zu vertreten: dann hat die Einigung, und zwar die friedliche Einigung viel ge¬
ringere Schwierigkeiten als man gewöhnlich glaubt; hat doch eine Mißregic-
rung von acht schlimmen Jahren nicht so diese Spuren hinterlassen, daß sie
nicht dnrch einen hochherzigen Entschluß wieder ausgelöscht werden konnten.

Den Versuch Oestreichs, sich seinerseits zweckmüßiger zu organisiren, werden
wir mit Theilnahme, aber ohne phantastische Hoffnungen verfolgen. Die
Hauptschwierigkeit, mit der Oestreich zu kämpfen hat, ist ferne Zusammensetz¬
ung aus verschiedenen Nationalitäten, die sich ungefähr gewachsen sind, und
von denen keine die völlige Vertretung ihrer individuellen Interessen im Ge-
sammtstaat findet. Es ist leichter, die Schwierigkeit auszuweisen, als eine Lö¬
sung zu finden. Schon vor einigen Wochen bemerkten wir, daß jenes kaiser¬
liche Edict, welches dem verstärkten Reichsrath die Aufsicht über die Finanzen
in die Hände gibt, der erste Schritt zu einer durchgreifenden Veränderung
wäre. Bereits jetzt sehen wir ihn, wenn auch in den bescheidensten Formen,
den Weg einer constituirenden Versammlung betreten. Es ist nothwendig;
denn in ganz Oestreich täuscht sich Niemand mehr darüber, daß der bisherige
Weg zum Verderben führt. Aber welchen andern Weg einschlagen? Der
Reichsrath selbst hat sich in zwei scharf gesonderte Fractionen getrennt, die
ungefähr den Gegensatz ausdrücken, der im Volk überhaupt besteht. Dort
verlangt man die Rückkehr zur Selbständigkeit der alten Kronlande, die Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/417>, abgerufen am 18.06.2024.