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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ebenfalls, und wir wollen hoffen, daß auch Sachsen dem guten Beispiel folgen
wird. Wenn es auf den ersten Anblick scheint, dnß zur Aufmunterung dieser
Thätigkeit der Nationalvercin nichts beitragen könne, so ergibt sich bei näherm
Zusehn, daß der Lebensmuth durch nichts mehr gesteigert wird, als wenn man
sieht, daß man in seinen Anstrengungen nicht allein steht. Wenn man bisher
in den einzelnen Ländern von der Annahme ausging, hier im engern Kreise
für das Ganze doch nichts wirken zu können, so tritt jeht dafür das Gefühl
der Zusanunengehörigkeit ein: auf das Ganze wird nur dadurch gewirkt, wenn
man überall ans das Einzelne wirkt. Ist in allen deutschen Ländern zunächst
die Volksvertretung liberal, so werden sich auch die Regierungen ihrem Einfluß
uicht entziehn können, und wenn es so weit kommt, so ist wenigstens eine
von den Hauptschwierigkeiten der Einigung beseitigt.

Dies ist die eine Aufgabe des Vereins; sie wird aber nur dann mit Er¬
folg durchgeführt werden können, wenn man die andere darüber nicht aus
den Augen läßt. Der Nationalverein soll nicht erst allmälig, durch gegenseitige
dialektische Einwirkung, eine Ansicht produciren, wie Deutschland zu helfen sei,
sondern er soll mit einer festen Ueberzeugung ans Volk heran treten. Im
Grunde hat er sie auch, aber es kommt grade daraus an. sie auszusprechen
und die Unmündigen im Volk allmälig daran zu gewöhnen.

Der Kern und die Lebensfrage der ganzen deutschen Entwicklung ist das
Verhältniß Deutschlands zu Oestreich. So lange das deutsche Volk in seinem
Verstand und seinem Gemüth diese Frage nicht entschieden hat. ist gar kein
Fortschritt denkbar, dessen Dauer man irgend wie verbürgen könnte. Die
Aufgabe, auf welcher alle übrigen beruhe", ist die, Deutschland von dem po¬
litischen Einfluß des Hauses Oestreich zu lösen. Diese Lösung ist nothwendig,
sie ist aber auch möglich ohne ein erhebliches Opfer. Und der Weg, den die
preußische Regierung in der Mitte des vorigen Jahres einschlug und der we¬
nigstens mittelbar die Veranlassung des deutschen Nattvnalvereins wurde, ist
der allein richtige.

Um diesen Weg näher zu bestimmen, sehen wir zuerst die wirkliche Lage
der Dinge an.

Von sentimentalen Politikern wird fortwährend die Klage vorgebracht,
wir gingen darauf aus, das biedre, treuherzige östreichische Volk aus Deutsch¬
land auszutreiben. Diese Klage wird um so häufiger wiederholt, je weniger
sich dabei denken läßt. Es ist uns ganz unmöglich. Oestreich aus Deutschland
auszutreiben, weil es gar nicht darin ist. Oestreich steht nicht erst seit Metter-
nich, es steht seit zwei Jahrhunderten außerhalb Deutschland. Sobald die
Habsburger Monarchie im westphälischen Frieden ihr altes Bestreben aufgab.
Deutschland zu unterwerfen, hat sie mit größter Folgerichtigkeit nichts anderes
gethan, als sich selbst von den deutschen Einflüssen möglichst s>i zu halten,


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ebenfalls, und wir wollen hoffen, daß auch Sachsen dem guten Beispiel folgen
wird. Wenn es auf den ersten Anblick scheint, dnß zur Aufmunterung dieser
Thätigkeit der Nationalvercin nichts beitragen könne, so ergibt sich bei näherm
Zusehn, daß der Lebensmuth durch nichts mehr gesteigert wird, als wenn man
sieht, daß man in seinen Anstrengungen nicht allein steht. Wenn man bisher
in den einzelnen Ländern von der Annahme ausging, hier im engern Kreise
für das Ganze doch nichts wirken zu können, so tritt jeht dafür das Gefühl
der Zusanunengehörigkeit ein: auf das Ganze wird nur dadurch gewirkt, wenn
man überall ans das Einzelne wirkt. Ist in allen deutschen Ländern zunächst
die Volksvertretung liberal, so werden sich auch die Regierungen ihrem Einfluß
uicht entziehn können, und wenn es so weit kommt, so ist wenigstens eine
von den Hauptschwierigkeiten der Einigung beseitigt.

Dies ist die eine Aufgabe des Vereins; sie wird aber nur dann mit Er¬
folg durchgeführt werden können, wenn man die andere darüber nicht aus
den Augen läßt. Der Nationalverein soll nicht erst allmälig, durch gegenseitige
dialektische Einwirkung, eine Ansicht produciren, wie Deutschland zu helfen sei,
sondern er soll mit einer festen Ueberzeugung ans Volk heran treten. Im
Grunde hat er sie auch, aber es kommt grade daraus an. sie auszusprechen
und die Unmündigen im Volk allmälig daran zu gewöhnen.

Der Kern und die Lebensfrage der ganzen deutschen Entwicklung ist das
Verhältniß Deutschlands zu Oestreich. So lange das deutsche Volk in seinem
Verstand und seinem Gemüth diese Frage nicht entschieden hat. ist gar kein
Fortschritt denkbar, dessen Dauer man irgend wie verbürgen könnte. Die
Aufgabe, auf welcher alle übrigen beruhe», ist die, Deutschland von dem po¬
litischen Einfluß des Hauses Oestreich zu lösen. Diese Lösung ist nothwendig,
sie ist aber auch möglich ohne ein erhebliches Opfer. Und der Weg, den die
preußische Regierung in der Mitte des vorigen Jahres einschlug und der we¬
nigstens mittelbar die Veranlassung des deutschen Nattvnalvereins wurde, ist
der allein richtige.

Um diesen Weg näher zu bestimmen, sehen wir zuerst die wirkliche Lage
der Dinge an.

Von sentimentalen Politikern wird fortwährend die Klage vorgebracht,
wir gingen darauf aus, das biedre, treuherzige östreichische Volk aus Deutsch¬
land auszutreiben. Diese Klage wird um so häufiger wiederholt, je weniger
sich dabei denken läßt. Es ist uns ganz unmöglich. Oestreich aus Deutschland
auszutreiben, weil es gar nicht darin ist. Oestreich steht nicht erst seit Metter-
nich, es steht seit zwei Jahrhunderten außerhalb Deutschland. Sobald die
Habsburger Monarchie im westphälischen Frieden ihr altes Bestreben aufgab.
Deutschland zu unterwerfen, hat sie mit größter Folgerichtigkeit nichts anderes
gethan, als sich selbst von den deutschen Einflüssen möglichst s>i zu halten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/415>, abgerufen am 23.06.2024.