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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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und Anständigkeit unausgesetzt großes Gewicht legte. Es mit diesen Eigen¬
schaften weit über den Schein hinaufzubringen, wurde kaum beabsichtigt;
doch verwandelte sich derselbe nicht selten in Wirklichkeit, und bis in die fern¬
sten Provinzen machte sich das Streben bemerkbar, Männer an die Spitze der
Verwaltung zu stellen, welche auffallende Acte der Bedrückung mieden, und
von denen man hoffte, daß sie sich in ihrer Sphäre populär machen würden.
Die Staatseinnahmen genügten auch damals den Ausgaben für das Heer
stets absetzbarer und deshalb übermäßig hoch besoldeter Beamten,
für die Hofhaltung mit ihrem halben Tausend von Kaiserinnen, nicht voll¬
ständig; aber noch gab es keine auswärtige Gläubiger, die auf ihr Recht
trotzen konnten, noch hoffte man das Deficit durch günstige Handelsconjunc-
turen, oder eventuell durch den Verkauf von Staatsgütern zu decken. Eine einzige
Organisation, die des Militärs, gab zu hohen Erwartungen Anlaß, indem
Unbestechlichkeit und Pflichttreue, Tugenden, welche der Orientale damals bei
europäischen Beamten als zur Wesenheit gehörig betrachtete, dort wirklich
Boden gefaßt hatten. Im Uebrigen genügte die Anerkennung des Guten,
welche damals der Pforte beigeschrieben wurde, ihr in dem türkisch-russischen
Streite die europäischen Sympathien zuzuwenden.

Indem der Krieg die Finanzen völlig zerrüttete, wurde er die Ursache,
daß alle diese Hoffnungskeime erstarben. Als der französische Kaiser sür seinen
Schützling Frieden schloß, da mischte sich in die Siegesfreude dieses die trau¬
rige Gewißheit, daß kein unglücklicher Feldzug ihm soviel Schwächung und
Demüthigung würde beigebracht haben, wie er durch seine mächtigen Alliirten
erfahren. Mit dem Vertrauen auf die politische Sittlichkeit der Europäer war
auch das auf die persönliche Ehrenhaftigkeit derselben geschwunden; die Fälle,
wo die Tugend an der ersten Aussicht aus Straflosigkeit bei ungesetzlicher Be¬
reicherung scheiterte, waren zu häusig gewesen. Verzweiflung am Besserwer¬
den, die Ueberzeugung, daß der Zusammensturz des morschen Gebäudes un¬
möglich lange aufgehalten werden könne, und der durch keine Scham mehr
gehemmte Wunsch der Machthaber per las et melas noch möglichst viel Geld
zusammenzuraffen, dies alles potenzirte den Zersetzungsproceß, welcher während
des Krieges begonnen. Nie sind die Tribunale käuflicher, nie die Vergebung
einträglicher Posten so sehr an Geldgeschenke geknüpft gewesen, wie nach dem
Kriege, die nothwendigsten Administrativanordnungen wurden durch Bestechung
umgestoßen*), andere nützliche Einrichtungen,**), weil sie eine Quelle der Be-




"> Z, B. das Verbot der Waffeneinfuhr in den Libanon. Ein einziges belgisches Haus
verzollte in einem Jahre für eine halbe Million Franken Musketen im Libanon. Der Gouver¬
neur Churschid Pascha sah nichts als die schönen Augen (im Arabischen heißt Auge auch
Goldstück) der Mauthpächter. Die Folgen konnten nicht ausbleiben.
"
) Die Handelsgerichte verschiedner Städte, bei welchen von den Konsulaten designirte
angesehne europäische Kaufleute Sitz und Stimme hatten. Sie waren so unbestechlich, wie
dies überhaupt in der Levante möglich ist.*
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und Anständigkeit unausgesetzt großes Gewicht legte. Es mit diesen Eigen¬
schaften weit über den Schein hinaufzubringen, wurde kaum beabsichtigt;
doch verwandelte sich derselbe nicht selten in Wirklichkeit, und bis in die fern¬
sten Provinzen machte sich das Streben bemerkbar, Männer an die Spitze der
Verwaltung zu stellen, welche auffallende Acte der Bedrückung mieden, und
von denen man hoffte, daß sie sich in ihrer Sphäre populär machen würden.
Die Staatseinnahmen genügten auch damals den Ausgaben für das Heer
stets absetzbarer und deshalb übermäßig hoch besoldeter Beamten,
für die Hofhaltung mit ihrem halben Tausend von Kaiserinnen, nicht voll¬
ständig; aber noch gab es keine auswärtige Gläubiger, die auf ihr Recht
trotzen konnten, noch hoffte man das Deficit durch günstige Handelsconjunc-
turen, oder eventuell durch den Verkauf von Staatsgütern zu decken. Eine einzige
Organisation, die des Militärs, gab zu hohen Erwartungen Anlaß, indem
Unbestechlichkeit und Pflichttreue, Tugenden, welche der Orientale damals bei
europäischen Beamten als zur Wesenheit gehörig betrachtete, dort wirklich
Boden gefaßt hatten. Im Uebrigen genügte die Anerkennung des Guten,
welche damals der Pforte beigeschrieben wurde, ihr in dem türkisch-russischen
Streite die europäischen Sympathien zuzuwenden.

Indem der Krieg die Finanzen völlig zerrüttete, wurde er die Ursache,
daß alle diese Hoffnungskeime erstarben. Als der französische Kaiser sür seinen
Schützling Frieden schloß, da mischte sich in die Siegesfreude dieses die trau¬
rige Gewißheit, daß kein unglücklicher Feldzug ihm soviel Schwächung und
Demüthigung würde beigebracht haben, wie er durch seine mächtigen Alliirten
erfahren. Mit dem Vertrauen auf die politische Sittlichkeit der Europäer war
auch das auf die persönliche Ehrenhaftigkeit derselben geschwunden; die Fälle,
wo die Tugend an der ersten Aussicht aus Straflosigkeit bei ungesetzlicher Be¬
reicherung scheiterte, waren zu häusig gewesen. Verzweiflung am Besserwer¬
den, die Ueberzeugung, daß der Zusammensturz des morschen Gebäudes un¬
möglich lange aufgehalten werden könne, und der durch keine Scham mehr
gehemmte Wunsch der Machthaber per las et melas noch möglichst viel Geld
zusammenzuraffen, dies alles potenzirte den Zersetzungsproceß, welcher während
des Krieges begonnen. Nie sind die Tribunale käuflicher, nie die Vergebung
einträglicher Posten so sehr an Geldgeschenke geknüpft gewesen, wie nach dem
Kriege, die nothwendigsten Administrativanordnungen wurden durch Bestechung
umgestoßen*), andere nützliche Einrichtungen,**), weil sie eine Quelle der Be-




"> Z, B. das Verbot der Waffeneinfuhr in den Libanon. Ein einziges belgisches Haus
verzollte in einem Jahre für eine halbe Million Franken Musketen im Libanon. Der Gouver¬
neur Churschid Pascha sah nichts als die schönen Augen (im Arabischen heißt Auge auch
Goldstück) der Mauthpächter. Die Folgen konnten nicht ausbleiben.
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) Die Handelsgerichte verschiedner Städte, bei welchen von den Konsulaten designirte
angesehne europäische Kaufleute Sitz und Stimme hatten. Sie waren so unbestechlich, wie
dies überhaupt in der Levante möglich ist.*
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[0327] und Anständigkeit unausgesetzt großes Gewicht legte. Es mit diesen Eigen¬ schaften weit über den Schein hinaufzubringen, wurde kaum beabsichtigt; doch verwandelte sich derselbe nicht selten in Wirklichkeit, und bis in die fern¬ sten Provinzen machte sich das Streben bemerkbar, Männer an die Spitze der Verwaltung zu stellen, welche auffallende Acte der Bedrückung mieden, und von denen man hoffte, daß sie sich in ihrer Sphäre populär machen würden. Die Staatseinnahmen genügten auch damals den Ausgaben für das Heer stets absetzbarer und deshalb übermäßig hoch besoldeter Beamten, für die Hofhaltung mit ihrem halben Tausend von Kaiserinnen, nicht voll¬ ständig; aber noch gab es keine auswärtige Gläubiger, die auf ihr Recht trotzen konnten, noch hoffte man das Deficit durch günstige Handelsconjunc- turen, oder eventuell durch den Verkauf von Staatsgütern zu decken. Eine einzige Organisation, die des Militärs, gab zu hohen Erwartungen Anlaß, indem Unbestechlichkeit und Pflichttreue, Tugenden, welche der Orientale damals bei europäischen Beamten als zur Wesenheit gehörig betrachtete, dort wirklich Boden gefaßt hatten. Im Uebrigen genügte die Anerkennung des Guten, welche damals der Pforte beigeschrieben wurde, ihr in dem türkisch-russischen Streite die europäischen Sympathien zuzuwenden. Indem der Krieg die Finanzen völlig zerrüttete, wurde er die Ursache, daß alle diese Hoffnungskeime erstarben. Als der französische Kaiser sür seinen Schützling Frieden schloß, da mischte sich in die Siegesfreude dieses die trau¬ rige Gewißheit, daß kein unglücklicher Feldzug ihm soviel Schwächung und Demüthigung würde beigebracht haben, wie er durch seine mächtigen Alliirten erfahren. Mit dem Vertrauen auf die politische Sittlichkeit der Europäer war auch das auf die persönliche Ehrenhaftigkeit derselben geschwunden; die Fälle, wo die Tugend an der ersten Aussicht aus Straflosigkeit bei ungesetzlicher Be¬ reicherung scheiterte, waren zu häusig gewesen. Verzweiflung am Besserwer¬ den, die Ueberzeugung, daß der Zusammensturz des morschen Gebäudes un¬ möglich lange aufgehalten werden könne, und der durch keine Scham mehr gehemmte Wunsch der Machthaber per las et melas noch möglichst viel Geld zusammenzuraffen, dies alles potenzirte den Zersetzungsproceß, welcher während des Krieges begonnen. Nie sind die Tribunale käuflicher, nie die Vergebung einträglicher Posten so sehr an Geldgeschenke geknüpft gewesen, wie nach dem Kriege, die nothwendigsten Administrativanordnungen wurden durch Bestechung umgestoßen*), andere nützliche Einrichtungen,**), weil sie eine Quelle der Be- "> Z, B. das Verbot der Waffeneinfuhr in den Libanon. Ein einziges belgisches Haus verzollte in einem Jahre für eine halbe Million Franken Musketen im Libanon. Der Gouver¬ neur Churschid Pascha sah nichts als die schönen Augen (im Arabischen heißt Auge auch Goldstück) der Mauthpächter. Die Folgen konnten nicht ausbleiben. " ) Die Handelsgerichte verschiedner Städte, bei welchen von den Konsulaten designirte angesehne europäische Kaufleute Sitz und Stimme hatten. Sie waren so unbestechlich, wie dies überhaupt in der Levante möglich ist.* 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/327>, abgerufen am 25.07.2024.