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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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aller ergriffene außerstädtische Ansiedlung nur mit unverhältnißmäßigen Opfern
erkauft werden konnte. Lag dabei, wie wol schwerlich zu bezweifeln, der fer¬
nere Zweck vor, die christlichen Unterthanen des Sultans durch Entfaltung
kirchlichen Reichthums an dem gemeinsamen Mittelpunkte der östlichen Con-
fessionen wieder enger an sich zu ziehn, so erscheint derselbe in ungeahnter
Weise entrückt. Der Rajahgrieche hat eine große Verehrung für seine
Kirche, welche er im Jenseits als die unfehlbare Spenderin der Seligkeit und
im Diesseits als die Erhalterin seiner Nationalität betrachtet! zu der in Ru߬
land beliebten haarspaltenden Unterscheidung zwischen diesem hochherrlichen In¬
stitut und seinen oft so niederträchtigen Organen erhebt dieser Halbbarbar sich
selten. Daß man durch die Werke, durch Fasten und Almosen, selig werde,
davon ist er trotz aller paulinischen Briefe überzeugt; sein Handel und Wan¬
del, sein ganzer Lebenslauf ist eine Exemplification des Dogmas, daß die reich
beschenkte Kirche alle der Habsucht, der Sinnlichkeit u. s. w. entsprungenen
Vergehn auszulöschen' vermöge. Wenn er nun einen abenteuernden Civil¬
general jene Almosen zum Gegenstande der Speculation machen und also in
die Rechte der Kirche eingreifen, einen Bischof aber, der diese Rechte verthei¬
digt, lange Zeit der Intrigue erliegen sieht, da kann er sich gewisser Vergleiche
zwischen der Gegenwart und der Zukunft, wie sein Volk sie sich früher träumte,
nicht erwehren, bei welchen jene trotz ihrer Unbehaglichkeit dennoch im rosi¬
gem Lichte erscheint. Auch im Occident dürfte dies Symptom der neorussi¬
schen Zustände Manchem unerwartet sein, der sonst nach seinen Erfahrungen
in dem Bemühen hoher Beamten, stolzer Träger alter Adelsnamen, sich bei
einem in seinen Kosten schwer zu controlirenden Baue zu betheiligen, nichts
Außerordentliches findet. Im Orient aber hat es eine weitergreifende Bedeu¬
tung; die russischen Nachrichten aus Jerusalem werden von den Pilgern in
alle Winkel der türkischen Monarchie getragen, und wenn dem Erzähler dann
mit ähnlichen Geschichten von andern ievantinischen Plätzen wieder gedient
wird, da erscheint dem Morgenländer die unter widerstrebenden Einflüssen
hier nach dem Recht, dort nach dem Profit schielende Regierung nicht minder
schwach und charakterlos als die hohe Pforte, welche ja auch von je her noch
mehr an schlechten Beamten als an schlechten Gesetzen krankte.

Wird es Rußland nun gelingen, das, was es seit Jahrhunderten als
seine Mission in der Türkei betrachtete, zu Ende zu führen? Der Marasmus,
in welchen dieser Staat seit dem letzten Kriege gerathen, möchte wol zu ent¬
scheidenden Schritten einladen; es ist unverkennbar, daß, die humane Phra¬
sendrescherei der Pfortenbeamten ausgenommen, Alles seitdem schlechter ge¬
worden ist. Der vor dem Kriege Ton und Richtung der türkischen Negierung
bestimmende Liberalismus eines Raschid. eines Aali, eines Ruschdi und Ach-
med Mefik hatte mindestens das Gute, daß er aus den Ruf der Ehrlichkeit


aller ergriffene außerstädtische Ansiedlung nur mit unverhältnißmäßigen Opfern
erkauft werden konnte. Lag dabei, wie wol schwerlich zu bezweifeln, der fer¬
nere Zweck vor, die christlichen Unterthanen des Sultans durch Entfaltung
kirchlichen Reichthums an dem gemeinsamen Mittelpunkte der östlichen Con-
fessionen wieder enger an sich zu ziehn, so erscheint derselbe in ungeahnter
Weise entrückt. Der Rajahgrieche hat eine große Verehrung für seine
Kirche, welche er im Jenseits als die unfehlbare Spenderin der Seligkeit und
im Diesseits als die Erhalterin seiner Nationalität betrachtet! zu der in Ru߬
land beliebten haarspaltenden Unterscheidung zwischen diesem hochherrlichen In¬
stitut und seinen oft so niederträchtigen Organen erhebt dieser Halbbarbar sich
selten. Daß man durch die Werke, durch Fasten und Almosen, selig werde,
davon ist er trotz aller paulinischen Briefe überzeugt; sein Handel und Wan¬
del, sein ganzer Lebenslauf ist eine Exemplification des Dogmas, daß die reich
beschenkte Kirche alle der Habsucht, der Sinnlichkeit u. s. w. entsprungenen
Vergehn auszulöschen' vermöge. Wenn er nun einen abenteuernden Civil¬
general jene Almosen zum Gegenstande der Speculation machen und also in
die Rechte der Kirche eingreifen, einen Bischof aber, der diese Rechte verthei¬
digt, lange Zeit der Intrigue erliegen sieht, da kann er sich gewisser Vergleiche
zwischen der Gegenwart und der Zukunft, wie sein Volk sie sich früher träumte,
nicht erwehren, bei welchen jene trotz ihrer Unbehaglichkeit dennoch im rosi¬
gem Lichte erscheint. Auch im Occident dürfte dies Symptom der neorussi¬
schen Zustände Manchem unerwartet sein, der sonst nach seinen Erfahrungen
in dem Bemühen hoher Beamten, stolzer Träger alter Adelsnamen, sich bei
einem in seinen Kosten schwer zu controlirenden Baue zu betheiligen, nichts
Außerordentliches findet. Im Orient aber hat es eine weitergreifende Bedeu¬
tung; die russischen Nachrichten aus Jerusalem werden von den Pilgern in
alle Winkel der türkischen Monarchie getragen, und wenn dem Erzähler dann
mit ähnlichen Geschichten von andern ievantinischen Plätzen wieder gedient
wird, da erscheint dem Morgenländer die unter widerstrebenden Einflüssen
hier nach dem Recht, dort nach dem Profit schielende Regierung nicht minder
schwach und charakterlos als die hohe Pforte, welche ja auch von je her noch
mehr an schlechten Beamten als an schlechten Gesetzen krankte.

Wird es Rußland nun gelingen, das, was es seit Jahrhunderten als
seine Mission in der Türkei betrachtete, zu Ende zu führen? Der Marasmus,
in welchen dieser Staat seit dem letzten Kriege gerathen, möchte wol zu ent¬
scheidenden Schritten einladen; es ist unverkennbar, daß, die humane Phra¬
sendrescherei der Pfortenbeamten ausgenommen, Alles seitdem schlechter ge¬
worden ist. Der vor dem Kriege Ton und Richtung der türkischen Negierung
bestimmende Liberalismus eines Raschid. eines Aali, eines Ruschdi und Ach-
med Mefik hatte mindestens das Gute, daß er aus den Ruf der Ehrlichkeit


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[0326] aller ergriffene außerstädtische Ansiedlung nur mit unverhältnißmäßigen Opfern erkauft werden konnte. Lag dabei, wie wol schwerlich zu bezweifeln, der fer¬ nere Zweck vor, die christlichen Unterthanen des Sultans durch Entfaltung kirchlichen Reichthums an dem gemeinsamen Mittelpunkte der östlichen Con- fessionen wieder enger an sich zu ziehn, so erscheint derselbe in ungeahnter Weise entrückt. Der Rajahgrieche hat eine große Verehrung für seine Kirche, welche er im Jenseits als die unfehlbare Spenderin der Seligkeit und im Diesseits als die Erhalterin seiner Nationalität betrachtet! zu der in Ru߬ land beliebten haarspaltenden Unterscheidung zwischen diesem hochherrlichen In¬ stitut und seinen oft so niederträchtigen Organen erhebt dieser Halbbarbar sich selten. Daß man durch die Werke, durch Fasten und Almosen, selig werde, davon ist er trotz aller paulinischen Briefe überzeugt; sein Handel und Wan¬ del, sein ganzer Lebenslauf ist eine Exemplification des Dogmas, daß die reich beschenkte Kirche alle der Habsucht, der Sinnlichkeit u. s. w. entsprungenen Vergehn auszulöschen' vermöge. Wenn er nun einen abenteuernden Civil¬ general jene Almosen zum Gegenstande der Speculation machen und also in die Rechte der Kirche eingreifen, einen Bischof aber, der diese Rechte verthei¬ digt, lange Zeit der Intrigue erliegen sieht, da kann er sich gewisser Vergleiche zwischen der Gegenwart und der Zukunft, wie sein Volk sie sich früher träumte, nicht erwehren, bei welchen jene trotz ihrer Unbehaglichkeit dennoch im rosi¬ gem Lichte erscheint. Auch im Occident dürfte dies Symptom der neorussi¬ schen Zustände Manchem unerwartet sein, der sonst nach seinen Erfahrungen in dem Bemühen hoher Beamten, stolzer Träger alter Adelsnamen, sich bei einem in seinen Kosten schwer zu controlirenden Baue zu betheiligen, nichts Außerordentliches findet. Im Orient aber hat es eine weitergreifende Bedeu¬ tung; die russischen Nachrichten aus Jerusalem werden von den Pilgern in alle Winkel der türkischen Monarchie getragen, und wenn dem Erzähler dann mit ähnlichen Geschichten von andern ievantinischen Plätzen wieder gedient wird, da erscheint dem Morgenländer die unter widerstrebenden Einflüssen hier nach dem Recht, dort nach dem Profit schielende Regierung nicht minder schwach und charakterlos als die hohe Pforte, welche ja auch von je her noch mehr an schlechten Beamten als an schlechten Gesetzen krankte. Wird es Rußland nun gelingen, das, was es seit Jahrhunderten als seine Mission in der Türkei betrachtete, zu Ende zu führen? Der Marasmus, in welchen dieser Staat seit dem letzten Kriege gerathen, möchte wol zu ent¬ scheidenden Schritten einladen; es ist unverkennbar, daß, die humane Phra¬ sendrescherei der Pfortenbeamten ausgenommen, Alles seitdem schlechter ge¬ worden ist. Der vor dem Kriege Ton und Richtung der türkischen Negierung bestimmende Liberalismus eines Raschid. eines Aali, eines Ruschdi und Ach- med Mefik hatte mindestens das Gute, daß er aus den Ruf der Ehrlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/326>, abgerufen am 24.07.2024.