Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen, wo die Nützlichkeitstheorie mit ihrem neuen Verbündeten, dem krassen
Afterclassicismus, so gründlich mit allen weitergehenden Empfindungen aufge¬
räumt hatte. -- Glücklicherweise ist dem anders geworden; wie schon im
äußerlichen Gewände der bürgerlichen Architektur ein erfolgreiches Ringen
gegen den bureaukratisch-geregelten Baupolizei-Stil sich geltend machte, hat für
die Interessen der Malerei und Sculptur sich an den verschiedensten Orten ein un¬
gekünsteltes Interesse gestaltet, das für die Zukunft zu den erfreulichsten Hoffnungen
berechtigt. Denn leugnen können wir es nicht, so Mächtiges die Förderung
hochherziger Fürsten geschaffen, so frei die Kunst von dem Beifall der eigent¬
lichen Majorität sich zu halten hat, der Boden im Kerne des gebildeten Bür-
gerthums mit seiner immer mehr und mehr gesteigerten Empfänglichkeit für
die geistigen Interessen -- darf ihr nicht mehr fehlen, wenn sie den segens¬
reichen Beruf ihres erhebenden Wirkens im vollen Maße erfüllen soll.

Eines der erfreulichsten Beispiele für die Entwicklung städtischer Kunst¬
förderung bietet das Museum zu Leipzig, dessen Schätze in diesen Tagen um
einen so bedeutenden Beitrag vermehrt wurden, daß eine kurze Ueberschau
seines Wachsthums und seines Inhalts auch für unsere auswärtigen Leser von
einigem Interesse sein wird; werden sie doch alle, wenn nicht in eigener Be¬
schattung, doch in der Vignette der "Jllustrirten Zeitung" das schmucke Bau¬
werk betrachtet haben, das jetzt, aus der grünen Umhegung der Promenaden
emporgewachsen, die Südseite des "Augustusplatzcs" begrenzt. Faßt man
jetzt, entweder aus den hohen Häuserreihen der innern Stadt, oder aus den
geradlinig-einförmigen Massen des "Buchhändlerviertels" tretend, die glückliche
Lage ins Auge, welche dem Museum, im Anschluß an die reizenden Parkan¬
lagen des ehemaligen mittelalterlichen Stadtgrabens, und als Seitenstück der
den Platz umschließenden großen Gebäude gegeben ist, so begreift man schwer,
wie grade die Lage des Ortes zu einem erhitzten Streit der Gemüther Anlaß
geben konnte. Allerdings haben die umfassenden Umgestaltungen, die im Zu¬
sammenhang mit dem Museumsbau die Spuren der ehemaligen Befestigung
bis zu dem westlich gelegenen Petcrsthor verwischten, und dafür moderner Gar¬
tenkunst und neuen Bauanlagen Raum gewährten, ein Stückchen malerischen
Reizes vernichtet, der an dem alten Zwinger, den tief aus dem Graben heraus
blühenden Obstgärten und grünbewachsenen Steinmauern seine kleine An¬
ziehungskraft besaß; aber dem mustergiltigen Neuen gegenüber darf auch der
empfindsamste Freund des Alten sein Bedenken verstummen lassen. -- Glück¬
licherweise war es eben nur die Wahl des Platzes, die einen kleinen Mißklang
in das Zusammenwirken der bei Gründung des Museums sich vereinigenden
Kräfte fallen ließ, während die ganze Geschichte desselben das Beispiel eines
wahrhaft aufopfernden, städtischen Patriotismus und einer tiefen Kunstliebe
darbietet.


sehen, wo die Nützlichkeitstheorie mit ihrem neuen Verbündeten, dem krassen
Afterclassicismus, so gründlich mit allen weitergehenden Empfindungen aufge¬
räumt hatte. — Glücklicherweise ist dem anders geworden; wie schon im
äußerlichen Gewände der bürgerlichen Architektur ein erfolgreiches Ringen
gegen den bureaukratisch-geregelten Baupolizei-Stil sich geltend machte, hat für
die Interessen der Malerei und Sculptur sich an den verschiedensten Orten ein un¬
gekünsteltes Interesse gestaltet, das für die Zukunft zu den erfreulichsten Hoffnungen
berechtigt. Denn leugnen können wir es nicht, so Mächtiges die Förderung
hochherziger Fürsten geschaffen, so frei die Kunst von dem Beifall der eigent¬
lichen Majorität sich zu halten hat, der Boden im Kerne des gebildeten Bür-
gerthums mit seiner immer mehr und mehr gesteigerten Empfänglichkeit für
die geistigen Interessen — darf ihr nicht mehr fehlen, wenn sie den segens¬
reichen Beruf ihres erhebenden Wirkens im vollen Maße erfüllen soll.

Eines der erfreulichsten Beispiele für die Entwicklung städtischer Kunst¬
förderung bietet das Museum zu Leipzig, dessen Schätze in diesen Tagen um
einen so bedeutenden Beitrag vermehrt wurden, daß eine kurze Ueberschau
seines Wachsthums und seines Inhalts auch für unsere auswärtigen Leser von
einigem Interesse sein wird; werden sie doch alle, wenn nicht in eigener Be¬
schattung, doch in der Vignette der „Jllustrirten Zeitung" das schmucke Bau¬
werk betrachtet haben, das jetzt, aus der grünen Umhegung der Promenaden
emporgewachsen, die Südseite des „Augustusplatzcs" begrenzt. Faßt man
jetzt, entweder aus den hohen Häuserreihen der innern Stadt, oder aus den
geradlinig-einförmigen Massen des „Buchhändlerviertels" tretend, die glückliche
Lage ins Auge, welche dem Museum, im Anschluß an die reizenden Parkan¬
lagen des ehemaligen mittelalterlichen Stadtgrabens, und als Seitenstück der
den Platz umschließenden großen Gebäude gegeben ist, so begreift man schwer,
wie grade die Lage des Ortes zu einem erhitzten Streit der Gemüther Anlaß
geben konnte. Allerdings haben die umfassenden Umgestaltungen, die im Zu¬
sammenhang mit dem Museumsbau die Spuren der ehemaligen Befestigung
bis zu dem westlich gelegenen Petcrsthor verwischten, und dafür moderner Gar¬
tenkunst und neuen Bauanlagen Raum gewährten, ein Stückchen malerischen
Reizes vernichtet, der an dem alten Zwinger, den tief aus dem Graben heraus
blühenden Obstgärten und grünbewachsenen Steinmauern seine kleine An¬
ziehungskraft besaß; aber dem mustergiltigen Neuen gegenüber darf auch der
empfindsamste Freund des Alten sein Bedenken verstummen lassen. — Glück¬
licherweise war es eben nur die Wahl des Platzes, die einen kleinen Mißklang
in das Zusammenwirken der bei Gründung des Museums sich vereinigenden
Kräfte fallen ließ, während die ganze Geschichte desselben das Beispiel eines
wahrhaft aufopfernden, städtischen Patriotismus und einer tiefen Kunstliebe
darbietet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110088"/>
          <p xml:id="ID_820" prev="#ID_819"> sehen, wo die Nützlichkeitstheorie mit ihrem neuen Verbündeten, dem krassen<lb/>
Afterclassicismus, so gründlich mit allen weitergehenden Empfindungen aufge¬<lb/>
räumt hatte. &#x2014; Glücklicherweise ist dem anders geworden; wie schon im<lb/>
äußerlichen Gewände der bürgerlichen Architektur ein erfolgreiches Ringen<lb/>
gegen den bureaukratisch-geregelten Baupolizei-Stil sich geltend machte, hat für<lb/>
die Interessen der Malerei und Sculptur sich an den verschiedensten Orten ein un¬<lb/>
gekünsteltes Interesse gestaltet, das für die Zukunft zu den erfreulichsten Hoffnungen<lb/>
berechtigt. Denn leugnen können wir es nicht, so Mächtiges die Förderung<lb/>
hochherziger Fürsten geschaffen, so frei die Kunst von dem Beifall der eigent¬<lb/>
lichen Majorität sich zu halten hat, der Boden im Kerne des gebildeten Bür-<lb/>
gerthums mit seiner immer mehr und mehr gesteigerten Empfänglichkeit für<lb/>
die geistigen Interessen &#x2014; darf ihr nicht mehr fehlen, wenn sie den segens¬<lb/>
reichen Beruf ihres erhebenden Wirkens im vollen Maße erfüllen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821"> Eines der erfreulichsten Beispiele für die Entwicklung städtischer Kunst¬<lb/>
förderung bietet das Museum zu Leipzig, dessen Schätze in diesen Tagen um<lb/>
einen so bedeutenden Beitrag vermehrt wurden, daß eine kurze Ueberschau<lb/>
seines Wachsthums und seines Inhalts auch für unsere auswärtigen Leser von<lb/>
einigem Interesse sein wird; werden sie doch alle, wenn nicht in eigener Be¬<lb/>
schattung, doch in der Vignette der &#x201E;Jllustrirten Zeitung" das schmucke Bau¬<lb/>
werk betrachtet haben, das jetzt, aus der grünen Umhegung der Promenaden<lb/>
emporgewachsen, die Südseite des &#x201E;Augustusplatzcs" begrenzt. Faßt man<lb/>
jetzt, entweder aus den hohen Häuserreihen der innern Stadt, oder aus den<lb/>
geradlinig-einförmigen Massen des &#x201E;Buchhändlerviertels" tretend, die glückliche<lb/>
Lage ins Auge, welche dem Museum, im Anschluß an die reizenden Parkan¬<lb/>
lagen des ehemaligen mittelalterlichen Stadtgrabens, und als Seitenstück der<lb/>
den Platz umschließenden großen Gebäude gegeben ist, so begreift man schwer,<lb/>
wie grade die Lage des Ortes zu einem erhitzten Streit der Gemüther Anlaß<lb/>
geben konnte. Allerdings haben die umfassenden Umgestaltungen, die im Zu¬<lb/>
sammenhang mit dem Museumsbau die Spuren der ehemaligen Befestigung<lb/>
bis zu dem westlich gelegenen Petcrsthor verwischten, und dafür moderner Gar¬<lb/>
tenkunst und neuen Bauanlagen Raum gewährten, ein Stückchen malerischen<lb/>
Reizes vernichtet, der an dem alten Zwinger, den tief aus dem Graben heraus<lb/>
blühenden Obstgärten und grünbewachsenen Steinmauern seine kleine An¬<lb/>
ziehungskraft besaß; aber dem mustergiltigen Neuen gegenüber darf auch der<lb/>
empfindsamste Freund des Alten sein Bedenken verstummen lassen. &#x2014; Glück¬<lb/>
licherweise war es eben nur die Wahl des Platzes, die einen kleinen Mißklang<lb/>
in das Zusammenwirken der bei Gründung des Museums sich vereinigenden<lb/>
Kräfte fallen ließ, während die ganze Geschichte desselben das Beispiel eines<lb/>
wahrhaft aufopfernden, städtischen Patriotismus und einer tiefen Kunstliebe<lb/>
darbietet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] sehen, wo die Nützlichkeitstheorie mit ihrem neuen Verbündeten, dem krassen Afterclassicismus, so gründlich mit allen weitergehenden Empfindungen aufge¬ räumt hatte. — Glücklicherweise ist dem anders geworden; wie schon im äußerlichen Gewände der bürgerlichen Architektur ein erfolgreiches Ringen gegen den bureaukratisch-geregelten Baupolizei-Stil sich geltend machte, hat für die Interessen der Malerei und Sculptur sich an den verschiedensten Orten ein un¬ gekünsteltes Interesse gestaltet, das für die Zukunft zu den erfreulichsten Hoffnungen berechtigt. Denn leugnen können wir es nicht, so Mächtiges die Förderung hochherziger Fürsten geschaffen, so frei die Kunst von dem Beifall der eigent¬ lichen Majorität sich zu halten hat, der Boden im Kerne des gebildeten Bür- gerthums mit seiner immer mehr und mehr gesteigerten Empfänglichkeit für die geistigen Interessen — darf ihr nicht mehr fehlen, wenn sie den segens¬ reichen Beruf ihres erhebenden Wirkens im vollen Maße erfüllen soll. Eines der erfreulichsten Beispiele für die Entwicklung städtischer Kunst¬ förderung bietet das Museum zu Leipzig, dessen Schätze in diesen Tagen um einen so bedeutenden Beitrag vermehrt wurden, daß eine kurze Ueberschau seines Wachsthums und seines Inhalts auch für unsere auswärtigen Leser von einigem Interesse sein wird; werden sie doch alle, wenn nicht in eigener Be¬ schattung, doch in der Vignette der „Jllustrirten Zeitung" das schmucke Bau¬ werk betrachtet haben, das jetzt, aus der grünen Umhegung der Promenaden emporgewachsen, die Südseite des „Augustusplatzcs" begrenzt. Faßt man jetzt, entweder aus den hohen Häuserreihen der innern Stadt, oder aus den geradlinig-einförmigen Massen des „Buchhändlerviertels" tretend, die glückliche Lage ins Auge, welche dem Museum, im Anschluß an die reizenden Parkan¬ lagen des ehemaligen mittelalterlichen Stadtgrabens, und als Seitenstück der den Platz umschließenden großen Gebäude gegeben ist, so begreift man schwer, wie grade die Lage des Ortes zu einem erhitzten Streit der Gemüther Anlaß geben konnte. Allerdings haben die umfassenden Umgestaltungen, die im Zu¬ sammenhang mit dem Museumsbau die Spuren der ehemaligen Befestigung bis zu dem westlich gelegenen Petcrsthor verwischten, und dafür moderner Gar¬ tenkunst und neuen Bauanlagen Raum gewährten, ein Stückchen malerischen Reizes vernichtet, der an dem alten Zwinger, den tief aus dem Graben heraus blühenden Obstgärten und grünbewachsenen Steinmauern seine kleine An¬ ziehungskraft besaß; aber dem mustergiltigen Neuen gegenüber darf auch der empfindsamste Freund des Alten sein Bedenken verstummen lassen. — Glück¬ licherweise war es eben nur die Wahl des Platzes, die einen kleinen Mißklang in das Zusammenwirken der bei Gründung des Museums sich vereinigenden Kräfte fallen ließ, während die ganze Geschichte desselben das Beispiel eines wahrhaft aufopfernden, städtischen Patriotismus und einer tiefen Kunstliebe darbietet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/282>, abgerufen am 24.07.2024.