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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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"Ob ich gleich, wenn ich es mit Menschen zu thun hätte, auch von Tu¬
genden und guten Werken etwas sprechen und eine Belohnung deswegen er¬
warten könnte, so wäre mir doch ganz unbegreiflich, daß ein Mensch auf den
thörichten Einfall gerathen könne, damit vor Gott zu bestehn, oder wol gar
noch eine ewige Seligkeit deswegen zu hoffen, wenn ich nicht wüßte, daß sol¬
ches blos daher rühre, weil solche Personen weder Gott noch die Sünde noch
ihres Herzens unergründliches Verderben kennen. Das hindert aber nicht nur
nicht im geringsten, daß ich nicht so vergnügt als irgend ein Mensch in der
Welt leben kann, meine Tage zubrächte; sondern es ist eben das Mittel, ver¬
gnügt leben zu können, wenn ich meine Gerechtigkeit nicht in mir selbst suchen
darf, sondern in der mir durch den Glauben zugeeigneten Heiligkeit Jesu, in
welchem ich mich als einen Heiligen ansehn darf. . . . Eine Reinigung der
Seelen nach dem Tode halte ich weder für nöthig noch möglich: de.um bei der
Gemeinschaft mit Jesu bedarf ich sie nicht, und außer derselben hülfe sie nichts.
Die Ewigkeit der Höllenstrafen halte ich der Liebe Gottes und seiner Gerech¬
tigkeit nach durchaus nicht sür unanständig, und umsoweniger ungerecht, da
ich nicht vermuthen kann, daß die Verdammten in der Hölle werden besser
werden und zu sündigen aufhören, sondern daß sie die alten Sünden mit
neuen häufen.

.. An Spectakeln, Lustbarkeiten, Spielen, Tanzen, wilden Musiken u. s. w.
habe ich so gar keine Freude, daß, wenn ich auch glaubte, ich für mich könnte
ohne Sünde dabei sein, so würde ich doch fern bleiben; ob es aber überhaupt
Sünde sei? darauf lasse ich mich gar nicht ein. Man bekehre sich nur von
ganzem Herzen; was einem sodann der heilige Geist und sein Gewissen erlauben,
das kann und will ich ihm nicht zur Sünde machen.

..Ich kann ebenso denken, wie ein Voltaire u. s. w., und was ich
von Gründen oder Spöttereien gegen die Bibel und christliche Religion
lese oder höre, ist mir nichts neues; denn ebenso habe ich längst selbst gedacht.
Ich kann auf alle Einwürfe ebensowenig hinreichend antworten, als einer, der
einen Gott glaubt, alle Einwürfe der Atheisten auflösen wird, oder als man
einem Zweifler M tausend Sachen, die man gewiß weiß, glaubt und selber
erfährt, auf alle Widersprüche so begegnen kann, daß nicht etwas übrig bliebe,
so man an seinen Ort gestellt lassen muß. . . Ich kann denken wie ein Natu¬
ralist, und also beides unparteiisch gegen einander abwägen: hingegen ist die
unmöglichste Unmöglichkeit, daß ein Unbekchrtcr mit Ueberzeugung und einem
lebendigen Gefühl des Herzens denken könne wie ein Bekehrter. Seitdem
das Herz den Kopf gelehrt, hat dieser sich ganz umgekehrt auch in den Grund¬
ideen."

. . Es ist also nichts als einer innerlichen und gründlichen Ueberzeugung
meines Verstandes und dem durch denselben gelenkten freien Willen znzuschrci-


„Ob ich gleich, wenn ich es mit Menschen zu thun hätte, auch von Tu¬
genden und guten Werken etwas sprechen und eine Belohnung deswegen er¬
warten könnte, so wäre mir doch ganz unbegreiflich, daß ein Mensch auf den
thörichten Einfall gerathen könne, damit vor Gott zu bestehn, oder wol gar
noch eine ewige Seligkeit deswegen zu hoffen, wenn ich nicht wüßte, daß sol¬
ches blos daher rühre, weil solche Personen weder Gott noch die Sünde noch
ihres Herzens unergründliches Verderben kennen. Das hindert aber nicht nur
nicht im geringsten, daß ich nicht so vergnügt als irgend ein Mensch in der
Welt leben kann, meine Tage zubrächte; sondern es ist eben das Mittel, ver¬
gnügt leben zu können, wenn ich meine Gerechtigkeit nicht in mir selbst suchen
darf, sondern in der mir durch den Glauben zugeeigneten Heiligkeit Jesu, in
welchem ich mich als einen Heiligen ansehn darf. . . . Eine Reinigung der
Seelen nach dem Tode halte ich weder für nöthig noch möglich: de.um bei der
Gemeinschaft mit Jesu bedarf ich sie nicht, und außer derselben hülfe sie nichts.
Die Ewigkeit der Höllenstrafen halte ich der Liebe Gottes und seiner Gerech¬
tigkeit nach durchaus nicht sür unanständig, und umsoweniger ungerecht, da
ich nicht vermuthen kann, daß die Verdammten in der Hölle werden besser
werden und zu sündigen aufhören, sondern daß sie die alten Sünden mit
neuen häufen.

.. An Spectakeln, Lustbarkeiten, Spielen, Tanzen, wilden Musiken u. s. w.
habe ich so gar keine Freude, daß, wenn ich auch glaubte, ich für mich könnte
ohne Sünde dabei sein, so würde ich doch fern bleiben; ob es aber überhaupt
Sünde sei? darauf lasse ich mich gar nicht ein. Man bekehre sich nur von
ganzem Herzen; was einem sodann der heilige Geist und sein Gewissen erlauben,
das kann und will ich ihm nicht zur Sünde machen.

..Ich kann ebenso denken, wie ein Voltaire u. s. w., und was ich
von Gründen oder Spöttereien gegen die Bibel und christliche Religion
lese oder höre, ist mir nichts neues; denn ebenso habe ich längst selbst gedacht.
Ich kann auf alle Einwürfe ebensowenig hinreichend antworten, als einer, der
einen Gott glaubt, alle Einwürfe der Atheisten auflösen wird, oder als man
einem Zweifler M tausend Sachen, die man gewiß weiß, glaubt und selber
erfährt, auf alle Widersprüche so begegnen kann, daß nicht etwas übrig bliebe,
so man an seinen Ort gestellt lassen muß. . . Ich kann denken wie ein Natu¬
ralist, und also beides unparteiisch gegen einander abwägen: hingegen ist die
unmöglichste Unmöglichkeit, daß ein Unbekchrtcr mit Ueberzeugung und einem
lebendigen Gefühl des Herzens denken könne wie ein Bekehrter. Seitdem
das Herz den Kopf gelehrt, hat dieser sich ganz umgekehrt auch in den Grund¬
ideen."

. . Es ist also nichts als einer innerlichen und gründlichen Ueberzeugung
meines Verstandes und dem durch denselben gelenkten freien Willen znzuschrci-


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[0201] „Ob ich gleich, wenn ich es mit Menschen zu thun hätte, auch von Tu¬ genden und guten Werken etwas sprechen und eine Belohnung deswegen er¬ warten könnte, so wäre mir doch ganz unbegreiflich, daß ein Mensch auf den thörichten Einfall gerathen könne, damit vor Gott zu bestehn, oder wol gar noch eine ewige Seligkeit deswegen zu hoffen, wenn ich nicht wüßte, daß sol¬ ches blos daher rühre, weil solche Personen weder Gott noch die Sünde noch ihres Herzens unergründliches Verderben kennen. Das hindert aber nicht nur nicht im geringsten, daß ich nicht so vergnügt als irgend ein Mensch in der Welt leben kann, meine Tage zubrächte; sondern es ist eben das Mittel, ver¬ gnügt leben zu können, wenn ich meine Gerechtigkeit nicht in mir selbst suchen darf, sondern in der mir durch den Glauben zugeeigneten Heiligkeit Jesu, in welchem ich mich als einen Heiligen ansehn darf. . . . Eine Reinigung der Seelen nach dem Tode halte ich weder für nöthig noch möglich: de.um bei der Gemeinschaft mit Jesu bedarf ich sie nicht, und außer derselben hülfe sie nichts. Die Ewigkeit der Höllenstrafen halte ich der Liebe Gottes und seiner Gerech¬ tigkeit nach durchaus nicht sür unanständig, und umsoweniger ungerecht, da ich nicht vermuthen kann, daß die Verdammten in der Hölle werden besser werden und zu sündigen aufhören, sondern daß sie die alten Sünden mit neuen häufen. .. An Spectakeln, Lustbarkeiten, Spielen, Tanzen, wilden Musiken u. s. w. habe ich so gar keine Freude, daß, wenn ich auch glaubte, ich für mich könnte ohne Sünde dabei sein, so würde ich doch fern bleiben; ob es aber überhaupt Sünde sei? darauf lasse ich mich gar nicht ein. Man bekehre sich nur von ganzem Herzen; was einem sodann der heilige Geist und sein Gewissen erlauben, das kann und will ich ihm nicht zur Sünde machen. ..Ich kann ebenso denken, wie ein Voltaire u. s. w., und was ich von Gründen oder Spöttereien gegen die Bibel und christliche Religion lese oder höre, ist mir nichts neues; denn ebenso habe ich längst selbst gedacht. Ich kann auf alle Einwürfe ebensowenig hinreichend antworten, als einer, der einen Gott glaubt, alle Einwürfe der Atheisten auflösen wird, oder als man einem Zweifler M tausend Sachen, die man gewiß weiß, glaubt und selber erfährt, auf alle Widersprüche so begegnen kann, daß nicht etwas übrig bliebe, so man an seinen Ort gestellt lassen muß. . . Ich kann denken wie ein Natu¬ ralist, und also beides unparteiisch gegen einander abwägen: hingegen ist die unmöglichste Unmöglichkeit, daß ein Unbekchrtcr mit Ueberzeugung und einem lebendigen Gefühl des Herzens denken könne wie ein Bekehrter. Seitdem das Herz den Kopf gelehrt, hat dieser sich ganz umgekehrt auch in den Grund¬ ideen." . . Es ist also nichts als einer innerlichen und gründlichen Ueberzeugung meines Verstandes und dem durch denselben gelenkten freien Willen znzuschrci-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/201>, abgerufen am 24.07.2024.