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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ganz contemplative Färbung angenommen; wenn der cholerische Moser den¬
selben Ton anzustimmen sucht, klingt es gemacht.

Auch nach seiner Entlassung gelang es ihm nicht, Frieden zu finden.
Sein ältester.Sohn erhielt 6. März 1765 vom kaiserlichen Hos (Fürst Colloredo),
die ernste Ermahnung, der Vater möge sich jetzt stille halten. Eine neue Ge¬
fahr bedrohte ihn von Würtemberg wegen seiner Schrift "vom Soldatenhalten;"
er entfloh August 1765 zu seiner Tochter nach Karlsruhe, erhielt zwar März
1766 die Erlaubniß zur Rückkehr, wurde aber als Consulent nicht mehr ge¬
braucht. Doch erfreute ihn 30. Jan. 1769 ein gnädiges Handschreiben des
Herzogs, der ihn so lange verfolgt; es fand eine persönliche Zusammen¬
kunft statt, in welcher der Herzog ihm erklärte, er sei ein ehrlicher Mann, was
den alten Moser doch sehr freute. Auf eine ungnädige Erklärung des kaiser¬
lichen Hoff, weil Moser in seinem Neichsstaatshandbuch das Corpus Evan-
gelicum zum Widerstand ermahnt, und, was das Schlimmste war, gegen
Preußen sich viel rücksichtsvoller ausgesprochen als gegen Oestreich, versprach
Moser 10. März 1769, alles Anstößige zu streichen. Den 10. Juli 1770 er¬
hielt er die definitive Entlassung von seiner Stelle, mit Beibehaltung einer
jährlichen Pension von 1500 Gulden. Als der kaiserliche Hof 1775 gegen Moser,
weil er die Reichshofrathsgutachtcn in der Jcsuitenangelcgenheit veröffent¬
licht, eine Untersuchung verlangte, und als ihn das Kammergericht 9. April 1777
mit einem fiscalischen Proceß bedrohte, schichte ihn beidemal der Herzog.

Am Schluß seines Lebens sand der sechsundsicbzigjährige Greis noch Muße,
ein neues wissenschaftliches Werk zu beginnen, das Völkerrecht, und er begann und
vollführte es mit der Kraft und Ausdauer eines Jünglings. -- Das Völkerrecht war
hauptsächlich durch Wolfs rein philosophisch ausgebildet, so daß die unter den
europäischen Staaten in der Wirklichkett bestehenden Uebereinkünfte und Ge¬
wohnheiten höchstens als gelegentliche Belegstellen für die rechtsphilosophischen
Sätze benutzt waren. Schon als junger Mann fand Moser diese einseitige
Ausfassung unbefriedigend, Er fand, daß das, was die Staaten als Rechts¬
normen unter sich beschlossen hätten und wonach also die gesittete Welt in der
That regiert werde, doch mindestens dieselbe Bedeutung habe, als was in dem
Kopf der Theoretiker entstanden sei. Seine große Velescnheit in den Staats¬
schriften zeigte ihm. daß solche positive Verabredungen und Gewohnheiten nicht
etwa in einzelnen und zerstreuten Bruchstücken bestehn, sondern daß sie den
gesammten rechtlichen Völkerverkehr umfassen und fast jede einzelne Frage be¬
rücksichtigen. Diesen Plan eines Systems des positiven Völkerrechts im Gegen¬
satz zum "natürlichen" führte er 1772--1780 durch.

Moser starb 30. September 1785. Zwei Jahre vor seinem Tode zeich¬
nete er noch die Resultate seines religiösen Denkens und Empfindens auf. Ein
Auszug aus denselben möge diese Skizze beschließen.


ganz contemplative Färbung angenommen; wenn der cholerische Moser den¬
selben Ton anzustimmen sucht, klingt es gemacht.

Auch nach seiner Entlassung gelang es ihm nicht, Frieden zu finden.
Sein ältester.Sohn erhielt 6. März 1765 vom kaiserlichen Hos (Fürst Colloredo),
die ernste Ermahnung, der Vater möge sich jetzt stille halten. Eine neue Ge¬
fahr bedrohte ihn von Würtemberg wegen seiner Schrift „vom Soldatenhalten;"
er entfloh August 1765 zu seiner Tochter nach Karlsruhe, erhielt zwar März
1766 die Erlaubniß zur Rückkehr, wurde aber als Consulent nicht mehr ge¬
braucht. Doch erfreute ihn 30. Jan. 1769 ein gnädiges Handschreiben des
Herzogs, der ihn so lange verfolgt; es fand eine persönliche Zusammen¬
kunft statt, in welcher der Herzog ihm erklärte, er sei ein ehrlicher Mann, was
den alten Moser doch sehr freute. Auf eine ungnädige Erklärung des kaiser¬
lichen Hoff, weil Moser in seinem Neichsstaatshandbuch das Corpus Evan-
gelicum zum Widerstand ermahnt, und, was das Schlimmste war, gegen
Preußen sich viel rücksichtsvoller ausgesprochen als gegen Oestreich, versprach
Moser 10. März 1769, alles Anstößige zu streichen. Den 10. Juli 1770 er¬
hielt er die definitive Entlassung von seiner Stelle, mit Beibehaltung einer
jährlichen Pension von 1500 Gulden. Als der kaiserliche Hof 1775 gegen Moser,
weil er die Reichshofrathsgutachtcn in der Jcsuitenangelcgenheit veröffent¬
licht, eine Untersuchung verlangte, und als ihn das Kammergericht 9. April 1777
mit einem fiscalischen Proceß bedrohte, schichte ihn beidemal der Herzog.

Am Schluß seines Lebens sand der sechsundsicbzigjährige Greis noch Muße,
ein neues wissenschaftliches Werk zu beginnen, das Völkerrecht, und er begann und
vollführte es mit der Kraft und Ausdauer eines Jünglings. — Das Völkerrecht war
hauptsächlich durch Wolfs rein philosophisch ausgebildet, so daß die unter den
europäischen Staaten in der Wirklichkett bestehenden Uebereinkünfte und Ge¬
wohnheiten höchstens als gelegentliche Belegstellen für die rechtsphilosophischen
Sätze benutzt waren. Schon als junger Mann fand Moser diese einseitige
Ausfassung unbefriedigend, Er fand, daß das, was die Staaten als Rechts¬
normen unter sich beschlossen hätten und wonach also die gesittete Welt in der
That regiert werde, doch mindestens dieselbe Bedeutung habe, als was in dem
Kopf der Theoretiker entstanden sei. Seine große Velescnheit in den Staats¬
schriften zeigte ihm. daß solche positive Verabredungen und Gewohnheiten nicht
etwa in einzelnen und zerstreuten Bruchstücken bestehn, sondern daß sie den
gesammten rechtlichen Völkerverkehr umfassen und fast jede einzelne Frage be¬
rücksichtigen. Diesen Plan eines Systems des positiven Völkerrechts im Gegen¬
satz zum „natürlichen" führte er 1772—1780 durch.

Moser starb 30. September 1785. Zwei Jahre vor seinem Tode zeich¬
nete er noch die Resultate seines religiösen Denkens und Empfindens auf. Ein
Auszug aus denselben möge diese Skizze beschließen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/200>, abgerufen am 24.07.2024.