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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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den, daß ich mich zu der alten evangelischen (Luther- Amt- Spener- Fränkischen)
!)ieiigion bekenne, hingegen keine Freudigkeit hätte, zur reformirten zu treten:
und zur katholischen überzugehn, wäre mir, so lange ich die h, Schrift Neuen
Testaments für Gottes Wort halte, die unmöglichste Unmöglichkeit. Dabei
glaube ich, daß der Unterschied zwischen Lutheranern und Reformirten, welche
die Gnade Gottes in Christo uneingeschränkt glauben. blos auf exegetischen
Wahrheiten beruhe; und ich kann mit wahrhaftig bekehrten Reformirten ohne
Anstand brüderlich umgehn.

... Ich sehe meine Religion nicht blos darin, daß ich gewisse Lehrsätze
für wahr halte und nach selbigen lebe, sondern daß ich wieder mit Gott ver¬
einigt werde und also selig sei, und zwar allein durch Jesum, Hierzu ge¬
hört: 1) eine tiefe, bis ans Ende des Lebens wachsende Erkenntniß und
lebhaftes .Gefühl des unergründlichen Verderbens des menschlichen Herzens
und des unseligen Zustandes in Zeit und Ewigkeit eines natürlichen Menschen;
2) eine lebendige Erkenntniß der unaussprechlichen Langmuth Gottes in
Christo; 3) eine gänzliche Aenderung des ganzen angebornen natürlichen
Zinns; 4) eine, wenn dies vorhergegangen ist, durch den heiligen Geist ge¬
wirkte wirkliche Ergreifung der statt des verdienten Fluchs uns ohne alles
Verdienst und Würdigkeit angebotnen Gnade Gottes durch den Glauben um
Jesum und die durch sein Blut gestiftete vollkommene Versöhnung und Be¬
freiung von der Herrschaft der Sünde und des Satans; 5) ein daraus flie¬
ßender Genuß des Friedens Gottes in Jesu und ein bleibendes Zeugniß
des heiligen Geistes, daß mir, so lange ich in der Gnade stehn bleibe, alle
meine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden um des Blutes
Jesu willen vergeben seien; 6) ein dem Vorbild Jesu gemäßer Wandel, wozu
die Kraft und Willigkeit allein durch den Glauben an ihn hergeleitet wird;
7) daß ich auf solche Weise einen freudigen und kindlichen Zugang zu dem
Herzen Gottes durch Jesum und einen Umgang mit ihm haben kann, mich
dessen auch wirklich bediene; S) daß ich die zu dem Eingang in das Reich
Gottes unentbehrliche Vollkommenheit in Jesu bereits habe; 9) mithin alle
Augenblick, so lange ich in der Gemeinschaft mit Jesu stehe, ohne alle wei¬
tere Zubereitung oder Reinigung der Seele nach dem Tod, bereit und würdig
bin, in eine selige Ewigkeit überzugehn; sonach auch 10) dem jüngsten Gericht
mit größter Begierde und Freudigkeit entgegensehn kann, als dem Ziel aller
meiner Hoffnung und dein Anfang einer unendlichen unaussprechlichen Selig¬
keit in dem nähern Genuß Gottes in Jesu, Jesus ist und bleibt der Mittel¬
punkt zwischen Gott und mir, er ist mein alles in allem, außer ihm habe
und will ich keinen Gott, viel weniger einen gnädigen Gott, am allerwenigsten
aber einen Vater. -- Wie nun dies lauter Dinge sind, welche die Vernunft
nicht lehren kann, oder auch derselbigen thöricht sind, so geschieht es mir gar


den, daß ich mich zu der alten evangelischen (Luther- Amt- Spener- Fränkischen)
!)ieiigion bekenne, hingegen keine Freudigkeit hätte, zur reformirten zu treten:
und zur katholischen überzugehn, wäre mir, so lange ich die h, Schrift Neuen
Testaments für Gottes Wort halte, die unmöglichste Unmöglichkeit. Dabei
glaube ich, daß der Unterschied zwischen Lutheranern und Reformirten, welche
die Gnade Gottes in Christo uneingeschränkt glauben. blos auf exegetischen
Wahrheiten beruhe; und ich kann mit wahrhaftig bekehrten Reformirten ohne
Anstand brüderlich umgehn.

... Ich sehe meine Religion nicht blos darin, daß ich gewisse Lehrsätze
für wahr halte und nach selbigen lebe, sondern daß ich wieder mit Gott ver¬
einigt werde und also selig sei, und zwar allein durch Jesum, Hierzu ge¬
hört: 1) eine tiefe, bis ans Ende des Lebens wachsende Erkenntniß und
lebhaftes .Gefühl des unergründlichen Verderbens des menschlichen Herzens
und des unseligen Zustandes in Zeit und Ewigkeit eines natürlichen Menschen;
2) eine lebendige Erkenntniß der unaussprechlichen Langmuth Gottes in
Christo; 3) eine gänzliche Aenderung des ganzen angebornen natürlichen
Zinns; 4) eine, wenn dies vorhergegangen ist, durch den heiligen Geist ge¬
wirkte wirkliche Ergreifung der statt des verdienten Fluchs uns ohne alles
Verdienst und Würdigkeit angebotnen Gnade Gottes durch den Glauben um
Jesum und die durch sein Blut gestiftete vollkommene Versöhnung und Be¬
freiung von der Herrschaft der Sünde und des Satans; 5) ein daraus flie¬
ßender Genuß des Friedens Gottes in Jesu und ein bleibendes Zeugniß
des heiligen Geistes, daß mir, so lange ich in der Gnade stehn bleibe, alle
meine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden um des Blutes
Jesu willen vergeben seien; 6) ein dem Vorbild Jesu gemäßer Wandel, wozu
die Kraft und Willigkeit allein durch den Glauben an ihn hergeleitet wird;
7) daß ich auf solche Weise einen freudigen und kindlichen Zugang zu dem
Herzen Gottes durch Jesum und einen Umgang mit ihm haben kann, mich
dessen auch wirklich bediene; S) daß ich die zu dem Eingang in das Reich
Gottes unentbehrliche Vollkommenheit in Jesu bereits habe; 9) mithin alle
Augenblick, so lange ich in der Gemeinschaft mit Jesu stehe, ohne alle wei¬
tere Zubereitung oder Reinigung der Seele nach dem Tod, bereit und würdig
bin, in eine selige Ewigkeit überzugehn; sonach auch 10) dem jüngsten Gericht
mit größter Begierde und Freudigkeit entgegensehn kann, als dem Ziel aller
meiner Hoffnung und dein Anfang einer unendlichen unaussprechlichen Selig¬
keit in dem nähern Genuß Gottes in Jesu, Jesus ist und bleibt der Mittel¬
punkt zwischen Gott und mir, er ist mein alles in allem, außer ihm habe
und will ich keinen Gott, viel weniger einen gnädigen Gott, am allerwenigsten
aber einen Vater. — Wie nun dies lauter Dinge sind, welche die Vernunft
nicht lehren kann, oder auch derselbigen thöricht sind, so geschieht es mir gar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/202>, abgerufen am 24.07.2024.