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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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von der Landschaft unbedingten Gehorsam. Bald stand Moser an der Spitze
der Opposition. Vom Hos erfolgte Drohung ans Drohung; und als Moser
eine Geldverwilligung hintertrieb, und dem Minister erklärte, er wolle lieber
seinen grauen Kopf verlieren, als Unrecht thun, ließ ihn der Herzog 12, Juli 1759
ohne weiteres auf den Hohcntwiel bringen, wo er ohne Untersuchung und Urtheil,
sechs Jahre in schwerer einsamer Haft blieb! Es war ein Act der Tyrannei, der
selbst damals Aussehn erregte. Der kaiserliche Hof ließ ihn im Stich, weil
er sich früher der evangelischen stände angenommen. Erst nach dem Frieden
konnte etwas für ihn geschehn; auf heftiges Andringen seines Sohns erließ
(Dec. 1763) das preußische Cabinet im Verein mit Dänemark (Moser hatte
durch Bernstorf 27. April 1759 den Titel eines dänischen Etntsrath erhalten)
eine ernste Mahnung an den Herzog; als auch diese nichts fruchtete, wandte
sich 30. Juli 1764 die Landschaft an den Reichshofrath. Der Herzog ließ
nun dem Gefangenen die Freiheit anbieten, wenn er eine Acte unterzeichnen
würde, in welcher er sich als Verbrecher bekannte und um Gnade bat: Moser
War Mann genug, dies Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Darauf erfolgte
6. Sept. eine Resolution des Reichshofraths, ihn sofort freizulassen und
25. Sept. 1764 die wirkliche Freilassung.

Wunderbarer Weise hatte die schwere Haft seiner Gesundheit nicht ge¬
schadet; auch sein rastloser Thütigkeitstrieb hatte sich Befriedigung zu ver¬
schaffen gewußt. Man hatte ihm alles Schreibmaterial entzogen, er kratzte
mit einer Putzscheere in die weiße Wand ein. und mit derselben Putzscheere,
um es doch mit sich zu nehmen, in den Rücken des Papiers seiner Bibel und
seines Gesangbuchs. Und was kratzte er auf diese Weise zusammen! 1) über
1000 geistliche Lieder, später in 114 Bogen gedruckt! 2) 34 Werke vermisch¬
ten Inhalts, z. B. "Grundsätze des Besteuerungsrechts derer Reichsstände."
"europäisches Staatshandbuch" u. s. w.; ganz ohne Hilfsmittel! 3) "eines
alten Mannes muntere Stunden während seines Festungsarrests." z. B.: "po¬
litischer Streit zwischen einem lateinischen Principal und seinen Schülern; poli¬
tische und philosophische Gedanken beim Hühnerfüttern; Reisevcschreibung ins
Land der Altgebrüuchler" u. s. w. "Diese muntere Stunden enthalten aber keine
beißende Satiren, noch Schranken oder etwas einem Christen oder ernsthaften
Mann Ohnanständiges; sondern nur einen gemäßigten Witz, unvermuthete Ge¬
danken und Wendungen, und sittliche Charakteristiken gewisser Gattungen von Per¬
sonen, die ich genau habe kennen lernen." -- Den 2. September 1762 hatte
er seine Frau verloren: die Briefe, die sie ihm in den Kerker schrieb, zeigen nie
auch nur die Spur eines echten, individuellen Gefühls, einer unverfälschten
Stimme des Herzens oder auch nur eine positive Thatsache, die ein gemeinsames
Interesse verriethe; es ist nur vom Blut des Lammes die Rede, gegen alles,
was geschieht, ist sie gleichgiltig. Bei ihrem Phlegma hatte der Pietismus eine


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von der Landschaft unbedingten Gehorsam. Bald stand Moser an der Spitze
der Opposition. Vom Hos erfolgte Drohung ans Drohung; und als Moser
eine Geldverwilligung hintertrieb, und dem Minister erklärte, er wolle lieber
seinen grauen Kopf verlieren, als Unrecht thun, ließ ihn der Herzog 12, Juli 1759
ohne weiteres auf den Hohcntwiel bringen, wo er ohne Untersuchung und Urtheil,
sechs Jahre in schwerer einsamer Haft blieb! Es war ein Act der Tyrannei, der
selbst damals Aussehn erregte. Der kaiserliche Hof ließ ihn im Stich, weil
er sich früher der evangelischen stände angenommen. Erst nach dem Frieden
konnte etwas für ihn geschehn; auf heftiges Andringen seines Sohns erließ
(Dec. 1763) das preußische Cabinet im Verein mit Dänemark (Moser hatte
durch Bernstorf 27. April 1759 den Titel eines dänischen Etntsrath erhalten)
eine ernste Mahnung an den Herzog; als auch diese nichts fruchtete, wandte
sich 30. Juli 1764 die Landschaft an den Reichshofrath. Der Herzog ließ
nun dem Gefangenen die Freiheit anbieten, wenn er eine Acte unterzeichnen
würde, in welcher er sich als Verbrecher bekannte und um Gnade bat: Moser
War Mann genug, dies Ansinnen entschieden zurückzuweisen. Darauf erfolgte
6. Sept. eine Resolution des Reichshofraths, ihn sofort freizulassen und
25. Sept. 1764 die wirkliche Freilassung.

Wunderbarer Weise hatte die schwere Haft seiner Gesundheit nicht ge¬
schadet; auch sein rastloser Thütigkeitstrieb hatte sich Befriedigung zu ver¬
schaffen gewußt. Man hatte ihm alles Schreibmaterial entzogen, er kratzte
mit einer Putzscheere in die weiße Wand ein. und mit derselben Putzscheere,
um es doch mit sich zu nehmen, in den Rücken des Papiers seiner Bibel und
seines Gesangbuchs. Und was kratzte er auf diese Weise zusammen! 1) über
1000 geistliche Lieder, später in 114 Bogen gedruckt! 2) 34 Werke vermisch¬
ten Inhalts, z. B. „Grundsätze des Besteuerungsrechts derer Reichsstände."
„europäisches Staatshandbuch" u. s. w.; ganz ohne Hilfsmittel! 3) „eines
alten Mannes muntere Stunden während seines Festungsarrests." z. B.: „po¬
litischer Streit zwischen einem lateinischen Principal und seinen Schülern; poli¬
tische und philosophische Gedanken beim Hühnerfüttern; Reisevcschreibung ins
Land der Altgebrüuchler" u. s. w. „Diese muntere Stunden enthalten aber keine
beißende Satiren, noch Schranken oder etwas einem Christen oder ernsthaften
Mann Ohnanständiges; sondern nur einen gemäßigten Witz, unvermuthete Ge¬
danken und Wendungen, und sittliche Charakteristiken gewisser Gattungen von Per¬
sonen, die ich genau habe kennen lernen." — Den 2. September 1762 hatte
er seine Frau verloren: die Briefe, die sie ihm in den Kerker schrieb, zeigen nie
auch nur die Spur eines echten, individuellen Gefühls, einer unverfälschten
Stimme des Herzens oder auch nur eine positive Thatsache, die ein gemeinsames
Interesse verriethe; es ist nur vom Blut des Lammes die Rede, gegen alles,
was geschieht, ist sie gleichgiltig. Bei ihrem Phlegma hatte der Pietismus eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/199>, abgerufen am 24.07.2024.