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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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einer vernünftigen Regierungskunst." Ueber sein religiöses Leben berichtet er
folgendermaßen.

"Ich hätte gern mehrere Gebetsgemeinschaft mit meiner lieben Ehe¬
gattin gepflogen; sie hingegen wollte nun lieber allein beten, darin sie sich
auch fleißig geübt hat. Mit dem Gesinde setzte es öftere Veränderungen,
worüber ich zwar meiner lieben Frau mehrmalen Vorstellungen that.- sie be¬
zog sich aber auf 2. Cor. 5. 12: "Gott sind wir offenbar; ich hoffe aber,
daß wir auch in euern Gewissen offenbar sind;" und dabei mußte ich sie
lassen. Mit meinen Geschwistern, auch andern alten Freunden in Christo
war die Gemeinschaft und der Umgang nicht mehr so herzlich, vertraut und
gesegnet als da wir vormals in Würtemberg waren. Die Zinzendorfschen
Händel hatten auch hier viele Spaltung und Mißtrauen unter den Gut¬
gesinnten erregt; man hielt uns doch für Leute, die in etwas angesteckt seien;
daher traute man uns nicht ganz, zumal da unsre und der Andern Erkennt¬
niß und Erfahrungen nicht allemal mit einander übereinkämen. Wenn von
Zusammenkünften die Rede war, hätten die Andern gern alles auf Behand¬
lung der heiligen Schrift gesetzt; ich und meine liebe Frau hingegen hätten
gern mit erfahrenen, treuen und vertrauten Seelen Gemeinschaft gehabt, denen
man sein Herz hätte entdecken, von den vorfallenden Versuchungen. Schwach¬
heiten, Aergernissen. Mitteln in der Gnade weiter zu kommen, u. f. w. spre¬
chen, sich bei Andern Raths erholen und wieder Andern das ihnen oft sehr
nöthige in Liebe hätte sagen können. Aber davon wollte man nichts hören,
hielt es für Gewissenszwang; nur wenn man etwas, so sich für Bekehrte
nicht schickte, ahndete, wurden sie empfindlich, meinten, man wolle ihren
Grund angreifen und sie nicht mehr für Kinder Gottes halten. Noch Andere
hatten den Schein eines rechtschaffenen Wesens, da sich hernach nur allzudeut¬
lich offenbarte, daß sie in einer fleischlichen Freiheit lebten; daher wir uns
ihrer, und sie sich unserer, als ob wir Leute wären, die allzugesetzlich seien,
entäußerten. Ueber allem diesem wurden wir endlich auch verlegen, und
unser Umgang bedeutete meistens wenig mehr als ein liebreicher Umgang
im gemeinen Leben. Die Herrn Bengel und Storr hielten Erbauungsstunden,
die uns zu manchem Segen Hütten werden können: wir besuchten sie aber
nicht."

Seit 1755 nahm sich der Herzog persönlich der Regierung an. und trat
mit Moser in einen intimen Verkehr: "Wollte Gott", schrieb er ihm einmal
15. Juli 1756, "es dächte jeder so patriotisch, wie der Herr Cousulent und
Ich, es ginge gewiß Herrn und Lande wohl." Dieser Verkehr gab der Land¬
schaft argen Anstoß, die von ihrem Consulenten verrathen zu sein glaubte.
Mit dem Eintritt Montmorins ins Ministerium änderte sich die Sache. Der
neue Minister wollte willkürlich in alte Gerechtsame eingreifen und verlangte


einer vernünftigen Regierungskunst." Ueber sein religiöses Leben berichtet er
folgendermaßen.

„Ich hätte gern mehrere Gebetsgemeinschaft mit meiner lieben Ehe¬
gattin gepflogen; sie hingegen wollte nun lieber allein beten, darin sie sich
auch fleißig geübt hat. Mit dem Gesinde setzte es öftere Veränderungen,
worüber ich zwar meiner lieben Frau mehrmalen Vorstellungen that.- sie be¬
zog sich aber auf 2. Cor. 5. 12: „Gott sind wir offenbar; ich hoffe aber,
daß wir auch in euern Gewissen offenbar sind;" und dabei mußte ich sie
lassen. Mit meinen Geschwistern, auch andern alten Freunden in Christo
war die Gemeinschaft und der Umgang nicht mehr so herzlich, vertraut und
gesegnet als da wir vormals in Würtemberg waren. Die Zinzendorfschen
Händel hatten auch hier viele Spaltung und Mißtrauen unter den Gut¬
gesinnten erregt; man hielt uns doch für Leute, die in etwas angesteckt seien;
daher traute man uns nicht ganz, zumal da unsre und der Andern Erkennt¬
niß und Erfahrungen nicht allemal mit einander übereinkämen. Wenn von
Zusammenkünften die Rede war, hätten die Andern gern alles auf Behand¬
lung der heiligen Schrift gesetzt; ich und meine liebe Frau hingegen hätten
gern mit erfahrenen, treuen und vertrauten Seelen Gemeinschaft gehabt, denen
man sein Herz hätte entdecken, von den vorfallenden Versuchungen. Schwach¬
heiten, Aergernissen. Mitteln in der Gnade weiter zu kommen, u. f. w. spre¬
chen, sich bei Andern Raths erholen und wieder Andern das ihnen oft sehr
nöthige in Liebe hätte sagen können. Aber davon wollte man nichts hören,
hielt es für Gewissenszwang; nur wenn man etwas, so sich für Bekehrte
nicht schickte, ahndete, wurden sie empfindlich, meinten, man wolle ihren
Grund angreifen und sie nicht mehr für Kinder Gottes halten. Noch Andere
hatten den Schein eines rechtschaffenen Wesens, da sich hernach nur allzudeut¬
lich offenbarte, daß sie in einer fleischlichen Freiheit lebten; daher wir uns
ihrer, und sie sich unserer, als ob wir Leute wären, die allzugesetzlich seien,
entäußerten. Ueber allem diesem wurden wir endlich auch verlegen, und
unser Umgang bedeutete meistens wenig mehr als ein liebreicher Umgang
im gemeinen Leben. Die Herrn Bengel und Storr hielten Erbauungsstunden,
die uns zu manchem Segen Hütten werden können: wir besuchten sie aber
nicht."

Seit 1755 nahm sich der Herzog persönlich der Regierung an. und trat
mit Moser in einen intimen Verkehr: „Wollte Gott", schrieb er ihm einmal
15. Juli 1756, „es dächte jeder so patriotisch, wie der Herr Cousulent und
Ich, es ginge gewiß Herrn und Lande wohl." Dieser Verkehr gab der Land¬
schaft argen Anstoß, die von ihrem Consulenten verrathen zu sein glaubte.
Mit dem Eintritt Montmorins ins Ministerium änderte sich die Sache. Der
neue Minister wollte willkürlich in alte Gerechtsame eingreifen und verlangte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/198>, abgerufen am 24.07.2024.