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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Endlich. 17. Jan. 1747, erklärte mir H. Steinhofer: weil es wider¬
sprechend herauskomme, daß ich bei meinem bekannten Sinn doch in der
Gemeinde bleiben wollte, und es den Geschwistern zum Drang aus ihren
Herzen würde, wenn sie mich beim Abendmal sehen müßten, so möchte ich
ihrer darin schonen; er glaubte zwar nicht, daß ich wissenden Dingen gegen
den Sinn des Heilands zu handeln begehrte, aber ich sei nun eben in Les.w
xerxlgxitlltis. Ich antwortete: Strick ist entzwey, und wir seynd frey. Er
sprach voller Verwunderung: was sagen Sie? Ich wiederholte: Strick ist
entzwey und wir seynd srey!

Ich wußte aber nicht, wohin ich mich wenden sollte, und einige auswär¬
tige Herrn Knechte Gottes ernährten mich, noch ferner Geduld zu beweisen
und dem Herrn nicht anzukaufen. Da nun aber die Gefahr und der Druck
zunahm, so entschloß ich mich, den Beruf als Geheimerath des Landgrafen
zu Homburg auf die Probe anzunehmen. Es war aber ein starker Absprung,
und meine Frau und Kinder waren übel daran, weil sie in Homburg nicht
den geringsten Umgang für das Herz Pflegen konnten, weshalb sie ihr Lebtag
Homburg als den finstersten Ort, dahin sie gekommen, ansahen."

In seiner neuen Stelle nahm sich Moser hauptsächlich der Cameralge-
schäfte an, er brachte Ordnung in die Canzlei und suchte durch solide Wirth¬
schaft den Credit herzustellen. Im Anfang ging alles gut, aber bald intri-
guirte die alte Bureaukratie gegen ihn, und es kam so weit, daß der Land¬
graf wichtige Geschäfte hinter seinem Rücken abmachte. Moser forderte seine
Entlassung und erhielt sie in den ehrenvollsten und herzlichsten Ausdrücken,
5. Oct. 1748. Er errichtete nun in Hanau eine Akademie für junge Standes¬
personen, die sich zum Staatsdienst vorbereiten wollten: sein ältester Sohn,
der damals eine adelige Witwe heirathete, wurde sein Gehilfe. Die Anstalt
war in voller Blüthe, als die würtemberger Landschaft ihn zu ihrem Consu-
lenten berief. In dieser Zeit schrieb er die "wöchentlichen Berichte zur Förderung
des wahren Christenthums" 1743 und die "Hanauischen Berichte von Reli-
gionssachen." 16. Febr. 1750--1, in denen er sich zuerst öffentlich und zwar
sehr bitter über Zinzendorf aussprach, da ihn die Nachrichten von weiteren
Unordungen in Ebersdorf aufbrachten.

Auch in Stuttgart, wo er Oct. 1751 eintraf, bemühte er sich haupt¬
sächlich um Verbesserung der Landesökonomie. Es wurde ihm sehr schwer,
das Vertrauen der Landschaft zu gewinnen, fast alle seine Reformpläne fanden
Widerstand, und sein leitender Grundsatz in Bezug auf das Verhältniß zum
Herrn: was man nachgeben will und kann, sofort und unumwunden nach¬
geben; in ernsteren Dingen aber unerschütterlich sein, verstieß zu sehr gegen
die herkömmliche Praxis des Lavirens. Hier schrieb er 1753 die "Grundsätze


Grenzboten III. 1860. 24

Endlich. 17. Jan. 1747, erklärte mir H. Steinhofer: weil es wider¬
sprechend herauskomme, daß ich bei meinem bekannten Sinn doch in der
Gemeinde bleiben wollte, und es den Geschwistern zum Drang aus ihren
Herzen würde, wenn sie mich beim Abendmal sehen müßten, so möchte ich
ihrer darin schonen; er glaubte zwar nicht, daß ich wissenden Dingen gegen
den Sinn des Heilands zu handeln begehrte, aber ich sei nun eben in Les.w
xerxlgxitlltis. Ich antwortete: Strick ist entzwey, und wir seynd frey. Er
sprach voller Verwunderung: was sagen Sie? Ich wiederholte: Strick ist
entzwey und wir seynd srey!

Ich wußte aber nicht, wohin ich mich wenden sollte, und einige auswär¬
tige Herrn Knechte Gottes ernährten mich, noch ferner Geduld zu beweisen
und dem Herrn nicht anzukaufen. Da nun aber die Gefahr und der Druck
zunahm, so entschloß ich mich, den Beruf als Geheimerath des Landgrafen
zu Homburg auf die Probe anzunehmen. Es war aber ein starker Absprung,
und meine Frau und Kinder waren übel daran, weil sie in Homburg nicht
den geringsten Umgang für das Herz Pflegen konnten, weshalb sie ihr Lebtag
Homburg als den finstersten Ort, dahin sie gekommen, ansahen."

In seiner neuen Stelle nahm sich Moser hauptsächlich der Cameralge-
schäfte an, er brachte Ordnung in die Canzlei und suchte durch solide Wirth¬
schaft den Credit herzustellen. Im Anfang ging alles gut, aber bald intri-
guirte die alte Bureaukratie gegen ihn, und es kam so weit, daß der Land¬
graf wichtige Geschäfte hinter seinem Rücken abmachte. Moser forderte seine
Entlassung und erhielt sie in den ehrenvollsten und herzlichsten Ausdrücken,
5. Oct. 1748. Er errichtete nun in Hanau eine Akademie für junge Standes¬
personen, die sich zum Staatsdienst vorbereiten wollten: sein ältester Sohn,
der damals eine adelige Witwe heirathete, wurde sein Gehilfe. Die Anstalt
war in voller Blüthe, als die würtemberger Landschaft ihn zu ihrem Consu-
lenten berief. In dieser Zeit schrieb er die „wöchentlichen Berichte zur Förderung
des wahren Christenthums" 1743 und die „Hanauischen Berichte von Reli-
gionssachen." 16. Febr. 1750—1, in denen er sich zuerst öffentlich und zwar
sehr bitter über Zinzendorf aussprach, da ihn die Nachrichten von weiteren
Unordungen in Ebersdorf aufbrachten.

Auch in Stuttgart, wo er Oct. 1751 eintraf, bemühte er sich haupt¬
sächlich um Verbesserung der Landesökonomie. Es wurde ihm sehr schwer,
das Vertrauen der Landschaft zu gewinnen, fast alle seine Reformpläne fanden
Widerstand, und sein leitender Grundsatz in Bezug auf das Verhältniß zum
Herrn: was man nachgeben will und kann, sofort und unumwunden nach¬
geben; in ernsteren Dingen aber unerschütterlich sein, verstieß zu sehr gegen
die herkömmliche Praxis des Lavirens. Hier schrieb er 1753 die „Grundsätze


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[0197] Endlich. 17. Jan. 1747, erklärte mir H. Steinhofer: weil es wider¬ sprechend herauskomme, daß ich bei meinem bekannten Sinn doch in der Gemeinde bleiben wollte, und es den Geschwistern zum Drang aus ihren Herzen würde, wenn sie mich beim Abendmal sehen müßten, so möchte ich ihrer darin schonen; er glaubte zwar nicht, daß ich wissenden Dingen gegen den Sinn des Heilands zu handeln begehrte, aber ich sei nun eben in Les.w xerxlgxitlltis. Ich antwortete: Strick ist entzwey, und wir seynd frey. Er sprach voller Verwunderung: was sagen Sie? Ich wiederholte: Strick ist entzwey und wir seynd srey! Ich wußte aber nicht, wohin ich mich wenden sollte, und einige auswär¬ tige Herrn Knechte Gottes ernährten mich, noch ferner Geduld zu beweisen und dem Herrn nicht anzukaufen. Da nun aber die Gefahr und der Druck zunahm, so entschloß ich mich, den Beruf als Geheimerath des Landgrafen zu Homburg auf die Probe anzunehmen. Es war aber ein starker Absprung, und meine Frau und Kinder waren übel daran, weil sie in Homburg nicht den geringsten Umgang für das Herz Pflegen konnten, weshalb sie ihr Lebtag Homburg als den finstersten Ort, dahin sie gekommen, ansahen." In seiner neuen Stelle nahm sich Moser hauptsächlich der Cameralge- schäfte an, er brachte Ordnung in die Canzlei und suchte durch solide Wirth¬ schaft den Credit herzustellen. Im Anfang ging alles gut, aber bald intri- guirte die alte Bureaukratie gegen ihn, und es kam so weit, daß der Land¬ graf wichtige Geschäfte hinter seinem Rücken abmachte. Moser forderte seine Entlassung und erhielt sie in den ehrenvollsten und herzlichsten Ausdrücken, 5. Oct. 1748. Er errichtete nun in Hanau eine Akademie für junge Standes¬ personen, die sich zum Staatsdienst vorbereiten wollten: sein ältester Sohn, der damals eine adelige Witwe heirathete, wurde sein Gehilfe. Die Anstalt war in voller Blüthe, als die würtemberger Landschaft ihn zu ihrem Consu- lenten berief. In dieser Zeit schrieb er die „wöchentlichen Berichte zur Förderung des wahren Christenthums" 1743 und die „Hanauischen Berichte von Reli- gionssachen." 16. Febr. 1750—1, in denen er sich zuerst öffentlich und zwar sehr bitter über Zinzendorf aussprach, da ihn die Nachrichten von weiteren Unordungen in Ebersdorf aufbrachten. Auch in Stuttgart, wo er Oct. 1751 eintraf, bemühte er sich haupt¬ sächlich um Verbesserung der Landesökonomie. Es wurde ihm sehr schwer, das Vertrauen der Landschaft zu gewinnen, fast alle seine Reformpläne fanden Widerstand, und sein leitender Grundsatz in Bezug auf das Verhältniß zum Herrn: was man nachgeben will und kann, sofort und unumwunden nach¬ geben; in ernsteren Dingen aber unerschütterlich sein, verstieß zu sehr gegen die herkömmliche Praxis des Lavirens. Hier schrieb er 1753 die „Grundsätze Grenzboten III. 1860. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/197>, abgerufen am 24.07.2024.