Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern nach eines Jeden besondern innern und äußern Umständen aus
der Fülle des Herzens eingesegnet wurden. Die Leichenbegängnisse und
die dabei gehaltenen Reden waren ebenfalls so crwecklich. daß auch unbe-
kehrte Leute sie mit Verwunderung sahen, und, wenn sie es wußten, aus
der Nachbarschaft auf viele Stunden herbeikamen. Der Umgang war da¬
mals noch ganz frei, und man konnte sich mehr oder weniger Personen selber
wählen, deren Herzen, Erkenntniß und Erfahrung am meisten zusammenpaßten.
Man war nicht genöthigt, sich Jemand weiter zu entdecken, als man selbst gut
fand; man war aber selber froh, wenn man solche rechtschaffene Personen
antraf, denen man sein ganzes Herz darlegen konnte. Unter den Vertrauten
war also dies der Hauptpunkt, worauf man alles mit einander im Gebet vor
den Herrn brachte. Und so waren auch die allgemeinen Zusammenkünfte
nicht sowol der Behandlung des Wortes Gottes gewidmet, als vielmehr
wurde von geistlichen Erfahrungen, Fehlern der Kinder Gottes, besondern
Gewissensfällen, von seiner eignen Herzensverfassung u. s. w. gesprochen, daß
doch ein jedes wol wissen konnte, wie es beinahe alle anderen Glieder der
Gemeinde anzusehn habe.

Alles dies hatte auch noch einen großen Nutzen im Leiblichen: man durfte
seine Umstände keck sagen; man kam den Nothleidenden sowol gemeinschaftlich,
als jedes an seinem Theil, mit Rath und That so zu statten, daß ich dergleichen
mein Lebtag nicht gesehn habe.

Den Kindern wurde von der Mutterbrust an eine Erkenntniß von Gott
und Jesu und eine herzliche Liebe gegen sie beigebracht. .. man brachte sie
dahin, daß sie öfters freiwillig, einzeln oder etliche zusammen, aus ihren Herzen
so beteten, wie es die Umstände erforderten.

Meine Frau kam ebenfalls zur Versicherung ihres Gnadcnstandcs. und
so nach und nach unsere Kinder. Sie hatte, wie es unter dem gesetzlichen
Zustand zu gehn pflegt, vorher eine große Furcht vor dem Tode gehabt: nun
aber war sie nicht nur willig, sondern auch begierig zu sterben, und blieb in
dieser seligen Gemüthsverfassung bis an ihr Ende." --

Indessen füllte das religiöse Leben und der Verkehr mit den frommen
Höfen in Saalfeld u. s. w. seine Zeit nicht ganz aus. Da er mit seinem
Auskommen ganz auf seine schriftstellerische Thätigkeit angewiesen war, die
nicht viel eintrug, so mußte er rüstig arbeiten. Sein deutsches Staatsrecht
setzte er von Theil 4 bis 32 fort. Sept. 1741 bis März 1742 wohnte er dem
Wahltag Kaiser Karl des Siebenten bei und veröffentlichte später seine wich¬
tigen Beobachtungen in der Staatshistorie Deutschlands unter Kaiser Karl
dem Siebenten. Darauf wurde er von der würtembergischen Landschaft erst
an das Hoflager des neuen Kaisers, dann nach Berlin geschickt l"is der Krieg
zwischen Preußen und Sachsen ausbrach, legte er seinen preußischen Charakte


sondern nach eines Jeden besondern innern und äußern Umständen aus
der Fülle des Herzens eingesegnet wurden. Die Leichenbegängnisse und
die dabei gehaltenen Reden waren ebenfalls so crwecklich. daß auch unbe-
kehrte Leute sie mit Verwunderung sahen, und, wenn sie es wußten, aus
der Nachbarschaft auf viele Stunden herbeikamen. Der Umgang war da¬
mals noch ganz frei, und man konnte sich mehr oder weniger Personen selber
wählen, deren Herzen, Erkenntniß und Erfahrung am meisten zusammenpaßten.
Man war nicht genöthigt, sich Jemand weiter zu entdecken, als man selbst gut
fand; man war aber selber froh, wenn man solche rechtschaffene Personen
antraf, denen man sein ganzes Herz darlegen konnte. Unter den Vertrauten
war also dies der Hauptpunkt, worauf man alles mit einander im Gebet vor
den Herrn brachte. Und so waren auch die allgemeinen Zusammenkünfte
nicht sowol der Behandlung des Wortes Gottes gewidmet, als vielmehr
wurde von geistlichen Erfahrungen, Fehlern der Kinder Gottes, besondern
Gewissensfällen, von seiner eignen Herzensverfassung u. s. w. gesprochen, daß
doch ein jedes wol wissen konnte, wie es beinahe alle anderen Glieder der
Gemeinde anzusehn habe.

Alles dies hatte auch noch einen großen Nutzen im Leiblichen: man durfte
seine Umstände keck sagen; man kam den Nothleidenden sowol gemeinschaftlich,
als jedes an seinem Theil, mit Rath und That so zu statten, daß ich dergleichen
mein Lebtag nicht gesehn habe.

Den Kindern wurde von der Mutterbrust an eine Erkenntniß von Gott
und Jesu und eine herzliche Liebe gegen sie beigebracht. .. man brachte sie
dahin, daß sie öfters freiwillig, einzeln oder etliche zusammen, aus ihren Herzen
so beteten, wie es die Umstände erforderten.

Meine Frau kam ebenfalls zur Versicherung ihres Gnadcnstandcs. und
so nach und nach unsere Kinder. Sie hatte, wie es unter dem gesetzlichen
Zustand zu gehn pflegt, vorher eine große Furcht vor dem Tode gehabt: nun
aber war sie nicht nur willig, sondern auch begierig zu sterben, und blieb in
dieser seligen Gemüthsverfassung bis an ihr Ende." —

Indessen füllte das religiöse Leben und der Verkehr mit den frommen
Höfen in Saalfeld u. s. w. seine Zeit nicht ganz aus. Da er mit seinem
Auskommen ganz auf seine schriftstellerische Thätigkeit angewiesen war, die
nicht viel eintrug, so mußte er rüstig arbeiten. Sein deutsches Staatsrecht
setzte er von Theil 4 bis 32 fort. Sept. 1741 bis März 1742 wohnte er dem
Wahltag Kaiser Karl des Siebenten bei und veröffentlichte später seine wich¬
tigen Beobachtungen in der Staatshistorie Deutschlands unter Kaiser Karl
dem Siebenten. Darauf wurde er von der würtembergischen Landschaft erst
an das Hoflager des neuen Kaisers, dann nach Berlin geschickt l"is der Krieg
zwischen Preußen und Sachsen ausbrach, legte er seinen preußischen Charakte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109998"/>
          <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> sondern nach eines Jeden besondern innern und äußern Umständen aus<lb/>
der Fülle des Herzens eingesegnet wurden. Die Leichenbegängnisse und<lb/>
die dabei gehaltenen Reden waren ebenfalls so crwecklich. daß auch unbe-<lb/>
kehrte Leute sie mit Verwunderung sahen, und, wenn sie es wußten, aus<lb/>
der Nachbarschaft auf viele Stunden herbeikamen. Der Umgang war da¬<lb/>
mals noch ganz frei, und man konnte sich mehr oder weniger Personen selber<lb/>
wählen, deren Herzen, Erkenntniß und Erfahrung am meisten zusammenpaßten.<lb/>
Man war nicht genöthigt, sich Jemand weiter zu entdecken, als man selbst gut<lb/>
fand; man war aber selber froh, wenn man solche rechtschaffene Personen<lb/>
antraf, denen man sein ganzes Herz darlegen konnte. Unter den Vertrauten<lb/>
war also dies der Hauptpunkt, worauf man alles mit einander im Gebet vor<lb/>
den Herrn brachte. Und so waren auch die allgemeinen Zusammenkünfte<lb/>
nicht sowol der Behandlung des Wortes Gottes gewidmet, als vielmehr<lb/>
wurde von geistlichen Erfahrungen, Fehlern der Kinder Gottes, besondern<lb/>
Gewissensfällen, von seiner eignen Herzensverfassung u. s. w. gesprochen, daß<lb/>
doch ein jedes wol wissen konnte, wie es beinahe alle anderen Glieder der<lb/>
Gemeinde anzusehn habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_532"> Alles dies hatte auch noch einen großen Nutzen im Leiblichen: man durfte<lb/>
seine Umstände keck sagen; man kam den Nothleidenden sowol gemeinschaftlich,<lb/>
als jedes an seinem Theil, mit Rath und That so zu statten, daß ich dergleichen<lb/>
mein Lebtag nicht gesehn habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_533"> Den Kindern wurde von der Mutterbrust an eine Erkenntniß von Gott<lb/>
und Jesu und eine herzliche Liebe gegen sie beigebracht. .. man brachte sie<lb/>
dahin, daß sie öfters freiwillig, einzeln oder etliche zusammen, aus ihren Herzen<lb/>
so beteten, wie es die Umstände erforderten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_534"> Meine Frau kam ebenfalls zur Versicherung ihres Gnadcnstandcs. und<lb/>
so nach und nach unsere Kinder. Sie hatte, wie es unter dem gesetzlichen<lb/>
Zustand zu gehn pflegt, vorher eine große Furcht vor dem Tode gehabt: nun<lb/>
aber war sie nicht nur willig, sondern auch begierig zu sterben, und blieb in<lb/>
dieser seligen Gemüthsverfassung bis an ihr Ende." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535" next="#ID_536"> Indessen füllte das religiöse Leben und der Verkehr mit den frommen<lb/>
Höfen in Saalfeld u. s. w. seine Zeit nicht ganz aus. Da er mit seinem<lb/>
Auskommen ganz auf seine schriftstellerische Thätigkeit angewiesen war, die<lb/>
nicht viel eintrug, so mußte er rüstig arbeiten. Sein deutsches Staatsrecht<lb/>
setzte er von Theil 4 bis 32 fort. Sept. 1741 bis März 1742 wohnte er dem<lb/>
Wahltag Kaiser Karl des Siebenten bei und veröffentlichte später seine wich¬<lb/>
tigen Beobachtungen in der Staatshistorie Deutschlands unter Kaiser Karl<lb/>
dem Siebenten. Darauf wurde er von der würtembergischen Landschaft erst<lb/>
an das Hoflager des neuen Kaisers, dann nach Berlin geschickt l"is der Krieg<lb/>
zwischen Preußen und Sachsen ausbrach, legte er seinen preußischen Charakte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] sondern nach eines Jeden besondern innern und äußern Umständen aus der Fülle des Herzens eingesegnet wurden. Die Leichenbegängnisse und die dabei gehaltenen Reden waren ebenfalls so crwecklich. daß auch unbe- kehrte Leute sie mit Verwunderung sahen, und, wenn sie es wußten, aus der Nachbarschaft auf viele Stunden herbeikamen. Der Umgang war da¬ mals noch ganz frei, und man konnte sich mehr oder weniger Personen selber wählen, deren Herzen, Erkenntniß und Erfahrung am meisten zusammenpaßten. Man war nicht genöthigt, sich Jemand weiter zu entdecken, als man selbst gut fand; man war aber selber froh, wenn man solche rechtschaffene Personen antraf, denen man sein ganzes Herz darlegen konnte. Unter den Vertrauten war also dies der Hauptpunkt, worauf man alles mit einander im Gebet vor den Herrn brachte. Und so waren auch die allgemeinen Zusammenkünfte nicht sowol der Behandlung des Wortes Gottes gewidmet, als vielmehr wurde von geistlichen Erfahrungen, Fehlern der Kinder Gottes, besondern Gewissensfällen, von seiner eignen Herzensverfassung u. s. w. gesprochen, daß doch ein jedes wol wissen konnte, wie es beinahe alle anderen Glieder der Gemeinde anzusehn habe. Alles dies hatte auch noch einen großen Nutzen im Leiblichen: man durfte seine Umstände keck sagen; man kam den Nothleidenden sowol gemeinschaftlich, als jedes an seinem Theil, mit Rath und That so zu statten, daß ich dergleichen mein Lebtag nicht gesehn habe. Den Kindern wurde von der Mutterbrust an eine Erkenntniß von Gott und Jesu und eine herzliche Liebe gegen sie beigebracht. .. man brachte sie dahin, daß sie öfters freiwillig, einzeln oder etliche zusammen, aus ihren Herzen so beteten, wie es die Umstände erforderten. Meine Frau kam ebenfalls zur Versicherung ihres Gnadcnstandcs. und so nach und nach unsere Kinder. Sie hatte, wie es unter dem gesetzlichen Zustand zu gehn pflegt, vorher eine große Furcht vor dem Tode gehabt: nun aber war sie nicht nur willig, sondern auch begierig zu sterben, und blieb in dieser seligen Gemüthsverfassung bis an ihr Ende." — Indessen füllte das religiöse Leben und der Verkehr mit den frommen Höfen in Saalfeld u. s. w. seine Zeit nicht ganz aus. Da er mit seinem Auskommen ganz auf seine schriftstellerische Thätigkeit angewiesen war, die nicht viel eintrug, so mußte er rüstig arbeiten. Sein deutsches Staatsrecht setzte er von Theil 4 bis 32 fort. Sept. 1741 bis März 1742 wohnte er dem Wahltag Kaiser Karl des Siebenten bei und veröffentlichte später seine wich¬ tigen Beobachtungen in der Staatshistorie Deutschlands unter Kaiser Karl dem Siebenten. Darauf wurde er von der würtembergischen Landschaft erst an das Hoflager des neuen Kaisers, dann nach Berlin geschickt l"is der Krieg zwischen Preußen und Sachsen ausbrach, legte er seinen preußischen Charakte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/192>, abgerufen am 24.07.2024.